Der Debütroman „Kintsugi“ von Miku Sophie Kühmel überzeugt durch eine dichte, im Hauptteil gut erzählte Geschichte und eine eigentümlich sinnliche Nachdenklichkeit. Kintsugi“ ist ein Buch über die Sehnsucht, über die vielen Spielarten der Liebe und über das ewige Rätsel, das menschliche Beziehungen bleiben – egal, wie lange sie schon dauern und welcher Natur sie sind.
Das Titelwort kommt aus dem Japanischen. Kintsugi ist eine traditionelle Technik in Japan, die Scherben von zu Bruch gegangener Keramik mit Gold neu zusammenzufügen. Kintsugi feiert die Brüche, statt sie zu verstecken. Und die 1982 in Gotha geborene Autorin macht aus diesem Handwerk nun ein poetisches Programm.
Warum wählt die 27-jährige Debütantin dieses Thema?
Eigentlich – und das weiß jeder, der sich analytisch mit Literatur beschäftigt – haben einem die Motive von Schriftstellern zunächst mal egal zu sein. Warum jemand das schreibt, was er schreibt, tritt zurück hinter die Frage, wie gut er schreibt, was er schreibt.
Und doch kommt man nicht umhin, sich Gedanken über Miku Sophie Kühmel zu machen. Was bringt eine 27-jährige Debütantin dazu, ein schwules Langzeitpaar in den Vierzigern ins Zentrum ihrer Geschichte zu rücken? Und welche Ambition muss sie treiben, dann auch noch aus der Perspektive der Männer zu schreiben, Derbheiten demonstrativ inklusive?
So klingt Max, der spröde Archäologie-Professor. Sein Partner, Reik, ist ein berühmter, exzentrischer Künstler.
Matte Stimmung beim Beziehungsjubiläum
Zu Beginn der Geschichte treffen sie gerade in ihrem Ferienhaus in der Mark Brandenburg ein, es ist tiefer Winter und vorgeblich soll 20-jähriges Beziehungsjubiläum gefeiert werden, aber so recht will keine Stimmung aufkommen.
In das komplizierte, wenn auch eingeübte Miteinander der Männer versenkt sich Miku Sophie Kühmel, indem sie erst mit der Stimme des Einen, dann mit der des Anderen erzählt.
Die Figuren sind glaubwürdig geschildert
Die Anmaßung, die man darin sehen könnte, relativiert sich aber rasch. Denn die Anverwandlung ist durchaus überzeugend, die Figuren sind dreidimensional und glaubwürdig in ihrer Emotionalität und Fehlbarkeit. Man hat längst aufgehört, über die junge Schriftstellerin und ihre Herangehensweise nachzudenken, als sie, fast kokett, einer ihrer Figuren dies in den Mund legt:
Der dritte Mann: Tonio
Es ist ein dritter Mann, der das sagt. Denn es bleibt im Roman nicht bei Max und Reik. Da sind auch noch Tonio und seine gerade erwachsen gewordene Tochter Pega, die an jenem Wochenende mitfeiern wollen.
Insgesamt gibt es dadurch vier einander ablösende Ich-Perspektiven – plus einige kurze dialogische Zwischenspiele.
Der Perspektivwechsel entfaltet eine starke Wirkung
Formal ist der Roman damit interessant aufgestellt. Auch inhaltlich entwickelt sich schon nach kurzer Zeit eine bestrickende Wirkung, die wesentlich auf dem Perspektivwechsel beruht. Jedes neue Kapitel leuchtet die Schatten der vorangegangen aus.
Man erfährt, dass Reik und Tonio vor Urzeiten etwas miteinander gehabt haben – bis Max kam. Man begreift, dass Reik und Max Pega von ganzem Herzen lieben, und dass gerade darin erhebliche Sprengkraft liegt.
Ein Buch über die vielen Spielarten der Liebe
„Kintsugi“ ist ein Buch über die Sehnsucht, über die vielen Spielarten der Liebe und über das ewige Rätsel, das menschliche Beziehungen bleiben – egal, wie lange sie schon dauern und welcher Natur sie sind.
Goldene Bruchstellen
Das Titelwort kommt aus dem Japanischen. Kintsugi ist eine traditionelle Technik, die Scherben von zu Bruch gegangener Keramik mit Gold neu zusammenzufügen. Das passt schon vordergründig zu diesem Text, weil Max, der Archäologe, leidenschaftlicher Teetrinker und Japan-Verehrer ist und einmal, in einem seltenen, unbeherrschten Moment, eine kostbare Trinkschale zerdeppert.
Auch symbolisch ist der Titel treffend. Die Kintsugi-Methode feiert die Brüche, statt sie zu verstecken. Sie kultiviert den Gedanken, dass gerade dort ein Wert stecken kann, wo zuvor eine Verletzung gewesen ist.
Miku Sophie Kühmel hat viel vor – etwas zu viel
Miku Sophie Kühmel hat spürbar viel vor mit ihrem Erstling. Thematisch wirbt sie für Toleranz gegenüber nicht-mainstream-fähigen Lebensmodellen und für den Mut zum Scheitern.
Literarisch knüpft sie an Vorbilder an, die zu groß sind, um sie ernsthaft mit diesem Debut vergleichen zu wollen. Goethes „Wahlverwandtschaften“, um nur eines zu nennen. Auch sprachlich ist ihr Anspruch unübersehbar. Das alles überlädt den Text streckenweise, so manche Passage zieht sich.
Ein Debut, das dennoch Eindruck macht
Das perfekte Debut ist bisher nicht geschrieben. Dieses hier weiß dennoch Eindruck zu machen: durch eine dichte, im Hauptteil gut erzählte Geschichte und eine eigentümlich sinnliche Nachdenklichkeit.
Im besten Fall zeigt so ein erster Roman das Potenzial einer neuen Stimme. Gehen wir mal davon aus, dass von Miku Sophie Kühmel noch allerhand kommen wird.