Zugespitzt gesagt: Sie war für den Opernbetrieb im 19. Jahrhundert so bedeutend wie Anna Netrebko und Jonas Kaufmann zusammen: die Sopranistin Wilhelmine Schröder-Devrient. Ihre historische Bedeutung wird jetzt in einem Buch von Anno Mungen deutlich: „Die dramatische Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient. Stimme, Medialität, Kunstleistung“. Christoph Vratz hat es gelesen.
Nein, natürlich haben wir keine Aufnahmen von ihr, und doch strahlt ihre Bedeutung bis heute, auch weil Komponisten wie Robert Schumann ihr ganze Liederzyklen gewidmet haben. Die historische Bedeutung von Wilhelmine Schröder-Devrient liegt in dem, was wir heute nicht beispielhaft dokumentieren können: ihre Stimme.
Bis in die 1840-er Jahre steht Schröder-Devrient auf der Bühne
Diese in den 1860er Jahren erschienene Würdigung fasst zusammen, was Wilhelmine Schröder-Devrient so besonders macht. Geboren im Dezember 1804, gibt sie mit nur 16 Jahren ihr Debüt als Pamina in Mozarts „Zauberflöte“. Bis in die 1840er Jahre steht sie als prägende Darstellerin auf der Bühne, rund vier Jahrzehnte lang.
Außerordentliche Wahrhaftigkeit beim Singen
Die Karriere der Wilhelmine Schröder-Devrient ist eng mit der Rolle der „Leonore“ in Beethovens „Fidelio“ verbunden. Nicht nur ihre authentische Art, wie sie die Partie der großen Befreierin verkörpert hat, auch ihre Wahrhaftigkeit beim Singen wird in verschiedenen Zeitdokumenten als außerordentlich beschrieben:
Autor Anno Mungen, der unter anderem in Bayreuth Theaterwissenschaft lehrt, nimmt den Leser mit großer Sorgfalt an der Hand und führt ihn durch das Sängerleben der Wilhelmine Schröder-Devrient.
Schröder-Devrient animiert Komponisten zu neuen Formen des Operngesangs
Chronologisch schreitet er durch ihre Bühnenkarriere und stellt ihre Rollen immer in einen individuellen und einen übergeordneten Kontext: einerseits, wie sie ihre Partien darstellerisch und gesanglich verkörpert hat, andererseits wie sie auch Komponisten zu immer neuen Formen des Operngesangs animiert hat. Um das Optimum ihrer Fähigkeiten zur Geltung zu bringen, bittet sie etwa Richard Wagner, die „Ballade“ der Senta im „Fliegenden Holländer“ von a-Moll nach g-Moll umzuschreiben.
Ur-Mutter des emphatischen Gesangs
Anno Mungen gelingt es darzustellen, dass weiblicher dramatischer Gesang, wie er heutzutage auf den Bühnen zu erleben ist, meist auf Wilhelmine Schröder-Devrient zurückzuführen ist: als eine Art Ur-Darstellerin oder Ur-Mutter des emphatischen Gesangs auf der Opernbühne des 19. Jahrhunderts.
Besondere Wandlungsfähigkeit der Stimme
Ihre Bedeutung hängt auch mit einer besonderen Wandlungsfähigkeit der Stimme zusammen (und damit einhergehend mit einem auffallend weit gespannten Repertoire), mit der Vielfalt ihrer stilistischen Mittel (Singen, Schreien, Sprechen), mit (auch in der Höhe) besonders lang gehaltenen Tönen und einer Art von unmittelbar-suggestivem Agieren auf der Bühne. Autor Mungen liefert eine sehr sachliche, detaillierte Beschreibung. Ihm gelingt herauszuarbeiten, woran schon manch zeitgenössischer Kritiker im 19. Jahrhundert gescheitert ist:
Lesenswerte Untersuchung
In Anno Mungens Buch „Die dramatische Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient. Stimme, Medialität, Kunstleistung“ werden eine möglichst genaue Beschreibung der Stimme, die Entwicklung des Genres Oper und eine „Phänomenologie des Singens“ erfreulich eng miteinander verzahnt. Die Kompaktheit der Untersuchung belegt allein die Seitenzahl: Knapp 150 Seiten kosten 19 Euro 80. Erschienen ist dieses lesenswerte Buch bei Königshausen & Neumann.
Musikmarkt: Buch-Tipp Willem Bruls: Venedig und die Oper – Auf den Spuren von Vivaldi, Verdi und Wagner
Zahlreiche Komponisten wie etwa Claudio Monteverdi, Antonio Vivaldi, Richard Wagner oder Benjamin Britten ließen sich von Venedig inspirieren. Die musikalischen Stationen dieser Stadt erkundet Willem Bruls in seinem Buch „Venedig und die Oper“, das nun in deutscher Übersetzung im Henschel Verlag erschienen ist. Lara Fischer hat sich – zumindest gedanklich – auf Entdeckungsreise begeben.