Nicht nur „Home Sweet Home“ – Das Zuhause ist ein Ort der Gegensätze
„Home Sweet Home“ steht auf vielen Fußmatten, bemalten Blechschildern an Haustüren oder auch auf Servietten. Was das Zuhause ausmacht, ist allerdings ganz unterschiedlich. Zu Hause kann man seine Freizeit verbringen, aber auch arbeiten.
In der Kunst gibt es viele Beispiele, die diese Gegensätze darstellen.
Für Kunsthistorikerin Katharina Henkel, neue Leiterin der Internationalen Tage Ingelheim, ist die aktuelle Ausstellung richtungsweisend für das, was in den nächsten Jahren passieren wird: „Deswegen war es mir wichtig, ein breites Spektrum von Künstler*innen zu zeigen und möglichst viele Gattungen.“
Raum zum Dösen, Faulenzen, Nichtstun
In der Freizeit kann man einem Hobby nachgehen: Musikmachen, Lesen oder einfach nur Dösen. Nichtstun war lange der Inbegriff der Faulheit. Aber oft entstehen gerade erst aus der Langeweile gute Ideen. In der Kunstgeschichte gibt es viele Beispiele dafür, wie Künstler den Alltag „Zuhause“ darstellen.
Gepflegter Müßiggang mit Kartenspielen, Würfeln und Schach
Der Künstler Paul Kayser (1869 -1942) malte um 1916 das Gemälde „Schachspiel“. Es zeigt ihn und seine Frau, wie sie beide an einem kleinen runden Tisch sitzen und über die nächste Partie grübeln.
Der Künstler hält eine Zigarette in der rechten Hand. Seine Frau stützt ihren geneigten Kopf auf der Hand auf. Draußen ist es dunkel und eine kleine Lampe wirft Licht auf das Schachbrett. Beide wirken sehr konzentriert und das Schachspiel scheint ein allabendliches Ritual zu sein.
In der Kunstgeschichte gibt es einige Beispiele für Künstler*innen, die sich für Schach begeisterten. Vermutlich ist Schach auch einer der am meisten dargestellte Zeitvertreib in der Kunst. Adlige in der Renaissance spielten Schach, ebenso wie Teilnehmer der bürgerlichen Salons im 18. und 19. Jahrhundert. Auch der Konzeptkünstler Marcel Duchamp war ein passionierter Schachspieler.
Bed and Breakfast: Tagesauftakt im Schlafzimmer
Wer würde so nicht gerne den Tag beginnen: eine Tasse Kaffee im Bett und gemütlich mit einem guten Buch oder einer Zeitung in den Tag starten? Klingt gestrig, da ja Handy und Laptop der kurzweiligen Information dienen?
Die Künstlerin Fides Becker (*1962) sieht das anders. In ihrer Acrylarbeit auf Japanpapier, die 2024 entstanden ist, zeigt sie sich selbst im Bett sitzend, mit einer Tasse in der Hand und einer Zeitung auf dem Schoß.
Das Motiv der Lesenden
Das Motiv der Lesenden zieht sich quer durch die Kunstgeschichte. August Macke porträtierte seine Frau Elisabeth zum Beispiel in allen möglichen Variationen. Auch als „Lesende“. Seine Pastellzeichnung mit Farbkreiden aus dem Jahr 1912 zeigt sie mit herabgesenkten Augenlidern, wie sie einen Brief liest. Sie scheint völlig versunken in den Inhalt und wirkt nachdenklich.
Blaue Stunde: Inszeniertes Nichtstun
In der Dämmerung liegt eine junge Frau auf ihrem Bett. Sie trägt ein aufwendig gearbeitetes blaues Kleid, auch die Wände des angedeuteten Raumes und die Einrichtungsgegenstände, wie eine Vase, sind in Blautönen gehalten.
Blau symbolisiert in der Kunst oft „Ruhe“. Das Werk „Liegendes Mädchen“ von Walter Gramatté aus Aquarellfarbe und Tusche aus dem Jahr 1921 zeigt seine Tochter Sonja Gramatté beim Müßiggang „Zuhause“.
Handarbeit oder Homeoffice: Das „Zuhause“ als Ort der Arbeit
Stricken ist mehr als nur ein Hobby oder eine Handarbeit. In der Zeit des Ersten Weltkrieges etwa strickten Frauen wärmende Socken oder Schals für die Soldaten an der Front.
Der Brücke-Künstler Ernst Ludwig Kirchner porträtierte 1918/19 eine strickende Bäuerin mit Bleistift auf Papier. Sie drückt die Verbindung von Alltag und Arbeit aus und kann symbolisch für Zusammenhalt und Solidarität in einer unsicheren Zeit gesehen werden.
Kirchners ausdrucksstarke Linienführung entspricht dem expressionistischen Stil, der sich auf wesentliche Merkmale wie Gesichtsausdruck, Gestik und Haltung konzentriert.
Picasso: Im Atelier zu Hause
Für manche Künstler ist das Atelier ihr Zuhause. Es ist wohnlich eingerichtet und gleichzeitig verbringen sie dort den ganzen Tag mit künstlerischem Tun. Pablo Picasso wurde oft in seinem Atelier fotografiert.
Der Fotograf André Villers fotografierte um 1955 mehrfach Picasso in sehr persönlichen Situationen und während seines kreativen Schaffens in seinem Atelier im südfranzösischen Vallauris.
Schreibtisch am Palmenstrand
Das Meer, ein schneebedecktes Gebirge oder eine Wand voller Orchideen – solche Hintergründe kann sich jeder für virtuelle Sitzungen auf den Laptop oder PC hochladen. Oft sagen die Hintergründe viel über die jeweilige Stimmung oder einen Lieblingsort der Sitzungsteilnehmer aus.
Der Künstler Thomas Wrede hat sich mit seiner Arbeit „Büro am Palmenstrand“ schon lange vor Corona und dem Homeoffice-Siegeszug in virtuelle Welten geträumt und Foto-Tapeten deutscher Wohnzimmer fotografiert. Seine Fotografie aus dem Jahr 2001 zeigt einen großen sandfarbenen Schreibtisch, der optisch fließend in den darunterliegenden Sandstrand übergeht.
Büro im Koffer
Während der Corona-Pandemie hat die Möbelindustrie auf den Trend „Homeoffice“ reagiert und funktionale Schreibtische und platzsparende Regale auf den Markt gebracht. Das „Zuhause-Arbeiten“ ist zur Normalität geworden. Und nicht jeder kann sich eine größere Wohnung oder ein Haus mit mehr Zimmern leisten.
Der Wandsekretär „Nubo“ von GamFratesi ist eine sehr effiziente Bürolösung, zusammenklappbar und nur 80 x 55 x 14 cm groß. In der Ausstellung „Home Sweet Home“ ist dieser Wandsekretär eine Mitmachstation. Besucher*innen können hier auf bereitliegenden Zetteln Kommentare abgeben.
„Wir haben eine Koje, die sich mit dem Homeoffice beschäftigt“, erklärt Kuratorin Henkel. „Bei diesem Wandsekretär kann man den Tisch hochklappen und hat dann nur eine schmale Platte an der Wand hängen. Wir haben gedacht, er ist ideal, um Fragebogen auszufüllen. Welche Relevanz hat der Schreibtisch vor und nach Corona? Und diese Fragebögen werden dann in der Ausstellung aufgehängt.“