Buch-Tipp

Sachlich und lesenswert: „Ferenc Fricsay: Der Dirigent als Musiker“

Stand
Autor/in
Christoph Vratz

Der Dirigent Ferenc Fricsay kam 1914 in Budapest zur Welt, in jenem Jahr, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Vom Leiter einer Militärkapelle führte ihn seine Karriere zu den Salzburger Festspielen und zu renommierten Orchestern. Fricsays große Zeit als Dirigent liegt jedoch in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs, als er vor allem in Berlin maßgebliche musikalische (Wieder-) Aufbauarbeit geleistet hat.

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Außenseiter im internationalen Dirigenten-Geschäft?

Ferenc Fricsay war jemand, der vieles anders gemacht hat als zur damaligen Zeit üblich. Denn Fricsay war ein Dirigent, der auch die Ecken und Kanten der Musik geschätzt, sie hörbar gemacht und Klang auf diesem Hintergrund als etwas Ganzheitliches betrachtet hat. Schön und aufrüttelnd zugleich, ästhetisch ausgewogen und verstörend.

Er kommt 1914 in Budapest zur Welt, nach dem Studium in seiner Heimatstadt leitet er zunächst eine Militärkapelle, dann ein Sinfonie-Orchester – mit großem Erfolg. Während des Zweiten Weltkrieges leistet er im Verborgenen Hilfe für jüdische Künstler. Er wird angeklagt und muss in Budapest untertauchen. 1944 dann die Befreiung:

Und so kam der Tag in 44, 13. Januar, wo der Krieg dann für uns zu Ende war, wo russische Truppen Budapest besetzt haben. Ich habe inzwischen drei meiner Kinder gehabt, bin mit meiner kleinen jungen Familie in Budapest gewesen, versteckt in einem Keller […] Eine Woche nach der russischen Besetzung haben sich meine Freunde gemeldet, dass in drei Tagen ein Konzert stattfinden soll. Und so haben wir am 24. Januar ein erstes Konzert […] gegeben, wo nur ein paar hundert Meter von uns die Kämpfe im Gange waren. Die Leute waren dankbar zu spüren, dass wir leben können.“

Ferenc Fricsay beim Dirigieren
Ferenc Fricsay 1960 im Herkulessaal, München. Fricsay war einer der Schlüsselfiguren des kulturellen Wiederaufbaus in Berlin nach dem zweiten Weltkrieg.

Omnipräsent auf Schallplatten und im Fernsehen

Nach der Befreiung nimmt Fricsays Karriere Fahrt auf, vor allem, als er 1948 nach Berlin kommt. Fricsay wird Generalmusikdirektor an der Städtischen Oper, dirigiert die Berliner Philharmoniker und übernimmt die Leitung des neu gegründeten RIAS-Symphonie-Orchesters.

Es ist die Zeit, als die Schallplatte zu boomen beginnt, und so wächst auch die Diskographie des Ferenc Fricsay überdurchschnittlich schnell. Seine Proben lässt er für das Fernsehen mitschneiden. 

Eine neue Form der Musikvermittlung an neue Hörerschichten, besonders solche, die noch nicht regelmäßig Konzerte besuchten, als eine Aktivität innerhalb des Informations- und Unterhaltungsmediums Fernsehen mit durchaus pädagogischer Absicht, besonders für Jugendliche, entwickelte der SFB Anfang der 1960er Jahre zusammen mit Fricsay. Trotz einiger kulturkritischer Alarmglocken war Fricsay von der positiven Wirkung solcher Veranstaltungen auf den breiten Musikgeschmack, um Interesse an Musik zu wecken, überzeugt.“

Ferenc Fricsay mit dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin (heute Deutsches Symphonieorchester Berlin) mit der Háry János-Suite von Zoltán Kodály von 1962

Entschlossen für die eigenen Ideale

Der Musikhistoriker und Publizist Peter Sühring hat sich auf Spurensuche begeben und eine Biographie über Leben und Wirken des Ferenc Fricsay verfasst. Zu ihren Quellen zählt auch der zugänglich gemachte Nachlass im Archiv der Akademie der Künste in Berlin.

Dass dieses Buch auch aufgrund eigener Hörerfahrungen und einer gewissen Bewunderung für Friscays Arbeit entstanden ist, wird zwar im Vorwort thematisiert, doch es überlagert nicht die Qualität der folgenden Kapitel. Von Beweihräucherung ist keine Spur, vielmehr schreibt Sühring sehr präzise und ufert nie aus.

Gerade die frühen Jahre Friscays schildert Sühring sehr anschaulich. Zeitgenössische Rezensionen werden nur sparsam berücksichtigt. So entsteht das Bild eines Dirigenten, der entschlossen für seine Ideale kämpft:

Sein oft bis zum Aufzehren der letzten Kräfte getriebener Einsatz beim Vorbereiten und Realisieren künstlerischer Ereignisse in Opernhäusern, Konzertsälen und Aufnahmestudios stieß auf bürokratische Schranken und auf Maßnahmen, die gegen die Autonomie künstlerischer Entscheidungen gerichtet waren. Dies alles führte zu Konflikten und dazu, dass Fricsay seine musikalischen Ansprüche nicht immer realisieren konnte.“

Erfreulich sachlich und lesenswert

Der auch international zunehmend gefragte Dirigent stirbt im Februar 1963, mit nur 48 Jahren. Ein Leben auf der Überholspur, das zu früh seinen Tribut fordert.

„Ferenc Fricsay: Der Dirigent als Musiker“ – Peter Sührings 200-Seiten-Monographie ist bei der edition text + kritik erschienen und kostet 26 Euro. Ein erfreulich sachliches und lesenswertes Buch.

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Christoph Vratz