Porträt von Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 - 1803), Jens Juel

Zum 300. Geburtstag des Dichters

Friedrich Gottlieb Klopstock: Von Popstars und Poesie, Fantum und Frühlingswürmchen

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AUTOR/IN
Frank Hertweck
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Nina Wolf

Am 2. Juli 2024 ist Friedrich Gottlieb Klopstocks 300. Geburtstag. Der Begründer der Empfindsamkeit war seinerzeit gefeiert, der Ruhm ist heute jedoch verblasst. Über einen Dichterstar.

Klopstock und die „Swifties“

Klopstock, wer war das nochmal? Dabei war der Mann einmal Kult. 50.000 Trauernde sollen bei seinem Begräbnis in Hamburg 1803 dabei gewesen sein.

Seine Gedichte wurden kopiert, von Hand zu Hand weitergereicht, es entstand so etwas wie eine Bubble von Gleichgesinnten, eine ganz neue lyrische Öffentlichkeit, wie man das heute von den erstaunlich filigranen Textexegesen der zarten Seelen der „Swifties“ kennt.

Kurz: Gedichte sind Briefe oder Nachrichten an Dich. Das war damals historisch neu und hat einer Epoche einen Titel gegeben: die Empfindsamkeit.

Die Fans von Taylor Swift lieben ihre Looks wie Lyrics. Friedrich Gottlieb Klopstock überzeugte seine Fangemeinde wohl nur mit letzterem.
Die Fans von Taylor Swift lieben ihre Looks und Lyrics. Friedrich Gottlieb Klopstock überzeugte seine Fangemeinde wohl nur mit letzterem.

Weinen mit Klopstock

Mit seinem Namen konnte man Liebesschwüre abkürzen. Sein Zeitgenosse Johann Wolfgang Goethe besiegelte in seinem Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ die Annäherung des Helden und der angebeteten Charlotte, nach einem Gewitter am Fenster stehend, mit dem Ausruf „Klopstock!“

Damit war alles gesagt: die Tränen flossen. Oder in Goethes Worten:

Sie stand auf ihrem Ellenbogen gestützt und ihr Blick durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge thränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte – Klopstock!

Friedrich Gottlieb Klopstock wurde am 2. Juli 1724 in Quedlinburg geboren. Hier das Geburtshaus des Dichters.
Friedrich Gottlieb Klopstock wurde am 2. Juli 1724 in Quedlinburg geboren. Hier das Geburtshaus des Dichters.

Der Großsprecher

Klopstock war sich seiner Bedeutung schon früh sicher. Er war das älteste von 17 Kindern, hochbegabt, sendungsbewusst, großsprecherisch. Und er stammte aus einer pietistischen Familie, was für seinen Umgang mit Literatur nicht unwichtig war.

Mit seiner Abiturrede am Eliteinternat von Schulpforta im heutigen Sachsen-Anhalt, die er auf Latein hielt, brachte sich der 18-jährige unter enormen Zugzwang. In der Übersetzung von Arno Schmidt:

Und ist DER noch nicht unter den Lebenden, welcher bestimmt ist, Deutschland mit diesem Ruhme zu schmücken?!: So erscheine, großer Tag, der diesen Dichter ins Leben ruft! Und möge dieser würdig werden des Menschengeschlechts, der Unsterblichkeit, und Gottes selbst, den er vor allem preisen und verherrlichen wird!

Verstanden? Natürlich lebt DER schon, er heißt nämlich Klopstock und hält gerade eine Rede. Er will unsterblich werden, der Künder Deutschlands, anerkannt vom Menschengeschlecht, ja, auch noch von Gott. Und wie? Durch ein großes christliches Epos.

Der Elon Musk der Dichtkunst

Dazu muss man wissen: Das Epos galt damals als die altehrwürdigste Dichtungsgattung und „christlich“ bedeutete darüber hinaus: Kein Inhalt ist wichtiger und relevanter. Es ging also ums große Ganze. Und es gab mächtige Vorbilder: Dantes „Göttliche Komödie“ aus dem 14. Jahrhundert, geschrieben bahnbrechend auf Italienisch, dann John Miltons „Paradise Lost“, entstanden im England des 17. Jahrhunderts.

Hier haben bedeutende Dichter versucht, die Bibel weiterzuschreiben – mit den Mitteln der Literatur.

Und weil der junge Mann an der Schule Latein und Altgriechisch gelernt und sich für die antiken Autoren begeistert hatte, packte er später auch noch das Versmaß der homerischen Dichtung drauf, den Hexameter. Größenwahnsinniger geht’s nimmer. Sozusagen der Elon Musk der Dichtkunst.

