Ein Balanceakt zwischen Leben und Tod
Frische Blumen gelten heute als Inbegriff der Freude. Sie werden aus Liebe verschenkt, erhellen den Tag und sind eine Augenweide. So sahen es auch viele Künstler im Barock. In der Blütezeit des Stilllebens gaben sie Blumen, Obst und reichen Speisen eine malerische Plattform.
So setzte Jan Brueghel der Ältere (1568-1625), ein niederländischer Maler an der Grenze zwschen Spätmanierismus und Barock, farbenfrohe Blumen prächtig in Szene, arrangierte sie in Körben oder Schalen und platzierte wie zufällig heruntergefallen einige Blüten daneben. Doch die Schönheit ist nur die eine Seite des Stilllebens.
Ausstellung „Gegen die Zeit“ mit Werken von Elizabeth Joan Clarke, Roland Albert und Sabine Steimer in Laundau:
Denn zwischen Leben und Tod, zwischen Prunk und Verfall, zwischen Armut und Reichtum ist es auch in der Malerei oft nur eine Gratwanderung. Und das Arrangement praller Früchte, teuren Hummers, voller Weingläser und frischer bunter Blumen ist ein Balanceakt. Die dargestellten Früchte können ebenso verfault, der Hummer vergammelt, oder die Blumen verwelkt sein. Solche Szenarien bringt kaum ein Genre so treffend auf die Leinwand wie das „Stillleben“.
Dresdens Kunstsammlung stellt Adriaen von Utrechts Stilleben mit Hund und Katze vor
Das „Prunkstillleben“ zeugt von Luxus und Vergänglichkeit
In den Bildwelten von Adriaen van Utrecht (1599-1652) etwa, liegt ein appetitlich roter Hummer auf einer ausladenden Schale, daneben ein goldener Pokal und ein Korb mit überbordenden Früchten. Musikinstrumente sind Zeugen eines vergangenen Festes.
Der barocke Luxus im sogenannten „Prunkstilleben“ hat aber seine Grenzen. Es steckt voller Symbole: Hund und Katze scheinen sich an heruntergefallenen Knochen gelabt zu haben, die Schale einer kunstvoll angeschnittenen Zitrone hängt herunter. Ist der erstaunliche Realismus der Darstellung vielleicht ein Aufruf zur Mäßigung in dieser verschwenderischen Fülle?
Auch die moderne Malerei setzt auf dekorierte Dinge
Nach dem Barock war das Stillleben nach einer kurzen Durststrecke wieder äußerst beliebt. Edouard Manet (1832-1883), der als Wegbereiter der modernen Malerei gilt, arrangierte seine Stillleben nach altmeisterlicher Art. Zum Beispiel malte er ein Bündel dicker Spargel, das mit zwei Weidenruten zusammengehalten wird.
Paul Cézanne (1839 – 1906), der sich nach Erfahrungen mit der romantischen und realistischen Malerei zunehmend dem Impressionismus verschrieb, platzierte in seinem Spätwerk „Stillleben mit Totenkopf“ etwa einen Totenschädel zwischen Äpfeln und Birnen.
Vergänglichkeit auf der einen, Genuss auf der anderen Seite. Die Irritation dieser „Memento-mori-Stillleben“ war offensichtlich Teil seines malerischen Programms.
Das Stillleben wird mit Braque dreidimensional
Der gelernte Dekorationsmaler Georges Braque (1882-1963) schloss sich zunächst den Fauvisten an, faszinierte sich für Farben und deren Wirkung. Er malte in seinen Stillleben etwa Weintrauben, Vasen, Zitronen. Später war er Mitbegründer des Kubismus.
Der französische Künstler setzte ab 1912 auf Collagen, arbeitete Tapetenstücke in seine Werke ein und führte das Stillleben aus seiner bisherigen Eindimensionalität heraus. Er nimmt daher eine Sonderrolle in der Geschichte des Stilllebens ein.
Foodporn – Das Stillleben der sozialen Medien
Die viral gehenden Fotografien des eigenen Essens, sei es aufgetischt in der heimischen Küche oder serviert beim Lieblingsitaliener, sind in gewisser Weise auch eine Art von Stillleben und sollen zeigen, was man sich alles leisten kann.
Das Mahl auf dem Teller als Zeichen für einen beneidenswerten Lifestyle – soviel hat sich offenbar seit der Blütezeit des Stilllebens im Barock nicht geändert. Die künstlerische Qualität der meisten Schnappschüsse mit dem Handy, dürfte in den sozialen Medien allerdings nicht ganz an die Alten Meister heranreichen.