Diese erste vollständige Biografie Oskar Frieds ist die Geschichte eines Getriebenen, vom Zirkusclown zum internationalen Dirigenten, vom politischen Komponisten zum Geheimagenten. Am Beispiel dieses engen Mahler-Freundes, der 1923 die erste Aufnahme seiner 2. Sinfonie leitete, zeigen sich die Mechanismen der künstlerischen Netzwerke seiner Zeit. Die Beschäftigung mit Fried wirft ein Schlaglicht auf das Innenleben des europäischen Kulturschmelztiegels – vom Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg, von der blühenden Kultur der Weimarer Republik bis in die Dunkelheit des Nationalsozialismus und der jungen Sowjetunion.
Hornbläser, Zirkusclown, Komponist, Hundezüchter – und Freund Gustav Mahlers
„Ich bin immer ganz erfrischt von einem solchen Menschen, der mit seiner Kunst durch die Wand rennt, der sich prellt dabei aber sie schließlich durchstößt.“
So der Schriftsteller Stefan Zweig 1915 in seinem Tagebuch über Oskar Fried, das Multitalent, den Allrounder in vielen Belangen. Fried, der 1871 geborene Sohn einer armen Berliner Kaufmannsfamilie, führt ein denkbar buntes Leben: er beginnt seine musikalische Laufbahn als Hornbläser und verdingt sich zunächst als Wandermusikant und Zirkusclown; er beginnt zu komponieren und arbeitet in Berlin als Hundezüchter.
Er wird Freund von Gustav Mahler und dirigiert die Berliner Philharmoniker und andere führende Orchester zwischen London und St. Petersburg. Er betätigt sich als Agent für den Diplomaten Harry Graf Kessler und emigriert schließlich nach Russland.
François-Xavier Roth dirigiert Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5 cis-Moll
Freund oder Feind?
Maler wie Max Liebermann porträtieren ihn, er selbst pflegt regen Kontakt mit Schriftstellern wie Rilke, Schnitzler oder Wedekind. Fried ist ein brillanter Netzwerker. Die Kehrseite: Mitunter stößt ihm blanke Ablehnung entgegen. Von Anton Webern wird er als „scheußlicher Kerl“ beschimpft, Arnold Schönberg nennt ihn einen „Reißer“, und auch Hans Pfitzner und Edgar Varèse haben kein gutes Wort für ihn übrig. Wer also war dieser Oskar Fried?
„Ich bin ein fahrender Musikant, den ausser seinem Fach Naturschönheiten, Land und Leute interessieren, der im übrigen aber nur ein Reich anerkennt, das schönste, idealste Reich, das Reich der Musik.“
Fried arbeitet auch als Komponist, er vertont Texte von Dehmel und Nietzsche und schreibt eine Oper nach einem Textbuch von Otto Julius Bierbaum. Doch der entzieht ihm die Genehmigung zur Aufführung, nachdem Fried ihm die Frau ausgespannt hatte.
Weltneuheit Schallplatte
Bereits in den Jahren zwischen 1906 und 1911 erscheinen vier Monographien über den gerade mal 40-jährigen Oskar Fried, dessen Leben durchweg als pathetisch-romanhaft beschrieben wird. Ein Sonderling, dessen Ruf sich wie ein Lauffeuer in feuilletonistischen Kreisen verbreitet, zumal er eine Reihe von Ur- und Erstaufführungen leitet.
Seinen Ruf als Anwalt der Moderne festigt Fried vor allem durch den Einsatz für die Musik seines Mentors Gustav Mahler. Außerdem erweist sich Fried als ein der damaligen Technik gegenüber aufgeschlossener Mensch. Er ist der erste Dirigent, der große sinfonische Werke wie Bruckners siebte oder Beethovens neunte Sinfonie für das noch junge Medium Schallplatte festhält.
Anton Bruckners 7. Sinfonie mit dem SWR Symphonieorchester unter Christoph Eschenbach
Wissenschaftlich und gleichzeitig sehr gut lesbar
Der Dortmunder Musikwissenschaftler Alexander Gurdon hat jetzt eine fulminante Biographie über Oskar Fried veröffentlicht, die erste seit über hundert Jahren und die ausführlichste überhaupt. Gurdon zeichnet Frieds Leben in all seinen Höhen und Tiefen, mit allen Skurrilitäten und überraschenden Wendungen nach, doch immer sachlich und ohne jeden voyeuristischen Anflug.
Vor allem aber hat Gurdon ein Buch geschrieben, das zwar wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, aber jederzeit sehr gut lesbar bleibt und damit auch für ein großes Musikliebhaber-Publikum interessant ist.
Ausführliche Biografie
Anschaulichkeit ist eines von Gurdons obersten Prinzipien, ob bei der Beschreibung ungewöhnlicher Probenmethoden oder bei Frieds menschlichen Eigenschaften. Allein der Anhang (mit Diskographie, sämtlichen Nachweisen und vor allem ausgewählten Schriften über Fried) füllt mehr als 150 Seiten.
Alexander Gurdon gebührt das Verdient, Leben und Wirken des Oskar Fried in aller schillernden Vielseitigkeit und auf sehr unmittelbare Weise aufgearbeitet zu haben. Der 680 Seiten starke Band „Von Mahler bis Moskau – Der Dirigent und Komponist Oskar Fried“ ist im LIT Verlag erschienen und kostet 69,90€.