Goethe, Johann Wolfgang von Frankfurt a. M. 28.8.1749 – Weimar 22.3.1832. “Goethe in der Campagna”. Gemälde, 178687, von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751–1829). Öl auf Leinwand, 164 × 206 cm. Inv. Nr. 1157 Frankfurt a. M., Städelsches Kunstinstit.
„Nun sollte aber die Zeit kommen, wo das Dichtergenie sich selbst gewahr würde, sich seine eignen Verhältnisse selbst schüfe und den Grund zu einer unabhängigen Würde zu legen verstünde. Alles traf in Klopstock zusammen, um eine solche Epoche zu begründen", schrieb Johann Wolfgang von Goethe in „Dichtung und Wahrheit".

 Eine Dichtung so groß wie Gott

Das Ergebnis: Das Epos „Messias“, das nach und nach veröffentlicht wurde und erst 1773 zum Abschluss kam, da war Klopstock schon fast 50. Und er hatte das große Glück, einen Mäzen gefunden zu haben, der geduldig seinen Großdichter unterstützte, weil der sonst wahrscheinlich verhungert wäre: der dänische König und gerade nicht Friedrich der Große, der lieber französisch las.

Die Messiade umfasst fast 20.000 Verse in zwanzig Gesängen und gilt als einer der großen ungelesenen Texte der deutschen Literatur. Mit ihm hätte es Klopstock vielleicht zum dichterischen Hohepriester gebracht, aber niemals zum Status des Kultautors. Denn das Problem ist ja offensichtlich: Wie eine Geschichte Jesu schreiben? Es steht doch alles in der Bibel.

Also erzählt Klopstock einfach von seiner Begeisterung bei der Lektüre des heiligen Textes. Das kann zwar manchmal vor lauter Aufwallungen und Aufgeregtheiten ziemlich langweilig werden, aber Klopstock entfaltet nichts anderes als die Gefühlsgeschichte einer lesenden Seele.

Ein Beispiel?

Rein sei mein Herz! So darf ich, obwohl mit der bebenden Stimme / Eines Sterblichen, doch den Gottesversöhner besingen / Und die furchtbare Bahn, mit verziehnem Straucheln, durchlaufen.

Christliches Epos - Religion = Oden + Fans + Genie

Doch kann das nicht auch ohne Bibel funktionieren? Muss denn die Literatur Magd der Religion sein? Nein! Das ist die historische Pointe. Klopstock verzichtet in seinen Oden zusehends auf den religiösen Überbau, behält aber den emotionalen Unterbau bei. Und das klappt. Er liefert Empfindungen und Emotionen und die Leserinnen und Leser fühlen mit.

Plötzlich kann geherzt, geschmachtet, gewütet, geliebt werden. Jetzt entstehen Gefühlsgemeinschaften, jetzt entsteht ein Fantum, jetzt kann es erst so etwas wie ein Kultautor geben. Aus einem Dichter, der sich in den Dienst des Glaubens gestellt hat, wird ein Dichter, an den seine Gemeinde glaubt, aus Gott wird ein ICH, ein Autor, ein Genie.

Mehr zu Friedrich Gottlieb Klopstock in der Musik

Freie Rhythmen

Und das hat natürlich auch Konsequenzen für die Dichtung. Klopstock sprengt das Regelwerk auf, das die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts gegängelt und gefesselt hat. Die Explosion der Emotionen treibt das strenge Versmaß an den Rand des Chaos. Es entstehen die freien Rhythmen. Wer heute Lyrik ohne Reim und Regel schreibt, steht auf den Schultern von Klopstock.

Noch einmal zurück zu Goethe und seinem Werther. Das Gedicht, auf das die hauchende Charlotte mit der Nennung des Autorennamens anspielt, ist die Ode „Die Frühlingsfeier“, es ist ein wunderbares Preislied des Kleinen, des Endlichen, des Sterblichen, des einzelnen Tropfens im Gewitterregen. Und es endet so:

Aber du Frühlingswürmchen, / Das grünlichgolden neben mir spielt, / Du lebst; und bist vielleicht / Ach nicht unsterblich! / Ich bin heraus gegangen anzubeten; / Und ich weine? Vergieb, vergieb / Auch diese Thräne dem Endlichen, / O du, der seyn wird!

Aber um Himmels willen, was ist denn ein Frühlingswürmchen?

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