Lange war die Keramik nicht wirklich ein eigenständiges, ernstzunehmendes Material in der Bildenden Kunst. Ton wurde vielmehr als Skizzenmaterial, wie zum Beispiel für Bronzeplastiken, verwendet oder als Teil des Kunsthandwerks für Gebrauchsgegenstände.
Doch das hat sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts verändert. Die Kunstwelt habe das Material Ton wiederentdeckt, sagt Nele van Wieringen, Leiterin des Keramikmuseums in Höhr-Grenzhausen.
Documenta der Keramik in Höhr-Grenzhausen
Dort wird in diesem Jahr der 15. Westerwaldpreis vergeben, einer der renommiertesten Preise für Keramik-Kunst, der auch schon als „Documenta in Ton“ bezeichnet wurde. Über 600 Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa haben sich in diesem Jahr beworben.
Vom Römertopf bis zur Fliese Warum Rheinland-Pfalz eine Keramik-Hochburg ist
Badfliese und Bierkrug, Toilette oder Römertopf: Viele Gebrauchsgegenstände sind aus Keramik und Rheinland-Pfalz ist eine Keramik-Hochburg. Die Hochschule Koblenz mit Sitz im Westerwald gilt als keramisches Zentrum in Deutschland. Bedeutende Karamik-Künstlerinnen stammen aus Rheinland-Pfalz.
Die eingereichten Arbeiten zeigen, wie abwechslungsreich zeitgenössische Keramik-Kunst ist: von korallenartigen Gebilden, über hochgebaute Architekturen und verschiedenster Figuren bis hin zu großen, raumeinnehmenden Skulpturen.
Digitales als Gegensatz zum erdigen Ton
Die – im besten Wortsinne – Bodenständigkeit des Tons scheint ein willkommener Gegensatz zur fortschreitenden Digitalisierung zu sein. Das findet auch Künstlerin Nora Arrieta, die beim Westerwaldpreis mit dem 2. Preis ausgezeichnet wird.
In ihren Skulpturen arbeitet sie deshalb unter anderem mit Motiven wie Spielekonsolen, QR-Codes oder Smartphones und nutzt auch moderne Techniken, zum Beispiel 3D-Druck und Foto-Brand.
Denn das schaffe einen besonderen Kontrast, „also mit den Händen zu arbeiten und im Ton wirklich reale Spuren zu hinterlassen, die dann konserviert werden und da Aussagen über die Jetztzeit zu treffen”, sagt Nora Arrieta.
Spuren im Ton statt scrollen und wischen
Je digitaler und schnelllebiger unsere Gesellschaft wird, desto mehr scheint es den Wunsch danach zu geben, etwas mit den Händen zu schaffen und zu spüren. Das gilt wohl für Laien genauso wie für Künstlerinnen und Künstler.
So schätzt auch Nora Arrieta vor allem die Direktheit des Tons: „Es ist ein sehr einfaches Material, weil man sehr spontan Dinge machen kann und auch direkt ein Ergebnis hat.”
Formlos und günstig: Praktische Gründe für Ton
Besonders reizvoll ist sicher auch die völlige Formlosigkeit von so einem Tonklumpen. Ein Stück Holz zum Beispiel hat natürliche Maserungen und eine gewachsene Form. Ton ist einfach nur Matsch – völlige künstlerische Freiheit also. Und ein bisschen weckt das vielleicht auch unser aller Spieltrieb. Denn wer hat denn nicht als Kind gerne im Matsch gespielt und Formen geknetet?
Außerdem ist es ein recht günstiges Material: „Es ist kein Marmor, kein Silber oder Gold, wo man erst nachdenken muss, ob man das einsetzen würde. Ein Päckchen Ton von zehn Kilo kostet vielleicht zehn Euro. Das kann man ausprobieren”, nennt Nele van Wieringen als weiteren Vorteil.
Technische Herausforderungen: Trocknen, Glasieren, Brennen
Gleichzeitig wird die Keramik oft als herausforderndes Material beschrieben. Denn es gehört schon einiges an technischem Wissen und Erfahrung dazu, Ton zu brennen und zu glasieren. Vor allem, wenn man große Skulpturen machen will. Die können leichter Risse bekommen, einkrachen oder im Ofen explodieren – und natürlich braucht es auch erstmal einen Ofen, der auch groß genug ist.
Keramik-Kunst ist für die Ewigkeit
Doch vielleicht reizen ja auch genau diese Herausforderungen einige Künstlerinnen und Künstler, sich an der Keramik zu versuchen und eigene Skulpturen zu erschaffen. Wenn der Ton dann erstmal gebrannt ist, dann bleibt er es jedenfalls für die Ewigkeit.
„Ich finde den Gedanken bei der Keramik schön, dass die Dinge einen überdauern, über die Lebzeiten hinaus. Also es gibt ja Kunstwerke, die müssen aufwendig konserviert werden, damit sie erhalten bleiben. Aber die Keramik bleibt halt einfach da”, sagt Künstlerin Nora Arrieta. Es sei denn natürlich sie zerbricht.