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Vaclav Smil – Wie die Welt wirklich funktioniert. Die fossilen Grundlagen unserer Zivilisation und die Zukunft der Menschheit

Stand
Autor/in
Wolfgang Schneider

Wie realistisch ist eine schnelle Umstellung auf erneuerbare Energien, wie sie gegenwärtig so viele fordern?

Der tschechisch-kanadische Energie-Experte Vaclav Smil dämpft mit vielen überraschenden Fakten die Hoffnung. Er erinnert an die materiellen Grundlagen unseres hochtechnisierten Lebens und belegt, welchen Anteil noch immer fossile Brennstoffe daran haben. Sein Buch vermittelt Kenntnisse, die in den aktuellen Klima- und Energie-Debatten dringend nötig sind.

Die westliche Zivilisation war die erste Hochkultur, die die Sklaverei abgeschafft hat. Der Verzicht auf die angeeignete Muskelkraft wurde möglich durch die Entfesselung ganz neuer Kräfte in den Brennkammern der Maschinen. Jeder Bewohner der modernen fossilen Welt nimmt heute durch Konsum, Lebensstil und Reiseverhalten so viel umgewandelte Energie in Anspruch, als würden 50 Sklaven rund um die Uhr für ihn arbeiten.

Der Energie-Experte Vaclav Smil hat viele solcher verblüffenden Zahlen parat. Er zeigt, wie die Welt „wirklich“ funktioniert – und warum wir nicht in wenigen Jahren aus der komplexen fossilen Zivilisation aussteigen können.

Stichwort Landwirtschaft: Vor zweihundert Jahren waren noch achtzig Prozent der Amerikaner in ihr beschäftigt. Dank hocheffizienter Produktionsweisen auf der Grundlage von Erdöl und Gas genügt heute ein Prozent, um die ganze Nation zu ernähren und die Mehrheit für andere Aufgaben freizustellen.

Nur mit Ammoniak-Stickstoffdünger gelingt es, sieben Milliarden Menschen zu versorgen. Insbesondere die Reis-Erträge Indiens und Chinas wären ohne Mineraldünger nicht zu erzielen. Ammoniak bezeichnet Smil als eine der vier „Säulen“ der fossilen Zivilisation. Die drei anderen sind Stahl, Zement und die Kunststoffe.

Sie alle sind in der Herstellung enorm energieintensiv. Ihr Verbrauch wächst weltweit immer noch stark, vor allem, weil in vielen Ländern der Lebensstandard deutlich steigt, allen voran in China, wo 1999 nur ein Auto auf dreihundert Haushalte kam; inzwischen sind es mehr als 120.

Die vier fossilen Säulen werden bisweilen für obsolet erklärt; sie haben nicht den futuristischen Charme der Künstlichen Intelligenz. Allerdings bleiben sie noch lange unverzichtbar. Der Welthandel basiert auf Stahlcontainern und der Schiffsdiesel.

Selbst das Symbol der Energiewende, das Windrad, ist ein Agglomerat aus Zement, Stahl und (nur schwer recycelbaren) Spezialkunststoffen, herbeigeschafft auf Dieselschwertransportern, errichtet mit gewaltigen Stahlkränen und mit Schmieröl am Laufen gehalten. Ein fossiles Monument.

Vaclav Smil verharmlost den Klimawandel nicht, auch wenn er zu bedenken gibt, dass ohne den durch Kohlendioxid verursachten Treibhauseffekt die Erde von einem „permanenten Eispanzer“ umgeben wäre. Aber bei aller Notwendigkeit, sich gegen die Folgen der Erderwärmung zu wappnen, wendet er sich gegen unrealistische Dekarbonisierungsutopien. Die Klimadebatte drohe ins „Hysterische“ abzudriften. Smil hält nicht viel von der Kipppunkte-Apokalyptik.

Vor allem kritisiert Smil den technischen Machbarkeitswahn, der von „exponentiellen Veränderungskapazitäten“ träumt. Selbst (oder erst recht), wenn alle Autos und alle Heizungen auf Strom umgestellt wären, müsste Deutschland, auf dessen Energiewende Smil wiederholt eingeht, zur Grundsicherung umso mehr fossile Kraftwerke in Betrieb halten.

Der fossile Anteil am Primärenergieverbrauch ließ sich in den letzten 20 Jahren lediglich von 84 auf 78 Prozent reduzieren. In den USA liegt er derzeit bei achtzig, in China bei 85 Prozent – wobei sich die absolute Menge des Verbrauchs durch Chinas rapide ökonomische Entwicklung vervielfacht hat.

Kurz: Es wird ein Jahrhundert dauern, den CO2-Ausstoß der Menschheit maßgeblich und klimawirksam zu reduzieren. „Lippenbekenntnisse zu unrealistischen Zielen“ hält Vaclav Smil dabei nicht für hilfreich. Sein Buch vermittelt ernüchternde Kenntnisse, die in den aktuellen Klima- und Energie-Debatten aber dringend nötig sind.

Aus dem Englischen von Karl-Heinz Siber
C.H. Beck Verlag, 392 Seiten, 28 Euro
ISBN 978-3-406-80055-9

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