Wiegenlied und Schaukelspaß

Musik und Bewegung: Schaukeln, Wiegen, Schwingen

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Autor/in
Jane Höck
Onlinefassung
Dominic Konrad

Alles schwingt in der Musik: geschlagene Membranen, gezupfte Saiten, Luftsäulen. Die in Schwung versetzten Schallwellen dringen durchs Ohr ins Hörzentrum und erzeugen Musik. Selbst das Gehirn schwingt mit. Unser Kopf beginnt unwillkürlich zu nicken, die Füße wippen mit im Takt. Wie sind Schaukeln, Wiegen und Schwingen mit Musik verbunden?

Schaukeln beflügelt und macht Spaß

„Die Lust, das Gewicht des eigenen Körpers zu spüren, seine Unterworfenheit unter die Gesetze der Schwerkraft, und gleichzeitig die eigene Kraft ins Spiel zu bringen“, erklärt der Schweizer Komponist Stefan Keller, „dies sind wohl die Gründe für die Leidenschaft, mit der Kinder sich dem Schaukeln hingeben.“

Etwas von dieser elementaren Spielfreude, die auch in jeder Musik steckt, fängt Keller in seinem Stück „Schaukel“ ein. Das Auf und Ab, das Kribbeln im Bauch, den Rausch und das Rauschen in den Ohren.

Die Schaukel als Metronom, das auf dem Kopf steht! Diese hübsche Assoziation hat der Lyriker Jürgen Brocan. Für ihn entsteht Musik, die „befreit ist vom Rhythmus des Atems, Herzens“. Schaukeln beflügelt und macht Spaß. Woher kommt diese Lust?

Schaukeln für die Bindung zu den Eltern

„Ja, das ist eigentlich ganz intuitiv und das fängt mit dem Kinderschlaf an“, sagt Albrecht Vorster, Neurowissenschaftler und Schlafforscher. „Jedes Kind ist wahrscheinlich als Säugling in den Schlaf gewiegt worden. Von seiner Mutter, aber auch von allen anderen. Wiegen wirkt beruhigend.“

Da stimmt auch der Neurologe Eckart Altemüller zu: „Das führt beim Säugling zur besonderen Ausschüttung des Bindungshormons Oxytozin. Gleichzeitig werden Glückshormone ausgeschüttet.“

Das Wiegen auf dem Arm oder im Kinderbettchen dockt an das Schaukeln an, das der Säugling bereits aus dem Mutterleib kennt. Es entsteht Urvertrauen, so Altenmüller. Dass viele Eltern ihr Kind intuitiv mit Singen oder Summen in den Schlaf wiegen, verstärkt dieses Wohlgefühl sogar noch: „Und zwar ist es die kombinierte Reizung, über das Gehör und über diesen vestibulären Gleichgewichtssinn. Durch das schaukelnde Wiegen.“

Tag des Schlafs „Schlaf, Kindlein, schlaf“: Das Wiegenlied und wie es uns beim Schlafen hilft

Dass Musik unseren Schlaf positiv beeinflusst, ist unumstritten. In fast allen Kulturen der Welt finden sich in irgendeiner Form Schlaflieder. In der deutschen Romantik avanciert das Wiegenlied sogar zum identitätsstiftenden Volkskulturgut . Warum tut uns Musik beim Schlafen so gut und wie sieht die Schlafmusik von heute aus?

„Wir geben sehr viel Geld dafür aus, dieses Organ zu stimulieren“

Kaum sind die Kleinen der Wiege entwachsen, locken Wippe und Schaukelpferd. In der Musik entstehen passend dazu, leichte, verspielte Klavierstückchen. Von Cornelius Gurlitt etwa oder Richard Flury. In den „Jeux d’enfants“ zu vier Händen von Georges Bizet galoppieren gleich zwei Pferdchen im lustigen Schaukel-Galopp über die Tasten und in „L'Escarpolette“ schwingt träumerisch eine Schaukel.

Bizet: Jeux d'enfants, Op. 22: No. 1, L'escarpolette

„Kinder schaukeln deswegen so gern, weil das Vestibular-Organ stimuliert wird. In dem befinden sich feine Haarsinneszellen, umspült von Körperflüssigkeit“, erklärt Albrecht Vorster. „Sobald wir uns bewegen, wie so eine Wasserwaage, bewegt sich auch diese Flüssigkeit und lenkt diese Haarsinneszellen aus.“ 

Vorster spricht vom Schaukelorgan, das direkt neben dem Innenohr sitzt. Das Ohr verortet den Menschen also in zweifacher Hinsicht mit der Welt: akustisch über den Hörsinn und räumlich über das Schaukelorgan. „Wir Menschen geben sehr viel Geld dafür aus, dieses Organ zu stimulieren, etwa auf Jahrmärkten oder Karussellen“, so Vorster.

Früher war die Schaukel sozialer Treffpunkt für junge Menschen

Die Schiffsschaukel auf dem Rummel, die Hans Albers so schön in „Komm auf die Schaukel, Luise“ besingt, führt im Prinzip eine uralte, universale Kulturtechnik fort. Vor Erfindung von Radio und TV sind große Dorfschaukeln häufig sozialer Treffpunkt und Spielplatz für junge Erwachsene. Schwingen und Singen gehören fest zusammen und haben oft auch rituellen Charakter. Denn die Schaukel verbindet Himmel und Erde. 

In Estland gibt es ein mythisches Schöpfungslied, das ursprünglich gemeinsam auf großen Holzschaukeln gesungen wird. Die Esten haben mit Ostern sogar einen eigenen Schaukeltag. Schaukelnd und singend begehen sie Mittsommer und auch das Extrem-Schaukeln Kiiking haben sie erfunden. Im Stehen geht‘s hinauf in den Himmel und auf dem Kopf stehend in den Überschlag. Das kickt!

Das besondere Gefühl, das sich beim Schaukeln einstellt, heißt im Jazz „Swing“. Für Alfred Lion, den Gründer des Kult-Labels Blue Note, muss die Musik direkt in die Füße fahren, Körper und Geist durchwirbeln. Dann habe sie Swing oder, wie er so hübsch auf Deutsch-Englisch meint: Schwing! 

In Montreal verkürzen Schaukeln das Warten auf den Bus. Jede Schaukel erzeugt einen Ton, beim gemeinsamen Schaukeln entsteht eine Melodie. Je mehr mitmachen, desto besser und generationsübergreifend ist es auch.

Der Schaukelstuhl auf der verlassenen Terrasse

Schaukeln im Alter kann den Schmerzmittelverbrauch senken

„Das Wiegen ist eine der letzten Sinnesempfindungen, die Menschen oft am Ende des Lebens noch bleibt. Man sieht vielleicht nicht mehr gut, hört nicht mehr gut und das bereitet einem noch Geborgenheit“, sagt Albrecht Vorster.

Wenn das Alter quält und Schmerzen bereitet, also bitte Musik aufs Ohr und Platz nehmen in Christian Morgensterns lyrischem Schaukelstuhl, so der heiße Tipp von Albrecht Vorster. Denn Studien aus dem Altersheim belegen, so der Forscher, „dass der Schmerzmittelverbrauch runtergegangen ist, wenn man den Alten erlaubt hat, eine oder anderthalb Stunden pro Tag in diesem Schaukelstuhl zu sitzen. Also: Wir können Schmerzmittel einsparen, wenn wir schaukeln. Das ist doch super!“

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