Instrument des Jahres 2025

Neue Wege für die Stimme: Diese Rock-Pioniere änderten das Singen maßgeblich

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Autor/in
Julian Burmeister
Julian Burmeister
Onlinefassung
Dominic Konrad

Gesang hatte stets eine unveränderliche Eigenschaft: Vor allem sollte die Stimme wohlgeformten Klang produzieren. Das änderte sich mit der Rock-Musik der 1960er-Jahre radikal, dank der „Pioniere des Schreiens“: Mick Jagger, Jim Morrison, Janis Joplin und Roger Daltrey.

Eine schöne, melodische Singstimme, saubere Intonation und ein gleichmäßiges Vibrato: Das war lange ungefähr das ästhetische Ideal, nach dem Sängerinnen und Sänger in der Unterhaltungsmusik strebten. Mit dem Aufkommen der Schellackplatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts änderte sich daran zunächst wenig.

Langsam setzte eine Demokratisierung der populären Musik ein: Die rauen Stimmen von Bluesmusikern wie Ma Rainey und später Muddy Waters oder Howlin' Wolf wurden einem breiten Publikum bekannt und gelangten, wie auch die Schallplatten der ersten Rock'n'Roller, nach Übersee.

Sängerin Aretha Franklin in Blues Brothers
Sie rief nach „Freedom“ während der Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre in ihrem Song „Think“: Soul-Königin Aretha Franklin

Der Schrei hat sich mehr und mehr eingeschlichen

Wer nun wirklich den Schrei in der Popmusik populär gemacht hat, ist eine Glaubensfrage. An dieser Stelle seien (neben vielen anderen) Ray Charles, Little Richard, Aretha Franklin und Etta James als Wegbereiter genannt. Sie machten das kraftvolle „Schmettern“, das Belting, im Gesang salonfähig.

Ab den 1960er-Jahren hielt jedoch eine brachialere Form der Stimmnutzung in die Rock-Musik Einzug: das Schreien. Es sollte die Vorstellungen von gesanglicher Ästhetik massiv verändern.

The Rolling Stones: „(I Can't Get No) Satisfaction“

Die Rolling Stones bei einem Auftritt in der Ed Sullivan Show (1966)
Unruhestifter des Rock: Die Rolling Stones bei einem Auftritt in der Ed Sullivan Show im Jahr 1966: Bill Wyman, Brian Jones, Mick Jagger, Charlie Watts und Keith Richards (von links).

Der Schrei in der Rockmusik ist vom amerikanischen Rhythm and Blues der ausgehenden 1950er-Jahre beeinflusst. In den USA eher Nischenmusik, fand er in Europa vor allem unter jungen Hörern begeisterte Nachahmer. Deren Musik wurde wiederum bei der amerikanischen Jugend unfassbar populär.

Während die Beatles mit eingängigen Melodien und bravem, oft zweistimmigem Gesang ab 1963 den Weg für britische Bands in die USA bereiteten, sorgten die Rolling Stones umgehend für Skandale.

Ihr Auftreten galt der älteren Generation als ungehobelt und Mick Jaggers Gesang auf „(I Can't Get No) Satisfaction“ (1964) nicht viel mehr als sexualisiertes Gegröle.

The Rolling Stones - (I Can't Get No) Satisfaction - Hampton Live 1981 OFFICIAL

The Who: „My Generation“

Farbfoto der Band The Who in den 1960er-Jahren. Die Bandmitglieder blicken frontal in die Kamera.
Wegweisende britische Band der 1960er-Jahre: The Who mit Pete Townshend, Keith Moon, Roger Daltrey und John Entwistle (von links)

Sie waren ebenfalls britisch und auf Provokation aus: 1965 traten The Who ins Rampenlicht.

Sie verhöhnten in ihrem Hit „My Generation“ die spießige Elterngeneration mit Textpassagen wie „I hope I die before I get old“ (Deutsch: Ich hoffe, ich sterbe before ich alt werde). Sänger Roger Daltrey stotterte beim Singen auch noch absichtlich – ein neuer Meilenstein der Dekonstruktion des Singens.

The Who - My Generation - LIVE (1967)

The Doors: „Break On Through (To The Other Side)“

The Doors-Frontmann Jim Morrison beim Konzert. Er blickt zur Seite, das Standmikrofon in der Hand.
Der frühe Tod von Jim Morisson am 3. Juli 1971 führte zum frühen Aus von The Doors. Die Band löste sich 1973 auf.

Zur gesellschaftlichen Revolution der 1960er-Jahre gehörte genauso wie die Musik auch der Konsum bewusstseinserweiternder Substanzen. Gerade die sollten dabei helfen, die „Pforten der Wahrnehmung“, wie sie der amerikanische Autor Aldous Huxley in einem Essay beschrieben hatte, zu überwinden.

Die kalifornische Band The Doors wählte ihren Namen nicht nur in Anlehnung an Huxleys Essay, Frontman Jim Morrison thematisierte diesen Konsum auch in seinen Texten, zum Beispiel in „Break On Through (To The Other Side)“ von 1967.

Der Song musste ohne die aus Leibeskraft geschriene Textzeile „She get high“ (Deutsch: Sie wird high) auskommen, als die Band zum ersten Mal im Fernsehen auftreten durfte.

The Doors - Break On Through (To The Other Side)

Janis Joplin: „Piece of My Heart“

Sängerin Janis Joplin mit dem Mikrofon in der Hand. Sie ist lachend in Bewegung zu sehen.
Sie war der erste weibliche Rockstar der Musikgeschichte: Zwischen 1966 und 1968 trat Janis Joplin mit der Band Big Brother and the Holding Company auf. Ein Jahr später starb sie an einer Überdosis Heroin.

Auch Emanzipation spielte eine Rolle beim Aufbruch ins neue Gesangszeitalter. Dass Frauen ihre Gefühle beim Singen herausschreien, war lange völlig undenkbar. Auch in den wilden 1960er-Jahren blieb dies ein verpöhnterer Gedanke, als wenn Männer es taten.

Diese Mauer durchbrach schließlich Janis Joplin mit ihrer Band Big Brother & The Holding Company.

Big Brother & The Holding Company, Janis Joplin - Piece of My Heart (Official Audio)

Ab 1967 ging es mit dem Schreien in der Pop- und Rockmusik steil bergauf. Es folgten zahllose Sängerinnen und Sänger, die genau dafür berühmt wurden. Viele Musik-Genres wie Punk, Metal, Grunge und ihre jeweiligen Spielarten wären ohne die Schrei-Revolution der 1960er-Jahre undenkbar gewesen.

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