Donaueschinger Musiktage 2001 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2001: "Circle of Time"

Stand
AUTOR/IN
Takuya Imahori, aus dem Englischen: Lydia Jeschke

Takuya Imahori

Das Motiv für diese Komposition stammt aus einer Kurzgeschichte von Guy de Maupassant. Viele seiner Geschichten beginnen mit einer statischen Zeitachse, indem eine pittoreske Szenerie zyklisch gezeichnet wird. Wenn sich die Geschichte entwickelt und eine Heldin in den Mittelpunkt rückt, verändert sich die Zeitstruktur hin zu einer dynamischen Zeitachse, doch sobald die Geschichte ihren Höhepunkt erreicht hat, blendet sie sich zu ihrer ursprünglichen Szenerie und der statischen Zeitachse zurück.

Während wir zum Beispiel die Bilder in einem Museum betrachten, entfaltet sich das Drama einer Heldin in der Betrachtung des Bauernmädchens – einer Heldin – das am Rande einer Pastoralszene dargestellt ist, welche selbst beinahe statisch ist, sich aber in einer sanften Kreisbewegung verändert. Die kreisförmige Zeitstruktur, die sich in der Erzählung Maupassants entwickelt, lässt – obgleich nur durch das Medium Geschichte – einen pittoresken Raum entstehen.

Auf der Grundlage dieser Struktur habe ich die Transformation von Raum in Zeit verfolgt, im Rahmen einer multiplen Zeitstruktur, die ich in meine früheren Werken zu integrieren versuchte, z.B. in Dew from tree für Blechbläser und Schlagzeug, The Snow Fairy für Orchester und Reciprocation für zwei Shamisen, dreisaitige japanische Instrumente.

Es gibt in Circle of time keine metrischen Unterteilungen, und jeder Spieler hat ein individuelles Tempo. Der Dirigent dirigiert nicht, sondern er gibt numerische Zeichen.

Interaktionen zwischen den Musikern sind streng vorgegeben. Das spiegelt meine Erfahrungen mit der Übernahme einer Zeitsequenz, die es nur in der japanischen Musik gibt, in meine eigene Komposition, die auf Shamisen-Musik basiert. Die Reibungen mehrschichtiger Zeitverläufe, die übereinander gezogen werden, schafft eine große Zugkraft einem Höhepunkt zu.

Das gesamte Stück hindurch basiert der Klang auf einem einzigen Kernakkord und seinen Ableitungen. Der Klang variiert je nach den verschiedenen Tönungen, die von einer musikalischen Note bis zum tosenden Klang nahe dem weißen Rauschen reichen – der Geräuschklang entsteht durch den häufigen Gebrauch einer speziellen Spieltechnik und melismahafter Glissandi. Der Widerhall des zentralen Akkords im ganzen Stück wird durch verschiedene Klangbilder modifiziert, durch wechselnde harmonische Obertöne und lärmende Klänge.

Dies alles bezieht sich eigentlich auf die Zeitstruktur des Stücks. Der fixierte Akkord wird mit der kreisenden statischen Zeitstruktur kombiniert, um eine Bildfläche für die gesamte Szene zu schaffen. In Verbindung mit der Entwicklung der dynamischen Zeitachse interagieren und entwickeln sich zusätzlich verschiedene Klänge, die aber stets zum Kernakkord zurückkehren. So werden die Achsen von Zeit und Raum in einander geblendet und führen zum Titel Circle of time.

Stand
AUTOR/IN
Takuya Imahori, aus dem Englischen: Lydia Jeschke