SWR2 lesenswert Kritik

Sally McGrane – Die Hand von Odessa

Stand
Autor/in
Sonja Hartl

Ein Politthriller mit einer sprechenden Katze - klingt erst einmal absurd und albern. Es erweist sich aber in Sally McGranes aberwitzigen und scharfsinnigen Roman "Die Hand von Odessa" als genau das richtige Mittel, sich der Realität der Metropole am Schwarzen Meer nach der russischen Annexion der Krim und vor dem russischen Angriffskrieg zu nähern.

Aus dem Englischen von Diana Feuerbach
Voland & Quist Verlag, 416 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-86391-349-6

Sally McGrane wurde 1975 in Kalifornien geboren. Seit über zehn Jahren lebt sie in Berlin, mit längeren Aufenthalten in Russland und der Ukraine. Sie schreibt für amerikanische Blätter wie "New Yorker" und "New York Times" und hat nach ihrem Spionageroman "Moskau um Mitternacht" jetzt einen weiteren Thriller vorgelegt: "Die Hand von Odessa" - Sonja Hartl.

Kriminalromane mit Katzen haben literarisch keinen guten Ruf: Sie sind für Kinder – oder allzu altmodisch-biedere Mördersucherzählungen. Zuletzt machte gar der ehemalige Katzenkrimi-Autor Akif Pirinçci wegen Volksverhetzung und Beleidigung Schlagzeilen. Das es anders geht, zeigt nun Sally McGrane in ihrem hochkomischen Politthriller „Die Hand von Odessa“, in dem eine Katze eine der Hauptfiguren ist.

Genauer gesagt: der Kater Mister Smiley. Er lebt in Odessa kurz vor dem russischen Angriffskrieg und kann mittels einer Art Gedankenübertragung mit den Menschen sprechen. Das klingt albern, führt aber zu allerhand wichtigen Wendungen und letztlich sogar zu einer spektakulären Rettungsaktion in James-Bond-Manier.

Mister Smiley ist nämlich ein knallharter Kater. Er kontrolliert den Hafen von Odessa – und wer den Hafen kontrolliert, kontrolliert die ganze Stadt. Sein einziger Schwachpunkt: die hübsche (menschliche) Kellnerin und Patisseurin Sima, die er unbedingt beschützen will. Aber sie hat Ärger: Auf das Restaurant, das sie mit ihrer Mutter führt, wurde vor kurzem ein Bombenanschlag verübt – vermutlich auf Geheiß des Oberbürgermeisters, der mit der russischen Mafia unter einer Decke steckt.

Kurz nach dem Anschlag trifft in diesem illustren Thriller die zweite Hauptfigur in Odessa ein: Ex-CIA-Agent Max Rushmore – bereits bekannt aus Sally McGranes vorherigem Roman „Moskau um Mitternacht“. Er wurde über eine private Sicherheitsfirma beauftragt, von einem Kongress über hybride Kriegsführung zu berichten, auf der Wissenschaftler die ewig gleichen Thesen austauschen.

Reine Zeitverschwendung, sogar im Odessa kurz nach der russischen Annexion der Krim. Es ereignen sich nämlich nach Rushmores Einschätzung weitaus brisantere Dinge: Im Hafen von Baltimore wurde in einer Lieferung Sonnenblumenöl aus der Ukraine eine menschliche Hand gefunden. Auf dieser Hand ist genau so ein Muttermal, wie es Grischa Sakaschwili hat, der neue Gouverneur von Odessa. Aber er hat noch beide Hände. Wem gehört also diese Hand? Max Rushmore glaubt, er ist da einer Riesensache auf der Spur in einer Stadt, in der die Angst vor weiteren russischen Angriffen allgegenwärtig ist.

Schon mit den Namen Mister Smiley und Max Rushmore ist klar, dass die US-Amerikanerin Sally McGrane ein assoziationsreiches Spiel treibt: Mister Smiley ist eine deutliche Referenz an John Le Carrés fiktiven Meisteragenten George Smiley. Bei Max Rushmore muss man unweigerlich an Hitchcocks „North by Northwest“ denken, dessen Finale am Mount Rushmore stattfindet.

Die jüngst zum Weltkulturerbe erklärte Metropole Odessa ist eine Stadt der Kunst und Literatur. Als Referenz an Gogol wird eine gigantische Lenin-Metall-Nase durch die Stadt gezogen. Und Isaak Babels Hauptfigur der „Geschichten aus Odessa“, Benka Krik, kommt gleich mehrfach in dem Text vor: als Referenz, als mythische Gestalt und mit einem antagonistischen Wiedergänger namens „der King“. Dazu beschwört dieser Thriller die Vergangenheit der Stadt als melting pot der Kulturen, was sich bis heute noch in der Architektur zeigt.

Sally McGrane kennt Odessa. Sie ist Journalistin, schreibt für die New York Times und „Die Zeit“, hat in der Ukraine gelebt und dort auch ihren ersten Roman „Moskau um Mitternacht“ geschrieben. In „Die Hand von Odessa“ sind die zahlreichen Assoziationen, Anspielungen und Verweise, die abgedrehten Figuren und bizarren Twists klug in der Erzählgegenwart verankert, in der der Krieg auf der Krim allgegenwärtig und ein russischer Angriff auf Odessa jederzeit möglich ist.

Die genannten Politiker existieren, so war Grischa Sakaschwili nach seinem erzwungenen Abgang aus dem georgischen Tiflis von 2015 bis 2016 Gouverneur von Odessa. Am Ende dieses Romans heißt es gar, dass es Gerüchte gibt, dass ein TV-Schauspieler, der in einer Serie einen ganz normalen Bürger spielt, der zum Präsidenten wurde, tatsächlich der nächste Präsident werden könnte. Heute wissen wir, dass es so gekommen ist. Und wir wissen auch, dass sich alle Befürchtungen des russischen Angriffs bewahrheitet haben.

„Die Hand von Odessa“ ist ein überdrehter, irrwitziger und scharfsinniger Politthriller, der mit den Mitteln der Komik viel über die bittere Realität erzählt – und er ist zugleich eine Liebeserklärung an diese einzigartige, schützenswerte Stadt.

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