Reportage

Sean Sherman – Der Sioux-Chef. Indigen Kochen

Stand
Autor/in
Daniel Stender

Lecker Lektüre: Koch Sean Sherman schreibt in „Der Sioux-Chef“ über die indigene, amerikanische Küche.

Cola, Fritten, Burger – die amerikanische Küche hat keinen guten Ruf. Einer, der ganz bewusst dagegen ankocht, ist der Restaurantbetreiber und Koch Sean Sherman. Als Vertreter der indigenen Bevölkerung wirbt er mit seinem Kochbuch „Der Sioux-Chef“ für traditionelle Gerichte – und trifft damit auch hierzulande offenbar bei vielen genau den Geschmack.

Eines, was man über den Koch Sean Sherman wissen muss: Er ist ein Profi.

Hello, my name is Sean Sherman, I am a Chef. I am here to talk about native American Food.

Er ist nicht nur ein Profi-Koch, nicht nur der Sioux-Chef, der die indigene Küche Nordamerikas wieder auf den Speiseplan der Welt bringen möchte – er ist auch ein Medien-Profi. Hier zum Beispiel ist er Gast bei einem TED-Talk.

I was born and raised in Pine Ridge, Minnesota, I started my company called the Sioux Chef – it’s a game with words – in 2014.

Beim Ted Talk trägt Sherman ein schwarzes Jackett, ein schwarzes T-Shirt – und die langen dunklen Haare zu zwei Zöpfen geflochten. Dieses Outfit ist eine Mischung aus Start-up und Tradition, ähnlich wie seine Küche ist Shermans Kleidung ein Statement. Auch beim Interview für SWR2 lesenswert in einem Hotel in Berlin trägt Sherman wieder dunkle Kleidung und Zöpfe, seine Botschaft bringt er routiniert rüber.

Also, ich heiße Sean Sherman, ich komme aus dem Reservat Pine Ridge in South Dakota. Und ich bin gerade in Berlin, weil mein Kochbuch auf Deutsch erscheint, es heißt: „Der Sioux Chef. Indigen kochen“.

Es ist ein kleines Wunder, dass Sherman hier in Berlin sitzt, dass er indigenes Essen kocht und auch dass er überhaupt eine Karriere als Koch begonnen hat. Für einen Jungen, der 1974 in einem Reservat geboren wurde, ist all das nicht selbstverständlich:

Pine Ridge ist das drittgrößte Reservat in den USA und seit seiner Gründung um 1900 ist es auch die ärmste Gegend des Landes. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 80 Prozent und es gibt viele gesundheitliche Probleme wegen des schlechten Essens dort und auch sonst gibt es viele Probleme dort. Meine Familie lebt noch immer dort. Mit meiner Arbeit versuche ich, Lösungen für diese Probleme zu finden.

Eines der vielen Probleme in Reservaten wie Pine Ridge ist die Ernährung, sagt Sherman:

Im Reservat leben die meisten Familien von den Lebensmittelhilfen der Regierung. Also von Dosenfleisch, Dosengemüse, Dosenobst, Milchpulver, haltbarem Käse und großen Flaschen Mais-Sirup.

Kochen war für Sean Sherman schon in jungen Jahren eine Berufung – er arbeitete in verschiedenen Restaurants, lernte französisch zu kochen, italienisch, spanisch. Und – so erzählt er es - irgendwann ging ihm auf: Es gibt so gut wie keine Restaurants für die Küche der native americans.

In seinem Kochbuch, das unter dem Titel „Der Sioux Chef. Indigen kochen“ gerade auf Deutsch erschienen ist, beschreibt Sherman diese Erkenntnis:

Was hatten meine Vorfahren gegessen, bevor die Europäer auf unserem Land auftauchten? (…) Ich wollte unbedingt alles über die Pflanzen und ihre Verwendungsweisen wissen. Es gab für mich von da an kein „Unkraut“ mehr – diese Pflanzen waren Nahrungs- und Heilmittel. Ich fing an zu begreifen, dass auf unserer Welt alles in der Natur einen Zweck hat, fing an, Respekt für Pflanzen und Tiere, unsere Nahrungsquellen, zu entwickeln.

Shermans Kochbuch ist das Ergebnis einer langen Recherche, er las in botanischen Büchern, darüber wie die native americans die Pflanzen und Wildtiere Nordamerikas zubereitet haben. Oder besser: zubereitet haben könnten. Denn auch wenn er lange Gespräche mit den Ältesten verschiedener Ethnien führte – vieles von dem Wissen über die ursprüngliche Küche war nicht mehr vorhanden.

