Buchkritik

Philipp Schönthaler – Wie rationale Maschinen romantisch wurden

Stand
Autor/in
Eberhard Falcke

Je mehr die Künstliche Intelligenz die Vielfalt der Welt in Form von Daten und Algorithmen in sich aufnimmt, desto mehr verliert sie ihren rational-mathematischen Charakter. Diesen Prozess beschreibt Philipp Schönthaler in seinem Essay „Wie rationale Maschinen romantisch wurden“.

Im Februar 2020 reiste der Schriftsteller Daniel Kehlmann ins Silicon Valley, um in Kooperation mit einem Computerprogramm eine Erzählung zu verfassen. Viel kam dabei jedoch nicht heraus, weil Kehlmann sich im Grunde wenig für computergenerierte Textproduktion interessierte.

So sieht es jedenfalls Philipp Schönthaler, der diese Anekdote zum Besten gibt, bevor er sich in seinem Essay „Wie rationale Maschinen romantisch wurden“ mit aller Gründlichkeit daran macht, die Geschichte und Entwicklung der Künstlichen Intelligenz und der maschinellen Literaturerzeugung in einer kenntnisreichen Analyse aufzurollen.  

Die Überwindung der menschlichen Subjektivität 

Angefangen hat alles, Schönthaler zufolge, mit einem Gegenentwurf zu der herkömmlichen Auffassung, dass Literatur allein als ein menschliches Geistesprodukt anzusehen sei. Max Bense dagegen, der hier als „Cheftheoretiker der Konkreten Poesie“ vorgestellt wird, wollte seit den 1950er Jahren Kunst und Literatur von den Unwägbarkeiten menschlicher Subjektiviät befreien und auf ein „naturwissenschaftlich-mathematisches Fundament“ stellen. Schönthaler erklärt: 

In der maschinellen Programmierbarkeit von Texten, erkennt Bense nun das theoretische Ideal einer mathematisch-rationalen Texterzeugung, mit der das individuelle Autorsubjekt ausgeklammert werden kann.

Schnell wurde jedoch klar, dass sich Innovation, Genie oder Originalität nicht durch maschinensprachliche Programmierungen herstellen ließen. So entstand die Frage, wie sich Kreativität in die künstliche Texterzeugung hineinbringen ließ, ein Problem mit vielen Antworten, doch nach wie vor ohne befriedigende Lösung. 

Die Kreativität soll den Nachweis liefern, dass Maschinen mehr sind als ihr Code, was der Kreativität die Rolle zumisst, die dem Genie in der Romantik zugekommen ist.

Eine Ideengeschichte der KI 

Schönthaler referiert die verschiedenen Positionen und Theorien, die in den letzten Jahrzehnten zum Verhältnis zwischen Menschen und intelligenten Maschinen entwickelt wurden, und kommentiert ihre Besonderheiten und Konsequenzen.

Wird Künstliche Intelligenz eines Tages besser denken können als der menschliche Verstand? Wird sie den Menschen als „Subjekt der Geschichte“ ablösen? Werden die Maschinen so normal und selbstverständlich werden wie die natürliche Umwelt und damit so komplex, magisch und geheimnisvoll, dass sie romantische Eigenschaften annehmen können? Dann könnte die Zukunft so aussehen: 

Die Normalisierung der romantischen Maschine ist auch ein Zeichen dafür, dass die digitalen Technologien tief in die Gesellschaft und Lebensrealität der Einzelnen eingedrungen sind und sogar die computergenerierte Literatur mainstreamfähig geworden ist.

Gedankenreich und hochinteressant 

Natürlich ist das alles kein leichter Lesestoff, zumal sich der äußerst sachkundige Autor nicht sonderlich bemüht, seine sehr verdichteten Überlegungen leichter zugänglich zu machen. Doch wer sich einliest, wird durch Gedankenreichtum und hochinteressante Ausblicke belohnt. Denn Schönthaler schaut über den engen Horizont der aktuellen Diskussionen um Geschäftsmodelle und Gefahren der KI weit hinaus auf die großen Perspektiven.

Und dazu gehört die faszinierende und beunruhigende Frage, wie sich das menschliche Selbstverständnis einst verändern könnte, wenn die intelligenten Maschinen erst einmal zu einem quasi natürlichen Teil unserer Umwelt geworden sind.  

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