"weil ich, seit die Sonne, als der Wind, der immer weht, gedreht hat, dass der Sand zur Seite fiel, windstill, aufgegangen ist, dass der Tag anbrach und bricht, im Licht dich wie du mich und wieder sehe, sehe ich, während, wie, wie ich sehe, immer deine Stirn, die Augen, Mund, das Haar, der Hals und deine Schultern, Brust und Arme, deine Hände atmen, wie die Hände, Brust und Arme, deine Schultern und der Hals, Haar und Mund, die Augen, deine Stirn noch atmen, dass du, während, Schweiß auf allem, Stirn und Augen, Mund und Haar, Hals, die Schultern, Arme, Brust und Hände atmen, in der nächsten Stunde gehst, wie ich sehe, seit der Wind, der immer weht, gedreht hat, dass der Sand zur Seite fiel, windstill"
Händl Klaus
Apon projiziert einen Text des österreichischen Dramatikers Händl Klaus in den Orchesterklang. Im Zentrum des kompositorischen Interesses von Beat Furrer steht "der Weg vom Sprechen zum Singen, der Raum zwischen Sprache und Stimme". In der zweiteiligen Komposition geht es um die Spannbreite zwischen zwei Extremen: der sprechenden und der abwesenden Stimme. Beat Furrer komponiert auf das "Abwesende" zu, wie der Titel Apon wörtlich übersetzt heißt. Das Spannungsverhältnis von Sprache und Stimme lässt sich letztlich im Moment der Auslöschung der Stimme in der Artikulation, in der Sprachgebung, fokussieren. Und diese Auslöschung scheidet die Äußerung des Tiers von der menschlichen Sprache: "Die leere Stimme des Tiers erhält eine unendlich in sich bestimmte Bedeutung. Das reine Tönende der Stimme, das Vokale, unterscheidet sich selbst, indem das Organ der Stimme seine Gliederung als eine solche in ihren Unterschieden zeigt", so Hegel 1804 in seinen Jenaer Vorlesungen zur Naturphilosophie: "Dieses rein Tönende wird durch die stummen Mitlaute unterbrochen, das eigentlich Hemmende des bloßen Tönens (…). Die als tönend gegliederte Sprache ist Stimme des Bewusstseins darin, dass jeder Ton Bedeutung hat, d.h. dass in ihm ein Name existiert, die Idealität eines existierenden Dings, das unmittelbare Nicht-Existieren desselben."
Um die Facetten dieser Spannung geht es in Beat Furrers Komponieren. Die Szenerie in Apon "beginnt fiebrig, von gleißendem Morgenlicht ausgelöst" (Händl Klaus): eine Stimme in der Wüste. Der Text von Händl Klaus verschraubt einen Schlüsselsatz in Bilder von Helligkeit und Hitze: "Weil ich dich sehe, sehe ich, dass du in der nächsten Stunde gehst, wie ich sehe". Vorweggenommen wird in diesem Satz ein dramatisches Moment (das Fortsein, der Tod?), das mit einem orchestralen Schrei den zweiten Teil der Komposition eröffnet. Ein instrumentales Singen klingt dann im Orchester nach: die abwesende, transformierte Stimme.
Beat Furrer über Apon: "Im Zentrum stehen zwei Stimmen. Die eine ist – im ersten Teil – die sprechende. Ich habe die harmonische Struktur dieser Stimme analysiert und instrumental nachgebildet. Die Idee war, dieser sprechenden Stimme eine Resonanz zu geben, das heißt, diese instrumental ständig zu verändern. Am Anfang ist der Raum ganz trocken, eng, er wächst stetig. Es ist so, als würde der Sprecher zunehmend in einem Raum versinken. Ich habe den Nachhall instrumental verlängert. Das ist die erste Perspektive auf die Stimme, die ich durch die tatsächlich gesprochene verdoppele. Diese Stimme nachzubilden, heißt natürlich, die Instrumente perfekt miteinander verschmelzen zu lassen. Anzustreben wäre fast ein sinusartiger Klang des einzelnen Instrumentes, dessen Charakteristik im Gesamtklang aufgeht. Es ist eine feine Polyphonie innerhalb des Klanges der Sprechstimme: Glissandi einzelner spektraler Komponenten des Gesamtklangs, die aber zu einem Ganzen verschmelzen, die Einzelinstrumente sollen kaum identifizierbar sein."
Die Vorstellung der sprechenden Stimme in der Wüste wird mit einem szenischen Vorgang verbunden, als befände sich die Stimme in Bewegung. "Am Anfang ist sie noch eingebettet in einen zitternden, flirrenden Klang aus Akkordeon, Viola und Violoncello sul ponticello, der dann in Repetitionen des Klaviers umgeformt wird, die Geschwindigkeit suggerieren. Die sprechende Stimme wird musikalisch in Bewegung gebracht, indem ich sie zunehmend im Raum verschwinden lasse."
Geht es im ersten Teil von Apon um die Veränderung des Außenraums der sprechenden Stimme, so wird im zweiten Abschnitt der Gesang einer abwesenden Stimme im Orchester und ihr sich verändernder innerer Resonanzraum nachgebildet. "Ich lasse eine gesungene Stimme instrumental nachklingen, und zwar in allen klanglichen Qualitäten, vom sehr verzerrten Schreien am Beginn bis zum harmonischen gesungenen Klang." Vorbild war, wie auch in der Ensemblekomposition Xenos, der Gesang eines Imams in einer türkischen Moschee: "Diese gesungene Stimme hat mich fasziniert, weil sie den Resonanzraum, die Position im Körper dauernd verändert, manchmal kehlig, manchmal brustgestützt, manchmal gepresst, manchmal resonant. Und das habe ich durch zahlreiche Filtereinstellungen auf den gesungenen Grundton versucht, instrumental nachzubilden. Es geht hier also nicht um den Außenraum, sondern um den Innenraum der Stimme. Die Wahrnehmung des Raumes hängt auch mit der Fähigkeit der Wahrnehmung einer Stimme zusammen, diese ist nichts anderes als eine räumliche Wahrnehmung. Unsere Fähigkeit, den Raum ständig zu verändern, ist die Fähigkeit, zu sprechen. Das ist das Wichtige in der Gegenüberstellung der beiden Sätze der Komposition."
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- Beat Furrer, Apon für Orchester und Sprechstimme
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