Denn mit der räumlichen Eroberung Nordamerikas ging auch eine kulinarische Verdrängung einher – sagt der Ethnologe und Journalist Sebastian Scheelhaas, der vor allem zur Indigenen Ernährung in Nordamerika geforscht hat. Für ihn öffnen indigene Köche wie Sean Sherman ein Fenster in eine Welt, über die man meist nur wenig weiß.

Was kriegt man denn mit von indigenen Gesellschaften? Man kriegt irgendwas über Landclaims mit, irgendwas von wegen, dass sie irgendwie nicht arbeiten müssten angeblich und alle so negative Stereotypen. Aber die tatsächliche Lebenswelt und die Kulinarik, die lernt man eigentlich so gut wie nicht kennen, weil die an Orten stattfindet, zu denen man keinen Zugang hat, Reservationen zum Beispiel. Reservationen zum Beispiel. Bücher wie das von Sherman öffnen ein Fenster in eine Welt, in die man sonst nicht blicken kann. Und ermöglichen damit, das eigene Bild, was man von indigenen Gesellschaften hat, extrem zu diversifizieren. Ob das authentisch ist, ist die falsche Frage – es gibt kein authentisches Indigenes.

Sherman selbst versteht unter indigener Küche keine ethnologisch korrekte Museumsküche, eher ein Experiment, in seinem Kochbuch „Der Sioux-Chef“ verwendet er wilde Zwiebeln, wilden Knoblauch, Knollen, Kartoffeln. Aber auch Gräser, Gewürze, Beeren, Wachteleier, Elch, Bison und Ente – das sind einige der Hauptzutaten seiner Küche.

… hyperlokal, ultrasaisonal, megagesund: ohne industriell verarbeitete Lebensmittel, ohne Zucker, ohne Weizen (oder Gluten), ohne Milchprodukte oder tierische Produkte mit hohem Cholesterinwert. Sie ist von Natur aus niedrigglykämisch, eiweißreich, salzarm, vorwiegend pflanzlich, mit vielen Körnern, Saaten und Nüssen. Vor allem aber ist sie mehr als köstlich. (…) Es ist eine Ernährungsweise, die uns alle so unmittelbar und profund wie möglich mit der Natur und miteinander verbindet.

Zu Shermans Buch-Promotiontour in Europa gehört auch ein Dinner im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Der Saal des Restaurants „Weltwirtschaft“ ist ausgebucht, an meinem Tisch sitzen drei junge Frauen.

Das Menü beginnt mit Süßkartoffel, Ahorn Chilli-Crisp und frittiertem Salbei. Warm, süss und cremig.

Später gibt es Kürbis-Apfel-Suppe, Maisbrei und gebratene Ente, mariniert mit Ahornsirup und Zeder. Lilly, Therinka, Pheli und ich finden: alles schmeckt sehr nach dem, was es ist. Der Kürbis schmeckt vor allem nach Kürbis, die Ente nach Ente. Lilly sagt, es schmecke sogar „clean“. Mir fehlt etwas Salz und Pfeffer. Was während des Dinners auch deutlich wird: Sean Sherman ist nicht nur Koch und Marketing-Profi – er hat eine politische Agenda, sein Kochbuch ist Teil einer indigenen Bewusstseinswerdung.

Dieses Essen ist politisch, denn es erzählt eine andere Geschichte als die US-Regierung. Die US-Regierung stellt die eigene koloniale Geschichte besser da als sie war. Denn tatsächlich gibt es noch immer so viel Schmerz und Trauma, dass durch den Kolonialismus und die US-Form der Vernichtung entstanden ist, durch die Vertreibung der Indigenen. Die USA haben noch immer nicht verarbeitet, dass sie nur deshalb eine Weltmacht sind, weil sie riesige Ländereien von den Indigenen geraubt haben. Land, das den Indigenen seit Generationen gehörte. Und gleichzeitig haben sie sehr viele Menschen aus Afrika verschleppt, die dann das aufgebaut haben, was heute die Vereinigten Staaten sind.

Essen ist also nicht nur Essen – es ist eine Haltung. Wobei – neben dem Bedürfnis nach Salz und Pfeffer bleibt auch der Nachgeschmack eines Zweifels haften. Denn: immerhin sitzen beim Dinner im Haus der Kulturen der Welt nicht nur Lilly, Therinka, Pheli und ich am Tisch, sondern auch die eigene Prägung, literarische Figuren wie Winnetou und die sehr alte Idee vom edlen Wilden. Was bleibt, ist die vage Befürchtung, dass man sich hier auch den antikolonialen Gestus als exotische Zutat übers Essen träufelt.

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Daniel Stender