Mann oder Bär? Literarische Antwort auf die TikTok-Debatte

Weiblichkeit, Wut und Klimawandel: Die Bücher der US-Schriftstellerin Lauren Groff

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Autor/in
Nina Wolf

Stephen King und Barack Obama zählen zu ihren Fans, ihre Bücher landen zuverlässig auf den Bestsellerlisten. Lauren Groff hat Erfolg: Was ist ihr Geheimnis?

Ein Braunbär im Wald
Der Grizzly im Wald als größte Gefahr? Nicht für viele Frauen im Internet. Lieber würden sie einem Problembär begegnen als einem fremden Mann.

Würden Sie alleine im Wald lieber einem Bären oder einem Mann begegnen?

Diese Frage stellen sich gerade Millionen User der Social-Media-Plattform TikTok. In einem Video einer Straßenumfrage von „Screenshot HQ“ in London sind sich die Frauen bei der Frage „Man or Bear?“ – „Mann oder Bär“ größtenteils einig. Sieben von acht sagen, den Bären würden sie klar bevorzugen. „Definitiv ein Bär. Manche Männer da draußen sind angsteinflößend“, antwortet eine der Befragten.

In TikTok-hafter Manier verbreitet sich die Frage über das hypothetische Szenario gerade auf der Plattform, die Videos werden millionenfach geliket und eigene Varianten erstellt.

Die Kommentare unter den TikToks klingen meist ähnlich, so schreibt etwa eine Nutzerin: „Die Leute würden mir glauben, würde ich von einem Bären angegriffen. Mir würde nicht vorgeworfen werden, was ich an hatte und mit dem Bärenproblem würde umgegangen werden.“

Eine andere Kommentatorin meint: „Bei einem Bären kann ich darauf vertrauen, dass er sich wie ein Bär verhält. Das Schlimmste, das ein Bär mir antun kann, ist mir den Kopf vom Körper zu reißen. Nicht meine Kleidung.“

Hier wird klar: Um den Bären geht es bei der skurrilen Frage eigentlich gar nicht. Die Frauen sind sich einig: Die Gefahr, die von einem Bären ausgeht, ist berechenbar. Die Angst vor sexueller Gewalt ist groß und allgegenwärtig. Der Trend heizt die altbekannte Debatte um die Sicherheit von Frauen an.

Würde auch den Bären wählen: Die Hauptfigur in „Die weite Wildnis“

Literarisch hat eine Autorin das „Man or Bear“-Szenario eigentlich schon im Jahr 2023 ausdekliniert: In ihrem Abenteuerroman „Die weite Wildnis“ schreibt die US-amerikanische Schriftstellerin Lauren Groff von dem Mädchen Lamentatio.

Selbst ein guter Mann war todbringender als der schlimmste aller Bären.

Der Roman spielt im 17. Jahrhundert, Lamentatio ist die Leibeigene einer Londoner Familie, die nach Nordamerika übersiedelt. In der britischen Kolonie, die in ihrer Beschreibung an Jamestown erinnert, herrscht eine Hungersnot. Gewalt und Krankheit gehören zum Alltag, Ureinwohner belagern die Siedlung. Aber auch innerhalb der Grenzen gehört Brutalität zur Tagesordnung.

Lamentatio flieht in den winterlichen Wald, in die titelgebende weite Wildnis. Ausgerüstet mit einem Messer und einem Beil jagt sie, sucht Pilze und Beeren, sie überlebt. Der gnadenlosen Natur ist sie ausgeliefert, das Mädchen hungert, sie erkrankt und ist ziellos. Was treibt Groffs Protagonistin zu diesem Überlebenskampf an? Es sind nicht nur Krankheit und Hunger, die Lamentatio aus der Kolonie in den Wald drängten.

Die Autorin streut die Hinweise auf die Motive der jungen Frau im Laufe der Erzählung häppchenweise ein. Träume, Erinnerungen und Halluzinationen plagen Lamentatio. Sie flüchtete nicht nur vor dem Hunger in der Siedlung, sondern vor allem vor den Herren der Schöpfung. Die fürchtet sie mehr als die Bären, denen sie im Wald begegnet. „Man or Bear?“ – Lamentatio wählt lieber die Bären.

Groffs Sprache ist dicht und poetisch, stilistisch kombiniert sie Nature Writing, Abenteuergeschichte und historischen Roman. Die Verhältnisse zwischen Mensch und Natur, Religion und Macht, Weiblichkeit und Wut sind zentrale und wiederkehrende Themen in Groffs Schreiben.

