Spurlos verschwunden

Wo bist du? ARD Podcast sucht Menschen, die auf der Flucht verschwinden

Stand
Autor/in
Pia Masurczak
Pia Florence Masurczak

Europa macht die Tore dicht. Mit Lagern an den Außengrenzen, mit sogenannten Migrationsabkommen und mit Grenzzäunen. Für Menschen auf der Suche nach Asyl wird es immer schwieriger, überhaupt in die EU zu gelangen. Und von einigen fehlt, seitdem sie es versucht haben, jede Spur. Der ARD-Podcast „Wo bist du? Verschollen auf der Flucht“ begibt sich auf die Suche nach ihnen.

Flucht übers Mittelmeer, weil kein legaler Weg in die EU möglich war

Saras Geschwister sind einfach weg. Keine Nachricht, kein Anruf. Nichts hört sie von Soma und Puria, die auf einem Segelboot versuchen, Italien zu erreichen. Dabei hatte ihre große Schwester versprochen, auf sie aufzupassen auf ihrer Flucht nach Europa.

Ein Leben im Iran, unter dem politischen Druck des Regimes und ohne Perspektive, das hätten die beiden nicht mehr ertragen, erzählt Sara. Sie selbst lebt schon seit vielen Jahren in Schweden, aber ihre Schwester und ihr Bruder haben trotz vieler Versuche keinen legalen Weg in die EU gefunden. Deshalb die Flucht übers Mittelmeer.

Eine tagelange Irrfahrt auf dem Mittelmeer

Noch auf dem Weg zur Anlegestelle bekommt Sara eine beunruhigende Nachricht von ihrer Schwester: „Bitte fahr uns nicht hinterher. Diese Leute sind gefährlich, sie haben Waffen.“

Sara hört nicht auf ihre Schwester. Sie hat sich mit ihrem Auto hinter den Konvoi der Schlepper gehängt und folgt ihnen. Nach etwa 45 Minuten kommen sie in einer Bucht am türkischen Mittelmeer zum Stehen.

Das letzte Mal sieht Sara ihre Geschwister, als sie beobachtet, wie die beiden aufs Boot steigen. Was dann passiert, rekonstruiert der Podcast „Wo bist du?“: Eine tagelange Irrfahrt auf dem Mittelmeer, schließlich eine Suchmeldung der italienischen Küstenwache.

Nicht die Küstenwache sucht nach Überlebenden

Mehr als 4000 Menschen sind allein letztes Jahr im Mittelmeer ertrunken oder verschollen. Andere sind an der polnisch-belarussischen Grenze verschwunden oder auf der Balkanroute. Ihre Angehörigen suchen oft jahrelang nach ihnen, mit allen Mitteln. So wie Sara, die die Podcast-Autorin Antonia Märzhäuser in Italien kennenlernt.

„Und was dann passiert ist, ist dass ich im Café saß und einen Helikopter gehört habe“, erinnert sich Antonia Märzhauser. „Und ich dachte, das ist bestimmt die italienische Küstenwache, die nach Überlebenden sucht. Und einen Tag später hat mir ein kurdischer Journalist erzählt: Nee, das in dem Helikopter, das war eine Frau, die ihre Schwester und ihren Bruder sucht. Die selbst die Suche in die Hand genommen hat.“

Verzweiflung über die Ungewissheit

Auf dieser Suche begleitet der Podcast Sara, Faisal, Latifa und die anderen. Deren Verzweiflung über das Nichtwissen ist manchmal kaum auszuhalten. Vermutlich, wahrscheinlich sind die Geschwister nicht mehr am Leben. Aber das Nichtwissen, sagt Podcast-Host David Romanowski, ist schlimmer.

„Es gibt auf jeden Fall Geschichten, in denen die Leute am Ende Antworten bekommen“, erzählt er. „Und da geht’s auch gar nicht so sehr um die Frage, ob sie ihre Angehörigen lebend finden, sondern auch darum, herauszufinden, was passiert ist. Zum Beispiel, zu erfahren, dass sie tot sind, was für die Menschen eine Gewissheit mit sich bringt.“

Die Frage nach der politischen Verantwortung ist für die Angehörigen zweitrangig

Im Vordergrund steht die Suche, die Hoffnung der Angehörigen auf Antworten. Der Podcast bleibt ganz nah dran an seinen Protagonisten, ihrem Kampf mit den Behörden, den teils kriminellen Schleusern.

Dabei ist die Frage nach der politischen Verantwortung immer präsent, aber für die Angehörigen erst einmal zweitrangig, erklärt Antonia Märzhäuser: „Die ist natürlich ein Ergebnis von der EU-Grenzpolitik, gar keine Frage. Aber für die Angehörigen stehen erst einmal andere Themen im Zentrum.“

Sechs verschwundene Menschen stellvertretend für viele tausend

In den acht Folgen rekonstruieren die Journalisten zusammen mit den Angehörigen Fluchtwege, treffen andere Geflüchtete und recherchieren die Netzwerke der Schleuser. Am Ende stehen die Geschichten von sechs verschwundenen Menschen, stellvertretend für viele tausend. 

Mehr Podcasts bei SWR Kultur

Forum Festung Europa – Was tun gegen illegale Migration?

Martin Durm diskutiert mit
Borhan Akid, Reporter des Studios Jot
Prof. Dr. Herwig Birg, Bevölkerungswissenschaftler, Universität Bielefeld
Svenja Niederfranke, Zentrum für Migration der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik

Forum SWR Kultur