Buch-Tipp

Erik Satie: Der skeptische Klassiker

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Christoph Vratz
Christoph Vratz

Ob er das so gewollt hat? Auf jeden Fall hat es der französische Komponist Erik Satie geschafft, sich mit seiner Musik überall einzunisten: in der Werbung, in knapp 100 Kinofilmen, in diversen Telefon-Hotlines. Hauptverantwortlich dafür ist seine erste „Gymnopédie“, eines von drei Stücken aus Saties Jugendzeit. Wer aber ist der Mann hinter dieser so bekannten Melodie?

Satie: Ein Mirakel

Oliver Vogel hat ein umfangreiches Buch über den großen Eigenwilligen Erik Satie vorgelegt. Er war gewiss ein Mann der Widersprüche, exzentrisch, unerklärlich. Er konnte ermüden und verzaubern. Vom Konservatorium wurde er früh ausgeschlossen, mangels Begabung. Er war zunächst Autodidakt und stets Bohemien, ein Mann, der sich tagelang im Spiegel anschauen konnte, wenn er mit Hut und Mantel in einem Hotelzimmer saß, ein Mann, der sich sieben Cord-Anzüge auf einen Streich kaufte, um immer gleich zu erscheinen. Erik Satie ist ein Mirakel.

Ein Sokrates der Musik. Wo ein Leben als eine Reihe von Seltsamkeiten erzählt wird, darf dem Erzähler misstraut werden. Soll, wovon er redet, die ganze Sache sein?

Der Berliner Musikwissenschaftler Oliver Vogel macht gleich zu Beginn seines neuen Satie-Buches klar: Er weiß als Autor genau, worauf er sich bei diesem Thema einlässt. Er kennt alle Risiken und Nebenwirkungen über diesen Sonderling.

Erik Satie: Der skeptische Klassiker
Erik Satie: Der skeptische Klassiker

Mit knapp 40 wieder in die Schule

Satie ist ein Mensch, der sich gern unter seinen Kopfbedeckungen und hinter Brillen und Monokeln zurückzieht. Er will undurchschaubar sein. Daher spricht er oft in Rätseln und bleibt sich vielleicht selbst immer ein Rätsel. Mit fast vierzig Jahren verkrümelt sich der 1866 geborene und weitgehend in Paris aufgewachsene Satie nochmals auf die Schulbank. Sein Lehrer, Albert Roussel, versucht es ihm auszureden. Doch Satie will nochmal bei Null beginnen, nimmt dafür vor allem die komplexe Form des Kontrapunkts in den Blick.

Was manchen Abenteurer in der Mitte des Lebens zu einer Neuorientierung bestimmt, die Sorge, seine Existenz abzusichern, interessierte den bescheiden lebenden Künstler aus Arcueil nicht. Der nahezu Vierzigjährige unterwarf sich dem zweiten Studium allein um der Sache willen.

Erik Satie mit Monokeln und Hut
Würde man Erik Satie als mysteriösen Rätselsteller in einer Netflix-Serie – die zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt – sehen, könnte man sich denken: Gutes Casting! Der Komponist wusste die Monokel und den Hut genauestens einzusetzen.

Träumer, Kraikaturist, Experimentierer

Den Schwerpunkt in Saties Schaffen bilden seine Klavierwerke: Jugendwerke, Unterhaltungsstücke für Cafés und andere Vergnügungs-Orte, außerdem die Früchte aus seiner Zeit als spätberufener Schüler, Man kann in diesen Stücken ebenso wie in seinen Orchesterwerken alles finden: den Träumer, den Karikaturisten, den Experimentierer.

Für jemanden, dessen größte Lust zeitlebens in der humorig-verunsichernden Prüfung seiner Mitmenschen lag, musste, was Dada der Welt brachte, wie eine vom Schicksal bereitgehaltene Gelegenheit aussehen.

Satie muss lange warten, bis man seinen Orchesterwerken die gebührende Aufmerksamkeit schenkt. Mit verantwortlich dafür ist „Parade“, ein Ballett, das einen Skandal auslöst, uraufgeführt 1917 mit den berühmten Ballets Russes. Das Sujet geht auf Jean Cocteau zurück, Kostüme und Bühnenbild steuert Pablo Picasso bei.

Die Musik, die Satie angeblich in einem Café komponiert haben soll, ist kaum länger als fünfzehn Minuten, birgt aber reichlich Sprengstoff. Satie fordert in seiner Partitur eine Reihe von lärmenden Instrumenten. Hörbar werden sollen Flaschenspiel, „tönende Pfützen“, Lotterierad, Schreibmaschine, Nebelhorn, elektrische Klingel.

Für alle etwas dabei

Oliver Vogel führt akribisch durch das rätselvolle Leben und Werk von Erik Satie. Sein Buch ist ein Füllhorn an Beobachtungen, Vernetzungen, Anekdoten und gründlichen Auswertungen seiner Partituren. Er beleuchtet den Querdenker Satie von allen denkbaren Seiten, und geht mit den Metaebenen und Abgründen seines Denkens fast spielerisch um, dabei stets mit der gebotenen Sorgfalt und Gründlichkeit.

Für alle ist etwas dabei: für die musikwissenschaftlich geschulten Leserinnen und Leser ebenso wie für solche, die sich rein aus Neugierde und ohne Vorkenntnisse dem Phänomen „Satie“ nähern wollen, seiner Person und der Zeit, in der er gelebt hat. Vogel schreibt mit Verve und Gespür für Pointen – nicht zuletzt in dem Wissen darum, dass man sich Satie bis zu einer gewissen Grenze wohl nur nähern kann, ohne ihn vollends zu begreifen.

Auch auf die von vielen Vernebelungen geprägte Rezeption des französischen Sonderlings geht der Autor kurz ein. Oliver Jungens Buch „Erik Satie: Der skeptische Klassiker“ umfasst mehr als 700 Seiten und kostet knapp 60 Euro.

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