Was bedeutet es für die Familie, wenn der Ehemann im Gefängnis sitzt – vor allem für Frauen? Für ihren preisgekrönten Abschlussfilm „For the Time being“ an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg begleitete die Dokumentarfilmerin Nele Dehnenkamp zehn Jahre lang eine mutige afroamerikanische Frau im Kampf gegen das amerikanische Justizsystem.
Hochzeit mit einem verurteilten Mörder
Ein Polaroidbild zeigt Michelle als Braut – ganz in Weiß. Freudestrahlend umarmt von ihrem Ehemann Jermaine. Doch es ist keine normale Hochzeit. Denn Jermaine ist zu 22 Jahren Haft wegen Mordes verurteilt.
Es gibt Hinweise, dass Jermaine unschuldig im berüchtigten Gefängnis Sing Sing sitzt. Jahrelang kämpft Michelle, um ihn freizubekommen. Filmemacherin Nele Dehnenkamp richtet ihren Blick vor allem auf die zurückgebliebene Familie – und besonders auf die Rolle der Frau.
Liebevolle Familie trotz Gefängnismauer
Wie schafft man Nähe, wenn alle Kontakte, vom Telefonat bis zum Besuch im Gefängnis, überwacht werden? Trotz dieser Fremdkontrolle hätten Michelle und die Kinder Möglichkeiten gefunden, eine innige Beziehung zum Vater zu haben, sagt Nele Dehnenkamp: „Das hat mich sehr beeindruckt.“
Die Kinder schreiben mal liebevolle, mal witzige Briefe ins Gefängnis. Die Familie telefoniert oft gemeinsam mit dem Vater.
Schuften für Haushalt, Kinder, Anwaltskosten
Man taucht tief ein in das Leben von Michelle, die sehr liebevoll mit ihren Kindern umgeht. Als alleinerziehende Mutter verdient sie ihr Geld als Malerin für ein Unternehmen, dem Sozialwohnungen gehören.
Der schwer verdiente Lohn muss reichen für sie und die beiden Kinder, denen sie ein gemütliches Zuhause eingerichtet hat. Aber sie unterstützt auch ihren Mann im Gefängnis finanziell. Kauft zusätzliches Essen, bringt die Kosten für Anwälte auf. Und sie investiert sehr viel Zeit, um Anträge auf eine frühere Haftentlassung von Jermaine zu stellen.
Familienleben in Freiheit bleibt ein Traum
„Wir haben nie zusammengelebt, aber ich hab mir immer vorgestellt, dass wir zusammen in diesem Haus leben. Ich hab mir vorgestellt wie er Frühstück macht oder wie er und Paul im Garten Laub zusammenharken“, sagt Michelle in einer Szene. Ihre Träume und Visionen geben Michelle Halt.
Nele Dehnenkamp lernte die Afroamerikanerin bei einem Studienaufenthalt in den USA kennen und besuchte sie immer wieder. Sie kommt ihr im Film sehr nahe und zeigt auch die Tiefpunkte. Als Jahr um Jahr vergeht und die Kinder ausziehen und ein eigenes Leben beginnen – aufgewachsen ohne den Vater. Nele Dehnenkamps Doku beschönigt nichts.
Michelle politisiert sich
„Ich finde es inspirierend, wie Michelle in einer scheinbar aussichtslosen Situation Lebensfreude und Handlungsmacht findet und das über einen so langen Zeitraum“, sagt die Filmemacherin. Und das obwohl Angehörige von Gefängnisinsassen häufig stigmatisiert werden.
Michelle politisiert sich im Lauf der Jahre immer mehr. Mit anderen betroffenen Schwarzen Frauen protestiert sie öffentlich dagegen, dass in den USA immer noch überproportional mehr Afroamerikaner hinter Gittern landen.
Oft auch zu Unrecht. Ihr Kampf geht weiter. Dieser vielschichtige Film über das Leben einer mutigen Frau ist sehenswert.
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