SWR2 lesenswert Kritik

Lars Reichardt – Zimmer für immer. Meine Suche nach einem Ort zum Bleiben

Stand
Autor/in
Claudia Fuchs

Wie kann man jenseits von Paar-, Familien- und Single-Dasein zusammen wohnen? Lars Reichardt stellt in seinem Buch „Zimmer für immer“ inspirierende Beispiele unterschiedlicher Wohnformen vor, die von Witwen-WGs bis zur linken Kommune in Italien reichen. Die Geschichten aus seiner Münchener Zweck-WG bringen erheiternde Einsichten in Alltagsprobleme, denen der Autor bewundernswert gelassen begegnet.

Das ehemalige Famliendomizil wird zur Zweck-WG

Wie wollen wir wohnen? Je älter man wird, um so drängender wird diese Frage. Lars Reichardt, ein sechzigjähriger erfahrener WG-Bewohner, stellt sich in seinem Buch „Zimmer für immer“ die ganz persönliche Frage nach der Zukunft seines Wohnens.

Reichardts aktuelles Wohnmodell ist eher ungewöhnlich: Der Vater dreier erwachsener Kinder vermietet in seinem Münchener Reihenhaus Zimmer an wechselnde Mitbewohnerinnen und Mitbewohner. Das ehemalige Familiendomizil hat er seiner Frau bei der Scheidung abgekauft.

Eigentlich schwebt ihm eine WG mit Freunden vor

Das kleine Haus mit Garten ist nicht unbedingt WG-geeignet, aber die Wohnungsnot im teuren München ist groß und so wechselt die illustre Mieterschaft stetig. Eine Biologie-Studentin, ein älterer Rockprofessor und ein modebewusster, chinesischer Marketing-Experte haben in dieser Zweck-WG nichts gemeinsam außer Küche und Bad. Dementsprechend knapp ist auch die Kommunikation. Beschwerden über den Zimmernachbarn will mancher gerne per E-mail loswerden, anstatt im persönlichen Gespräch.    

Eigentlich wünscht sich der Autor ein anderes Lebens- und Wohnmodell. Eine WG mit Freunden schwebt ihm vor, denn so seine Erfahrung:

„Wer allein wohnt, muss sich um alles kümmern“.

Aber welche Alternativen gibt es jenseits von Kleinfamilie und Singledasein?

Wie viel Gemeinschaft, wie viel persönliche Freiheit wünsche ich mir?

Reichardt besucht unter anderem eine Jesuitenkommunität, eine deutsche Kommune in Italien, eine Witwen-WG und eine alternative Dorfgemeinschaft. Er interviewt Immobilienentwickler, Architekten und Soziologen.

Immer wieder stellt er sich bei seinen Recherchen, die auch den Horizont der Leserinnen und Leser erweitern, die Frage: Wäre das etwas für mich? Eine gründliche Selbstreflexion, das macht dieses Buch klar, ist die Voraussetzung für die Wahl einer passenden eigenen Wohnform. Wie viel Gemeinschaftsleben wünsche ich mir, wie viel persönliche Freiheit brauche ich?

Das Ökodorf und die linke Kommune sind keine Optionen

Der Autor stellt nach einer ehrlichen Selbstbefragung fest: Da er jetzt mehr Verbundenheit als Freiheit will, wird er sich nicht für ein Ökodorf mit hundertfünfzig Einwohnern entscheiden, in dem jeder seiner Wege geht.

Auch die linke Kommune in Italien, von Mitgliedern der Frankfurter Sponti-Szene vor vierzig Jahren gegründet, ist keine Option. Utopiaggia ist inzwischen auf einen Kern von etwa zwanzig Rentnern und Rentnerinnen geschrumpft und jüngere Neuzugänge sind nicht in Sicht.

Die Kinder der Gründer-Kommunarden leben meist in Deutschland in klassischen Kleinfamilien. Für die Enkelgeneration sind die Wohnexperimente der Großeltern ein exotisches Ferienerlebnis.

Der Autor blickt auf eine ungewöhnliche WG-Vergangenheit zurück

Lars Reichardt blickt selbst auf eine ungewöhnliche WG-Historie zurück. Als Sohn der Schauspielerin Barbara Valentin, die nach drei Scheidungen nicht alleine leben wollte, erlebte er als Teenager Vor- und Nachteile der mütterlichen Wohngemeinschaft. Ein schwules Freundespaar war sein Familienersatz, laute Alkohol- und Drogennächte raubten dem Schüler den Schlaf.  

Wer diese Vorgeschichte des Autors kennt, versteht die Ursprünge seiner aktuellen Zimmersuche besser. Was Reichardt sich allerdings nicht bewusst macht, ist das schwierige Rollenkonstrukt, in dem er selbst als Hauseigentümer und Mitbewohner lebt.

Als Vermieter des Hauses ist er rechtlich sehr wohl dafür verantwortlich, sich um alles zu kümmern. Es ist deshalb erstaunlich, welche Ausbesserungsarbeiten seine Mieterinnen und Mieter unabgesprochen übernehmen, weil sie als Mitbewohner bestimmte Standards von Ordnung und Sauberkeit erwarten. Reichardt scheint zu ignorieren, dass er eine Doppelrolle innehat. Er möchte gleich sein, ist es aber faktisch nicht.

Erstaunliche Vielfalt an unterschiedlichen Wohnformen

Immer wieder streut der Autor in lockerem Ton Alltagserfahrungen mit seinen wechselnden Mitbewohnern ein. Dauerdiskussionen um Sauberkeit in gemeinsam genutzten Räumen gehören natürlich dazu und die Erkenntnis, dass die Jesuiten-Kommunität dieses Problem mit einer Zugehfrau löst. Für katholische Ordensbrüder ist deren Bezahlung kein Problem, für eine Köchin mit geringem Lohn, die ein Zimmer in Reichardts Haus mietete, sicher schon.

Das Buch liest sich leicht und erstaunt mit der Vielfalt an unterschiedlichen Wohnformen. Am nachdenklichsten macht die Aussage eines Soziologen, der die Kommune in Italien einst mitgründete. Freundschaft ist für ihn nicht die Voraussetzung, um gut miteinander wohnen zu können.

Man kann mit jedem zusammen wohnen, wenn man nur gemeinsam etwas tut. Das gemeinsame Projekt schweißt zusammen“,

ist er überzeugt.

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