Bei den Olympischen Sommerspielen hat Paris Maßstäbe gesetzt, spektakuläre Bilder geliefert und die Spiele weitgehend nachhaltig gestaltet. Doch diese Reformen reichen nicht aus, meint Sportjournalist Ronny Blaschke: Bei Dopingkontrollen oder hasserfüllten Debatten um Geschlechtsidentität besteht Nachholbedarf beim IOC.
Politiker nutzten die Werbung für sich selbst
Beachvolleyball vor dem Eiffelturm, Dressurreiten im Schlosspark von Versailles. Die Olympischen Spiele in Paris lieferten die spektakulärsten Bilder der jüngeren Sportgeschichte. Und im Vergleich zu früheren Spielen, in Peking, Rio oder Sotschi, organisierte Frankreich vergleichsweise nachhaltige Wettbewerbe.
Diese Werbung für die Spiele greifen etliche Politiker und Sportfunktionäre für ihre eigene Agenda auf. Auch deutsche Regierungsmitglieder wie Innenministerin Nancy Faeser oder Ministerpräsidenten wie Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen besuchten in Paris das deutsche Team.
Sie sicherten ihre Unterstützung für eine mögliche deutsche Bewerbung für Olympische und Paralympische Spiele zu. Seit 1972 in München fanden die Olympischen Spiele nicht mehr in Deutschland statt.
Die Reformen reichen nicht aus
Nancy Faeser sagte sogar, dass das Internationale Olympische Komitee, das IOC, sich auf einen Reformkurs begeben habe. Das mag sein, aber diese Reformen reichen nicht aus.
Unter seinem deutschen Präsidenten Thomas Bach unternimmt das IOC wenig, um Dopingvorwürfe gegen chinesische Schwimmer aufzuklären. Offenbar möchte er die chinesischen Großsponsoren des IOC nicht verärgern.
Auch in anderen Themen reagierte das IOC zu spät oder gar nicht: Zum Beispiel im Umgang mit der algerischen Boxerin Imane Khelif, die während der Spiele in eine hasserfüllte Debatte um Geschlechteridentität geraten ist.
Genderdebatte um algerische Boxerin Imane Khelif – als „Mannweib“ verunglimpft
Die Städte wurden vor der Bewerbung nicht gefragt
Auch gegenüber dem Gastgeber hätte Thomas Bach deutlichere Wort finden müssen: Frankreich ist das einzige Land, dass es seinen muslimischen Sportlerinnen verbietet, ein Kopftuch bei Wettkämpfen zu tragen. Zudem wurden vor den Spielen tausende obdachlose Menschen aus Paris in andere Regionen gebracht.
Die nächsten Olympischen Sommerspiele finden 2028 in Los Angeles und 2032 im australischen Brisbane statt. Die nächsten Winterspiele gehen 2026 in Norditalien über die Bühne, 2030 in Frankreich und 2034 im US-amerikanischen Salt Lake City. Allesamt Gastgeber aus Demokratien, doch keine dieser Städte hatte vor der Bewerbung die Bürger in einem Referendum befragt.
Die Vorteile von Olympia müssen mehr betont werden
Auch in Deutschland hat die Politik noch keine Volksbefragung in Aussicht gestellt, aber die ist zwingend notwendig. Politik, Sport und Wirtschaft müssen intensiver für die Vorteile von Olympia und Paralympics streiten, für die Rolle des Sports in Gesundheitsvorsorge, Integration und Stadtentwicklung.
In etlichen Schulen fällt insbesondere der Sportunterricht immer wieder aus. Viele Sporthallen und Schwimmbäder sind von Barrierefreiheit weit entfernt.
Zeit für diese Debatte bleibt ausreichend: 2036 finden die Sommerspiele wahrscheinlich im zunehmend autokratisch regierten Indien statt, vier Jahre später in Afrika oder in den Golfstaaten. Die spektakulären Bilder von Paris werden dann längst verblasst sein.
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