Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und jetzt der Krieg in Israel hat die Frage, wie ein Krieg beendet werden kann, höchst aktuell gemacht. Natürlich geht der Historiker Jörn Leonhard die Frage historisch an und fragt:
Unter welchen Bedingungen wurden in der Vergangenheit Kriege beendet? Warum dauerte es beim 30-jährigen Krieg sehr, sehr lange, bis es zu einem Friedensschluss kam? Warum wurde der Sieg Deutschlands über Frankreich 1871 ausgerechnet in Versailles gefeiert? Welche Folgen hatte dies für den Versailler Vertrag 1919, also zum Ende des Ersten Weltkrieges?
Nach dem Zweiten Weltkrieg schloss Deutschland überhaupt keinen Friedensvertrag, sondern unterschrieb nur eine bedingungslose Kapitulation, und doch waren die Jahrzehnte danach relativ stabil. Warum kann man den Zwei-plus-Vier-Vertrag des Jahres 1990 als einen nachträglichen Friedensvertrag ansehen? Was folgt aus all dem für den heutigen Krieg in der Ukraine, für den Krieg im Nahen Osten?
Jörn Leonhard hat sich seit Jahren mit diesen Fragen beschäftigt. Seine Schlussfolgerungen fasst er in zehn Thesen zusammen, unter anderem in dieser:
Oder
Der Charakter eines Krieges entscheidet über sein Ende
Der Krieg in der Ukraine ist – so der Autor – zu einem „unabsehbar langen Abnutzungskrieg“ geworden. Über die Erfolgsaussichten eines Friedensschlusses entscheiden, wie der Historiker schreibt, „Ursachen, Verlauf und Charakter des vorangegangenen Konflikts.“
Immerhin stellt er fest, dass in begrenzten bilateralen Konflikten die mögliche Vermittlung durch Dritte eine entscheidende Rolle spielt. In jedem Fall aber muss dafür die Situation „reif“ sein, d.h. erstens müssen „beide Kriegsparteien (…) zu der rationalen Einschätzung gekommen sein, dass sie von einer politischen Lösung größere Vorteile erlangen können als von der Fortsetzung militärischer Gewalt.“
Zweitens muss es glaubwürdige Vermittlungsinstitute geben, und drittens bedarf es „robuster Sanktionsinstrumente“. Auf die Ukraine bezogen wird man schnell erkennen, dass keine dieser Bedingungen erfüllt sind. Und ebensowenig sind diese Bedingungen für den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern erfüllt.
Frieden oder nur Waffenstillstand?
Aufgrund der zahlreichen Beispiele, die Leonhard anführt – vom Krieg Athens gegen Sparta bis hin zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien und den fragilen Zuständen im heutigen Bosnien – kann er äußerst anschaulich erklären, was es zu einem tragfähigen Frieden bedarf, warum ein trügerischer Waffenstillstand nicht lange weiterhilft und warum sogar eine militärische Niederlage zum Nachdenken über notwendige innenpolitische Reformen führen kann wie in Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Verlierer müssen lernen, Sieger nicht
Sehr interessante Charakterisierungen legt Leonhard zu den Siegern und Verlierern vor: danach gleichen sich alle Sieger im kurzen Moment des Sieges, die Verlierer dagegen erleben ihre Niederlagen in je eigener Weise; historische Erkenntnisgewinne stammen typischerweise von den Besiegten.
Die Deutschen schlugen deshalb nach dem Zweiten Weltkrieg einen Sonderweg ein, der es ihnen erlaubte, den verlorenen Krieg und die moralische Katastrophe zu verarbeiten.
Die komparativen, historischen Erkenntnisse von Jörn Leonhard regen auf eindringliche Weise zum Nachdenken an. Auf nachvollziehbare Weise kann er erklären, welche Voraussetzungen für einen Friedensschluss, der diesen Namen verdient, erfüllt sein müssen. Eine sowohl spannende als auch lehrreiche Analyse.