Alles dreht sich: Im All und auf Erden. Auch in der Musik ist das so. Von Kreisel und Spieluhr, über die Schallplatte bis zur CD, vom Wiener Walzer, über die Pirouette zum Sufi-Tänzer, der sich wieder und wieder um die eigene Achse dreht.
Alles dreht sich – um sich selbst und im Kreis
Alles dreht sich. Im 21. Jahrhundert vor allem der Mensch um sich selbst, meint der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen von der Uni Tübingen. Die sozialen Netzwerke sind die neue Bühne, auf der im Licht der Kamera der Mensch um sich selbst kreist. Fast so wie Michael Endes von Wilfried Hiller vertonter Kreisel.
Im Tanz offenbart das Drehen um die eigene Achse seine positiven Qualitäten. Kleine Kinder etwa drehen sich gern in unschuldigen, glückseligen Rausch.
Drehende Ekstase bei der Tanoura
Manis Sjahroeddin aus Düsseldorf unterrichtet den orientalischen Drehtanz „Tanoura“. In Ägypten ist der spirituelle Tanz der Sufis längst zum Show-Tanz für Touristen mutiert. Für beide Formen gilt, nur mit sauberer Drehtechnik lässt sich das Schwindelgefühl überwinden.
Das Auge fixiert beim Kreisen die weit ausgestreckte Hand. Und dann passiert etwas Verrücktes. Der Kopf wird klar, der Körper scheint still zu stehen, während die äußere Welt sich wegdreht.
„Das ist schon ein tolles Gefühl. Ich weiß nicht, was da chemisch passiert, aber es ist schon ein Glücksgefühl“, sagt Sjahroeddin. „Man muss es jeden Tag üben. Ich konnte früher nur 5 Minuten drehen. Am Schluss habe ich tatsächlich 40 Minuten gedreht.“
Sufis verbinden sich im stundenlangen Drehen mit Gott und dem Kosmos. Sie geraten dabei in einen Zustand der Erleuchtung. „Das ist was Tolles, weil es ein Grundelement ist des Lebens. Alles dreht sich. Die Erde dreht sich“, sagt Sjahroeddin.
Die Erde dreht sich bei Kubrick im Walzertakt
Die Erde dreht sich um sich selbst und kreist gleichzeitig mit den anderen Planeten um die Sonne. Dieses kosmische Ballett fängt Stanley Kubrick 1968 kongenial im Kultfilm „2001 – Odyssee im Weltraum“ ein. Als leuchtblaue Kugel dreht sich die Erde durchs All. Eine Raumfähre zieht vorüber.
Sie wird umtanzt von Satelliten und Raumstationen, die sich majestätisch um die eigene Achse drehen. Im Takt zum Johann Strauss Walzer „An der schönen blauen Donau“.
Wie die Planeten drehen sich auch die Paare im Wiener Walzer um sich selbst. Gleichzeitige umkreisen sie im Saal eine imaginäre Mitte. Brav erscheint uns der Wiener Walzer nur heute. Als er um die Französische Revolution herum in Wien die Ballsäle erobert, wird er vorübergehend verboten, weil er für Wildheit und Kontrollverlust steht. Das riecht nach Revolution.
Im Film „Sissi, die junge Kaiserin“ zum Beispiel dreht der ungarische Graf Andrássy die von ihm hoch verehrte Kaiserin Sissi bis zur Besinnungslosigkeit über die Tanzfläche.
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Schallplatten, CDs und Turntables drehen sich nur noch bei Nostalgikern
Sprichwörtlich ausgedreht hat es sich für die Schallplatte und auch die CD dreht nur noch – um die Augsburger Dichterin Lydia Daher zu zitieren – „mickrige Runden“. Digitale Audiofiles drängen Tonträger, die sich drehen, mehr und mehr ins Abseits.
Auch Leierkasten und Spieluhr, die per Kurbel und bestifteter Walzen oder Lochscheibe Musik machen, werden oft nur noch als Einschlafhilfe genutzt. Der Komponist Karlheinz Stockhausen hingegen widmet den Automaten mit dem nostalgischen Klang ein eigenes 12-teiliges Werk.
Vom Aussterben bedroht, ist auch die Turntable-Kunst, wo der DJ im Club durch schnelles Vor- und Rückwärtsdrehen des Plattentellers für kratzende Sounds (Scratches) sowie Wiederholungen und Schleifen (Loops) sorgt. Im digitalen Zeitalter dominieren Knöpfchen, an denen der DJ dreht und Regler, die er rauf und runter fährt.
Eine exotische Nische finden Turntable-Künstler ausgerechnet im klassischen Orchester.
Wenn die Musik im Kopf ihre Runden dreht
Hartnäckig hingegen hält sich ein entfernter Verwandter des Loops, der Ohrwurm. „Man nimmt heute an, dass es eigentlich ein unendlicher Kreislauf ist zwischen Sing- und Gehörszentrum, ein unendlicher Aural-Oral-Loop“, so der Neurologe Eckart Altenmüller.
Sobald eine eingängige Songlinie rechts im Hörzentrum aufschlägt, wird das Singzentrum links im Hirn mitaktiviert. Die innere Stimme singt also mit und regt dadurch erneut das Hörzentrum an.
„Wenn jetzt so eine Melodie die ganze Zeit zwischen dem Mitsingen und dem inneren Hören kreist“, erklärt der Neurologe, „dann ist die Gefahr groß, dass sich da eine Nervenbahn zwischen Hörzentren und Singzentren verfestigt und dann als Endlosschleife hin und her die Information sendet.“
Was sich dagegen tun lässt? Einfach laufen lassen, bis der Ohrwurm verklingt. Alles dreht sich, bis es verschwindet.
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Sprecher: Wolfgang Pampel
Redaktion: Chris Eckardt und Henriette Schreurs
Assistenz: Anika Kiechle