Barack Obama ist ihr Fan

Barack Obama in einem Buchladen in Chicago. Der ehemalige US-Präsident teilt seine aktuellen Lieblingsbücher zum Jahresende auf Social Media. Lauren Groff hat es mit den Romanen "Licht und Zorn" und "Die weite Wildnis" schon zweimal auf die Liste geschafft.
Barack Obama in einem Buchladen in Chicago. Der ehemalige US-Präsident teilt seine aktuellen Lieblingsbücher zum Jahresende auf Social Media. Lauren Groff hat es mit den Romanen „Licht und Zorn“ und „Die weite Wildnis“ schon zweimal auf die Liste geschafft.

„Die weite Wildnis“ ist Lauren Groffs fünfter Roman. Barack Obama setzte ihn 2023 auf die Liste seiner Lieblingsbücher des Jahres. Für ihr Debüt „Die Monster von Templeton“ begeisterte sich schon der Horror-Autor Stephen King. „Licht und Zorn“, ein Roman, in dem sie die Geschichte einer Beziehung aus den Perspektiven beider Eheleute erzählt, kürte der ehemalige US-Präsident Obama zu seinem Lieblingsbuch 2015.

Ein Buchladen setzt ein Zeichen gegen Bookbanning

Lauren Groff, geboren 1978, lebt in Gainesville, Florida – in einem Staat, in dem der konservative Gouverneur Ron DeSantis an der Spitze steht und in dem Bücher aus Klassenräumen und aus Schulbibliotheken verbannt werden.

In keinem anderen US-Staat werde das Bookbanning so weitreichend wie hier betrieben, 5.100 Bücher seien tabu, so PEN America. Auch Groffs „Licht und Zorn“ ist in den schulischen Regalen des Staates nicht mehr zu finden. Im Roman wird eine Abtreibung geschildert, außerdem gibt es Sexszenen.

Diesen Umstand will Lauren Groff so nicht hin nehmen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann eröffnete sie im Mai 2024 einen unabhängigen Buchladen, in dem die exilierte Literatur prominent angeboten wird.

„The Lynx“ heißt der Store, benannt nach einer in Florida heimischen Wildkatze. Das Motto des Geschäfts: „Watch Us Bite Back“ – „Schaut, wir beißen zurück“.

Der Erzählband „Florida“: Die Klimakatastrophe kommt

Groff macht ihre Wahlheimat Florida auch zu ihrem literarisches Thema. In der 2018 erschienenen Kurzgeschichten-Sammlung „Florida“ schreibt sie von der vom Klimawandel geprägten Gegenwart. In den elf Geschichten tummeln sich Alligatoren und Schlangen in tropischer Hitze. Im Mittelpunkt der Geschichten stehen oft Frauen, Mütter, mit zwei Söhnen – so wie Groff selbst.

Hörbuch Lakonisch und tiefgründig – „Yport“ von Lauren Groff

Eine Schriftstellerin will endlich mit ihrer Arbeit über Guy de Maupassant weiterkommen, an der sie seit zehn Jahren sitzt. In dem kleinen Fischerdorf Yport an der normannischen Küste soll ihr gelingen, was ihr im heimischen und schwülen Florida misslingt.

Gelesen von Patrycia Ziolkowska

In der Geschichte „Yport“ will eine Mutter vor ihren Panikattacken und der schwülen Hitze Floridas fliehen, mit ihren Söhnen reist sie in die Normandie. Sie recherchiert zu Guy de Maupassant, den nicht nur ihre Söhne zu hassen beginnen.

Die weibliche Wut als Antrieb

Weibliche Wut ist die subversive Kraft ihrer Hauptfiguren. Sie treibt sie an: Dank der Wut überlebt Lamentatio in „Die weite Wildnis“. In der fiktiven Biografie der bretonischen Dichterin Marie de France in „Matrix“ sind es Spiritualität und Wut, die die Protagonistin anspornen.

Lauren Groff liest 2023 auf der Lit.Cologne, dem internationalen Literaturfestival
Lauren Groff liest 2023 auf der Lit.Cologne, dem internationalen Literaturfestival

Noch etwas, das die Autorin mit ihren Figuren gemein hat. Denn auch sie ist eine Frau, die wütend ist. Bei der Amtseinführung Donald Trumps demonstrierte Groff in Washington. Nach der Wahl im November 2016 schrieb sie in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung: „Wenn es darum geht, auf eine solche Katastrophe zu reagieren, bleibt nur die Wahl zwischen Kampf und Flucht. Wir werden kämpfen.“

Wie viele ihrer Figuren ist Lauren Groff wütend. Sie ist eine Autorin, die sich wehrt: Gegen ultrakonservative Politik in den USA, gegen die Einschränkung der Kunstfreiheit, gegen die Entfremdung von Menschheit und Natur. Wahrscheinlich würde es Lauren Groff auch mit einem Bären aufnehmen.

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Nina Wolf