Buchkritik

Monika Maron – Das Haus

Stand
Autor/in
Wolfgang Schneider

Monika Maron gilt als streitbare Autorin, die zuletzt mit Kritik am Gendern, an der Flüchtlingspolitik und mit Veröffentlichungen in einem Verlag der Neuen Rechten für Aufsehen sorgte. In ihrem neuen Buch „Das Haus“ gründen stadtmüde Rentner eine Wohngemeinschaft in der mecklenburgischen Provinz und kommentieren das Weltgeschehen vom Lagerfeuer aus.

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Viele haben erwartet, dass Monika Maron in ihrem ersten Roman im neuen Verlag mit erhöhter Lautstärke noch einmal die politisch-gesellschaftlichen Reizthemen ihrer letzten beiden Romane „Arthur Lanz“ und „Munin oder Chaos im Kopf“ bespielen würde. Aber solchen Erwartungen weicht die Schriftstellerin mit einiger Eleganz aus.

Die Tierärztin Katharina hat im Alter von siebzig Jahren von ihrem wohlhabenden Cousin ein prächtiges Gutshaus in der mecklenburgischen Provinz geerbt. Der Cousin hatte zuletzt viel Mühe auf die Restaurierung des verfallenen Landsitzes verwandt, sein Traum war, eine Künstlerkolonie daraus zu machen.

Gescheiterte Mittsechziger gründen eine Altenkommune in der Provinz

Anstatt das Haus nun zu verkaufen, lädt Katharina im Frühjahr 2019 einige Freunde ein, dort mit ihr eine Art Alterswohngemeinschaft zu bilden. Obwohl die neuen Mitbewohner – die meisten sind Mitte sechzig – noch nicht zu den wirklich Alten gehören, sind es doch durchweg Lebenskatastrophen, die sie dem Ruf ins fiktive Örtchen Bossin folgen lassen.

Der Galerist Michael ist der übrig gebliebene Ehemann von Katharinas schwulem Dresdner Freund, auch die Buchhändlerin Marianne hat ihren Kompagnon und Lebenspartner verloren. Johannes will seinem Scheidungsdrama entgehen, der von einem Schlaganfall gezeichnete Althistoriker Amadeus Müller fernab städtischer Aufgeregtheiten zur Ruhe kommen:

„Für den Rest meines Lebens ist Bossin ein idealer Ort. Wenn ich die Nachrichten höre, der Krieg in Syrien, der Streit um den Brexit, die Aufregung um den Nobelpreis für Handke […], dann bin ich dankbar für mein Bossiner Exil. Von hier aus lässt sich die Gegenwart betrachten wie etwas Vergangenes, an dem ich nicht mehr beteiligt bin.“

Auch die Ich-Erzählerin Eva sucht den Abstand zur Stadt. Sie überwindet ihre Skepsis und zieht hinaus in die Altenkommune – ironisch auch Katharinas „Gnadenhof“ genannt –, weil sie den Modernisierungslärm in ihrer Berliner Umgebung nicht mehr aushält.

Eine Gruppe älterer Menschen verbringt an einem schönen Ort beschauliche Tage bei Wein und Gespräch über Bedeutsames und weniger Bedeutsames, über den Alltag, aber auch die großen existenziellen Fragen, über die man jenseits der Sechzig vielleicht nicht mehr so oft nachdenkt, zu denen man aber doch einiges zu sagen hat. Für eine gewisse Tiefenperspektive sorgt Althistoriker Müller. Da relativiert sich manche aktuelle Beschwernis.

Gendern, Islam, Klima – in „Das Haus“ kommen die großen Themen nur beiläufig vor

Mitunter werden in den Gesprächen auch Themen wie der islamistische Terrorismus oder die Genderfrage berührt, aber nur beiläufig und ohne Aufgeregtheit, als wäre alles Nötige dazu schon zu oft gesagt worden.

Und während in Marons letztem Roman „Arthur Lanz“ noch ein Klimawandelspötter auftrat, wird in „Das Haus“ auffällig gelitten unter frühsommerlicher Hitze – Temperaturrekorde als „Folge menschlicher Unvernunft“, wie es nun heißt.

„Die Sonne drang allmählich durch die Mauern des Hauses, selbst in den Nächten sank die Temperatur nicht mehr unter zwanzig Grad. Die Wiese lag wie ein zerlumpter gelbbrauner Teppich vor dem Haus.“

Allerdings gibt es auch jemanden, der alle mit seiner stereotypen Litanei über den Klimawandel anödet. Aber glücklicherweise wird in diesem Roman keine Figur zum bloßen Thesenträger.

Und natürlich hat Monika Maron wieder eine schöne Hunderolle in ihren Gesellschaftsroman hineingeschrieben. Der kluge Königspudel Pablo findet Aufnahme in der „Kommune“, weil sein Frauchen schwer erkrankt ist.

Noch so ein Verlassener, mit dem einige Aufregung ins Haus kommt, weil Gerlinde Müller, die heikle Ehefrau des Althistorikers, an einer schweren Hundephobie leidet. Aber Pablo kriegt das hin.

Unter den Einzelgängern im Haus bildet das Ehepaar Müller das Konstrastmodell. Regelmäßig bekommen sie Besuch von einer Schar Kinder und Enkelkinder. Ein Refugium der Familienharmonie, so scheint es. Bis eines Nachts Gerlindes entsetzlicher Schrei durchs Haus dringt.

Überhaupt: In der Idylle von Bossin häufen sich die Katastrophen. Zu Beginn wird der Brand von Notre Dame noch am Fernseher verfolgt und kommentiert; einige Monate später steht der Wald rund um das Dorf in Flammen.

Die Klimakrise als Waldbrand, der die Alters-WG bedroht

„Ich wollte gerade erklären, wie wohltuend die Absenz vom städtischen Geschwätz und der sinnentleerten Kulturbeflissenheit sei, als Helga Zupcke uns auf dem Fahrrad entgegenkam. Der Brand is außer Kontrolle, rief sie und rang nach Luft vor Aufregung, die kommen jetzt von überall, um zu löschen, aber da liegt doch die Munition von hundert Jahren, du lieber Jott…“

Pünktlich zum Jahreswechsel brennt schließlich das Haus. Auch zwischen den Bewohnern schwelen manche Glutnester. In diesem Roman liegt Rauchgeruch in der Luft, womit nebenbei auch Marons unverdrossenes Bekenntnis zur Zigarette gemeint ist, welches sie mit ihrer Erzählerin Eva teilt.

Es ist nicht ganz leicht zu sagen, worin der Reiz der Lektüre besteht. Eine spannende, zielführende Handlung gibt es nicht, politische Polemik bleibt außen vor. Es ist Marons beiläufige Kunst der Menschendarstellung, die „Das Haus“ zum Lesevergnügen macht.

Weil es keine drängenderen Plotpflichten gibt, nimmt sich die Erzählerin Zeit, alle Figuren mit ihren Ambivalenzen darzustellen, versehrt von Schicksalsschlägen, bemüht, das Beste aus den Fragmenten der eigenen Existenz zu machen. „Das Haus“ ist ein leises Buch der Desaster. Nach denen das Leben doch immer einen neuen Anfang sucht.

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