Buchkritik

Pajtim Statovci – Meine Katze Jugoslawien

Stand
Autor/in
Jörg Magenau

Von archaischen Traditionen der Albaner im Kosovo erzählt Pajtim Statovci ebenso wie von der Anonymität der Großstadt Helsinki. Sein Roman „Meine Katze Jugoslawien“ wurde mit dem „Internationalen Literaturpreis“ des Berliner Haus der Kulturen der Welt ausgezeichnet. Er handelt von Migration, Heimatverlust und Fremdheit.

Katzen, immer wieder Katzen. Sie spielen im Leben des rund dreißig Jahre alten Bekim ebenso eine Rolle wie in dem seiner Eltern, die Anfang der 1990er Jahre aus dem albanischen Kosovo nach Finnland emigrierten, als der Kosovokrieg sich schon abzeichnete. Bekim wuchs in Helsinki auf und sah die Heimat nur in den Sommerferien. Fremd ist er dort genauso wie in dem Land, dessen Sprache er jetzt spricht. Soweit decken sich seine Erfahrungen mit denen des Autors Pajtim Statovci. Er kam 1992 im Alter von zwei Jahren mit seinen kosovo-albanischen Eltern nach Finnland und schreibt in finnischer Sprache.  

Mit Schlange und sprechender Katze 

In seinem Debütroman „Meine Katze Jugoslawien“ berichtet er abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Bekim und seiner Mutter Emine. Bekim lebt alleine, er ist schwul und hat lieblosen Sex mit Männer, die er in Chatrooms kontaktet. Vertrauter ist ihm die Würgeschlange, die er in seiner kleinen Wohnung hält, und eine Katze, die er in einer Schwulenbar kennenlernt. Sie trägt einen Anzug und kann sprechen – ein magisches Menschen-Tier, das bei Bekim einzieht, sich aber bald als verfressener Spießer mit homophoben und fremdenfeindlichen Ansichten entpuppt.  

Ausländer sind dumm und laut, und wenn sie an einem vorbeigehen, betäubt einen der Gestank, den sie absondern. Wenn man ihnen Arbeit gibt, stehlen sie Geld. Und gibt man ihnen eine Wohnung, machen sie darin alles kaputt, auch wenn sie nicht einmal selbst dafür bezahlen.  

Auf der zweiten Erzählebene beginnt Bekims Mutter Emine ihre Lebensgeschichte mit ihrer Verheiratung im Jahr 1980, einem archaischen, kosovarischen Fest, das nach festen Regeln abläuft. Es findet ein abruptes Ende, weil Tito stirbt und das Land in Trauer versinkt. Früher, so erfährt Emine vor der Hochzeitsnacht, sei es Brauch gewesen, dass der Ehemann eine Katze ins Schlafgemach brachte, um sie vor den Augen der Braut zu erwürgen und so seine Macht zu demonstrieren.  

Erst in dem Moment begriff ich, dass ich mein ganzes restliches Leben mit ihm verbringen würde, und dieser Gedanke schlug in meine Rippen ein wie eine Abrissbirne in ein Haus. (…) Und wenn wir nie lernen würden, uns zu lieben? Was würde dann geschehen?

Verlust der Gewissheiten 

Bekims Mutter entflieht schließlich nicht nur dem Krieg, sondern auch dieser patriarchalen Welt. Sein Vater ist als Lehrer und Literaturinteressierter fast ein Intellektueller, ist aber auch in Finnland von seiner Herkunft geprägt. Es ist ein weiter Weg aus der traditionsbestimmten Dorfwelt in die anonyme finnische Großstadt. Denn die Befreiung vom Althergebrachten bedeutet zugleich den Verlust der Gewissheiten und des sicheren Bodens. 

Auch Bekim steckt in den patriarchalen Strukturen fest. Mag sein, dass er sich mit seiner Homosexualität möglichst weit vom Vater und seiner Familie entfernt zu haben glaubt, doch im Verhältnis zu der fiesen Katze aus dem Schwulenclub verhält er sich selbst wie eine unterwürfige Frau, kocht und wäscht und putzt für sie. Vielleicht versucht er damit aber auch die Traumata seiner Kindheit loszuwerden, als Katzen und Schlangen Albträume verursachten. Parallel zu dieser surrealen Tierfabel entfaltet sich in Emines Erinnerungen eine realistisch genau erzählte Ehe- und Migrationsgeschichte. 

Fremdheit und Heimatverlust 

Eindrucksvoll schildert Statovci vor allem die Angst und die Scham der Migranten zur Zeit des Kosovokrieges, den sie vor dem Fernseher erleben, ohne zu wissen, was in den Dörfern passiert und wer überhaupt noch am Leben ist. „Die Katze Jugoslawien“ ist ein ungemein politischer und doch spielerischer Roman, der erlebbar macht, was es bedeutet, das Land, die Sprache, das Klima und die Kultur zu wechseln. „Migrationshintergrund“ ist dafür ein viel zu niedliches Wort. Migration ereignet sich immer im Vordergrund. Die Fremdheit ist in jedem Moment spürbar und erfasst den ganzen Menschen. Selten ist davon so eindrucksvoll erzählt worden wie in diesem finnisch-kosovarischen Roman.  

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