Demokratie ist eine anspruchsvolle und immer auch gefährdete Herrschaftsform. Warum sie allen anderen Staatskonzeptionen überlegen ist, arbeitet der Philosoph Volker Gerhardt in einem neuen Buch heraus.
Das Wahlvolk stimmt ab, und dann entscheiden die Repräsentanten der Mehrheit, wo’s langgeht. Dieses Demokratiemodell mögen Populisten attraktiv finden, mit echter Demokratie hat ein solches Modell nichts zu tun. Um zu definieren, was Demokratie ausmacht, darf man ohne weiteres ein bisschen pathetisch werden, findet Volker Gerhardt:
"Die beste Demokratie-Definition, die ich kenne, steht schon seit der Antike fest, nämlich: Es ist die freie Herrschaft über freie Menschen."
Und das wiederum bedeutet: Eine Demokratie, die ihren Namen verdient, ist ohne "Rechtsstaat" nicht zu haben. Denn nur eine rechtsstaatliche Ordnung garantiert die Freiheit des Einzelmenschen.
Volker Gerhardt, seit 2010 Mitglied der "Grundwertekommission der SPD", zeichnet in seinem Buch die Entwicklung der modernen Demokratie von ihren Ursprüngen in der mittelmeerischen Antike bis in unsere Gegenwart nach.
"Also in Athen, muss man sagen, ist es im fünften Jahrhundert vor Christus unter Perikles tatsächlich zu einer Demokratie gekommen, die den Namen auch verdiente. Aber sie ist dann ganz schnell gescheitert an den vielen Widerständen, die der Demokratie entgegenstehen."
Die athenische Demokratie sei an den „demagogisch geschürten Gegensätzen“ in ihrem Inneren und Äußeren zugrundegegangen, diagnostiziert Volker Gerhardt. Immer diese Demagogen.
In einem philosophiehistorischen Parforceritt durchmisst Gerhardt in seinem Buch die Jahrhunderte und steckt dabei die entscheidenden Wegmarken ab, die zur Entwicklung der repräsentativen Demokratie von heute geführt haben. Der Beitrag des Römischen Rechts wird ebenso gewürdigt wie das humanistische Ethos des Christentums, die Errungenschaften der europäischen Aufklärung und der Beitrag der reformistischen Arbeiterbewegung zur Demokratisierung der Welt werden ebenso hervorgehoben wie die Leistungen des Feminismus im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.
Demokratie, das wird bei der Lektüre von Gerhardts Buch deutlich, ist ein anspruchsvolles Konzept. Sie kann nur funktionieren, wenn die Mehrzahl der Akteure "Fair Play" spielt, wenn sich die Majorität – eine namhafte Majorität – an die Regeln hält, und wenn die auf Zeit bestellten Machthaber zugunsten ihrer Nachfolgerinnen und Nachfolger auf ihre Macht verzichten. Ein derart anspruchsvolles Konzept ist stets auch gefährdet, betont Volker Gerhardt – aber:
"Zunächst mal muss man betonen: ALLE Politik ist gefährdet. Die Politik ist ein in sich schwieriges und immer gefährdetes Geschäft. Aber das ist kein Alleinstellungsmerkmal der Demokratie."
Stimmt: Auch der König von Saudi-Arabien und der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas können sich ihrer Macht – wie alle Despoten – auf Dauer nicht uneingeschränkt sicher sein. Dann schon lieber Demokratie, möchte man sagen. Volker Gerhardt hält diese Form der Herrschaft auch deshalb für allen anderen Konzepten überlegen, weil sie zur Selbstreparatur fähig und innovationsoffen ist.
"Es gibt überhaupt kein politisches Modell, das über so viel auch in sich widersprüchliche historische politische Erfahrung verfügt, und dem wir deswegen wie keinem anderen Modell zutrauen können, auch mit Problemen, die wir heute noch nicht kennen, fertig zu werden."
Volker Gerhardts philosophische Demokratiegeschichte ist eine anspruchsvolle, aber stets auch lohnende Lektüre. In einer Zeit, in der die Putins, Orbans und Marine Le Pens dieser Welt das menschenrechtlich abgesicherte Wertegefüge der Demokratie zu demontieren versuchen, kann es nicht schaden, sich der Ideale und Ursprünge dieser Staatskonzeption zu besinnen.