Sektorkopplung – Voraussetzung für klimaschonende Wirtschaft
Abwärme kann fossile Brennstoffe ersetzen und Fernwärmenetze speisen. Industrieunternehmen müssen dafür untereinander und mit Kommunen kooperieren. Experten sprechen von Sektorkopplung. Sie ist die wichtigste Voraussetzung für eine klimaschonende Wirtschaft.
Ein Beispiel aus Dänemark: Project Zero heißt der Plan, mit dem die dänische 75.000-Einwohner-Stadt Sønderborg bis 2029 klimaneutral werden soll. Mehr als die Hälfte des Wegs hat die von Industrie und Hochschulen geprägte Stadt in den vergangenen 15 Jahren bereits geschafft. Auf der anderen Seite der Grenze, nur ein paar Kilometer von Sønderborg entfernt, verfolgt auch das etwa gleich große Flensburg einen recht ambitionierten Klimaplan. Doch auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die deutsche Stadt nur halb so weit vorangekommen wie ihr dänischer Nachbar – und damit steht Flensburg schon besser da als der deutsche Durchschnitt.
Der Plan der Dänen beruht auf einem Dreischritt: Als erstes muss der Energieverbrauch durch das Ausschöpfen aller Sparmöglichkeiten reduziert werden. Dann kommt die sogenannte Sektorkopplung ins Spiel, also die kluge Vernetzung aller Energieerzeuger und -verbraucher – zum Beispiel, indem die Abwärme aus Industriebetrieben an anderer Stelle zum Heizen verwendet wird. Erst an dritter Stelle geht es darum, den möglichst geringen Restbedarf mit erneuerbarer Energie zu decken. In Deutschland wurde das Problem umgekehrt angegangen: Die Aufmerksamkeit lag vor allem darauf, fossile durch erneuerbare Energie zu ersetzen. Sparmöglichkeiten und Effizienzgewinne kommen erst seit Beginn des Ukrainekriegs richtig in den Blick.
Ein ausgedehntes Fernwärmenetz ist das Rückgrat der dänischen Sektorkopplung, in Sønderborg sind die meisten Unternehmen und über 70 Prozent aller Haushalte angeschlossen. In Deutschland sind es nur 14 Prozent. Noch besteht das Fernwärmenetz aus drei getrennten Inseln.
Allan Pilgaard leitet das siebenköpfige Kernteam von Project Zero und erklärt, wie es mit den drei "Inseln" weitergehen soll:
Weitere Wärmequellen sind eine Ziegelfabrik, Erdwärmepumpen und sogar ein Supermarkt. Auf 2.000 Quadratmetern bietet Super Brugsen ein volles Sortiment an frischen Lebensmitteln, vieles davon liegt in Kühltruhen – eine Energiequelle. Wie ist das möglich?
Die Abwärme der Kühltruhen deckt mehr als drei Viertel des Supermarkt-Bedarfs an Raumwärme und Heißwasser zum Waschen und Putzen. Im Winter liefert die Fernwärmeleitung zusätzliche Heizenergie, im Sommer funktioniert sie in Gegenrichtung. Dann speichert der Supermarkt überschüssige Wärme in das Rohrnetz ein. Ein benachbarter Industriebetrieb kann sie nutzen. Die nötigen Wärmetauscher hat Danfoss installiert. Der Elektrokonzern wurde vor 90 Jahren in Sønderborg gegründet und steuert heute von seinem dortigen Hauptsitz fast 100 Fabriken in 20 Ländern.
Für Project Zero ist Danfoss ein idealer Partner. Zusammen haben alle Industriebetriebe der Stadt ihre Treibhausgasemissionen seit 2007 um 60 Prozent reduziert, Danfoss war der Spitzenreiter, seit 2020 arbeitet die Fabrik mit ihren 3.000 Beschäftigten klimaneutral. In der Produktionshalle fällt vor allem die gute Luft auf. Torben Christensen leitet das Danfoss-Gebäudemanagement. Hinter ihm steht ein großer Metallschrank. Er erklärt das Ventilationssystem:
Saubere IT-Lösungen sind zentrale Voraussetzungen für Energiewende
Deutschland hatte die Energiewende vor über 20 Jahren früh gestartet, doch dann verschleppt. Russisches Gas strömte reichlich und billig ins Land. Auch Konzepte für eine intelligente Sektorkopplung gibt es schon lange, die Umsetzung beginnt aber erst jetzt.
Wenn die bisher getrennten Netze für Strom, Gas und Wärme zusammenwachsen sollen, dann wird auch noch ein viertes Netz gebraucht: für Daten. Digitalisierung ist eine zentrale Voraussetzung für die Energiewende. Um die ständigen Schwankungen von Energieangebot und -nachfrage optimal auszugleichen, ist viel Computerpower und Sensorik notwendig.
Die Digitalisierung ist allerdings nicht nur Lösung, sie ist auch selber ein Problem. Insgesamt trägt die Informations- und Kommunikationstechnik mit ihrem Stromverbrauch bereits ähnlich viel zur Erderwärmung bei wie der globale Flugverkehr. Schon länger wird deshalb daran gearbeitet, die Hardware in Computern und Rechenzentren sparsamer zu machen. Doch weil gleichzeitig die Rechenleistung ständig wächst, steigt der Energieverbrauch insgesamt weiter an. Woran die Hightech-Ingenieure bisher kaum gedacht haben: Auch clever programmierte Software kann zur Energieeffizienz beitragen.
Ein echter Energiefresser ist die künstliche Intelligenz, kurz KI. Die findet sich zum Beispiel in jedem Navigations- oder Übersetzungsprogramm und in der Steuerung vieler Produktionsanlagen. Schon zehn Google-Suchanfragen verbrauchen so viel Strom wie eine Wohnzimmerlampe, die eine halbe Stunde lang brennt. Besonders aufwändig ist die Entwicklung solcher KI-Systeme. Großrechner müssen dafür riesige Datenmengen in immer neuen Durchgängen auswerten. Eine Studie der University of Massachusetts schätzt, dass das Training einer einzigen KI-Anwendung so viel Treibhausgas erzeugt wie 400 Flugreisen zwischen Berlin und New York.
Der Potsdamer Informatiker Joseph Bethge vom Hasso-Plattner-Institut ist überzeugt, dass es auch wesentlich energiesparender ginge. Würden die Großcomputer statt mit 32-stelligen nur mit einstelligen Zahlen rechnen, würden sie für die gleiche Aufgabe 95 Prozent weniger Strom verbrauchen.
Noch fehlen Computerchips, die auf die einfachere Rechenart optimiert sind. Programmierer haben bisher auch kein Werkzeug, dass ihnen schon beim Schreiben des Computercodes anzeigt, wie viel Energie er später verbrauchen wird. Und für die wissenschaftliche Karriere ist die Arbeit an Clean IT kein Vorteil. Noch fehlen entsprechende Fachzeitschriften, Stipendien und Studiengänge. Immerhin: Das Interesse an sauberer Software wächst.