Ins Berlin der Zwanziger Jahre des 21. Jahrhunderts hat Filmemacher Florian Frerichs seine Adaption von Arthur Schnitzlers "Traumnovelle" verpflanzt. Im Film heißen Fridolin und Albertine nun Jacob (Nikolai Kinski) und Amelia (Laurine Price). Statt der Droschke gibt's ein Taxi und die Musik von Thomas Kantelinen ist voller Anklänge an den Schostakowitsch-Walzer, der durch Stanley Kubricks großartige Verfilmung des Stoffs Berühmtheit erlangte.
Am Anfang liest ein Kind sich selbst in den Schlaf – die Eltern, der Arzt Jakob (Nikolai Kinski) und seine Frau Albertine (Laurine Price) lächeln einander an, nehmen ihr Gespräch wieder auf und geraten dabei schnell in heikle Gefilde …
Alles steht hier – bis zum möglicherweise versöhnlichen Ende, an dem die Eheleute weise Sentenzen austauschen – unter dem Gesetz der Zweideutigkeit. Nichts gewinnt den scharfen Umriss, den die Novellenform verspricht. An die Stelle der einen unerhörten Begebenheit treten Episoden, immer neue Unterbrechungen, Abschweifungen.
Immer tiefer in das Labyrinth der Nacht
Der Faden führt immer tiefer in das Labyrinth der Nacht hinein. Das beginnt mit dem Versuch der Eheleute, den am Vorabend auf einem Ball erlebten unheimlichen Reiz der Masken und ihr Versprechen anonymer Liebesabenteuer durch rückhaltlose Aufrichtigkeit und wechselseitige Geständnisse zu bannen.
Niemand legt ungestraft seine Maske ab
Die nicht ganz unernsten Spiele mit Verlockungen der Untreue aber wirken alles andere als beruhigend. Die Spannung, die aus dem Allheilmittel aller Eheberater, dem ernsten Gespräch, entsteht, bleibt unaufgelöst. Denn niemand legt in diesen Nächten am Ende der Faschingszeit ungestraft seine Maske ab.
Der Bürgerliche gerät in Maskenball tierischer Lust
So gleitet der bürgerliche Arzt und Ehemann, geleitet von einem zwielichtigen Freund aus der Studienzeit (Bruno Eyron), vorbei an Tod und Dirne, hinein in die längste Episode der Nacht, im Durchgang durch einen Kostümverleih, der zugleich Bordell ist, stadtauswärts, als ungebetener Gast einer feudalen Geheimgesellschaft, die in einer Villa nach strengem Ritual ihren Maskenball als Feier der anonymen Lust inszeniert.
Der Traum der Ehefrau überbietet das Abenteuer in der Berliner Nacht
Was dem bald ertappten Eindringling auf diesem Maskenball widerfährt, wie er am nächsten Tag dem Geheimnis der Nacht nachspürt und schließlich im Traum seiner Frau das eigene Abenteuer überboten findet, sei hier nicht verraten.
Verraten müssen wir aber, dass die Modernisierung Sprache und Stoff nicht immer bekommt, oft genug wird hier das Poetische nur banalisiert.
Traumwelt nach den Gesetzen des Erzählers Schnitzlers
Die Traumwelt, die hier alle verbindet, schreibt in dieser Novelle die Gesetze vor. Es sind die Gesetze des Erzählers Schnitzler. Die Nachwelt sieht ihn gern als Doppelgänger des Doktor Freud, der dem in einem Brief an den Autor selbst Vorschub geleistet hat. Aber dieses Doppelgängertum war nur Maskerade, wie das Kostüm aus Schauerroman und Kolportage, das Schnitzler der "Traumnovelle" übergeworfen hat.
Trailer „Traumnovelle“, Kinostart am 16.1.2024
Niemand traut dem die Ehepaar eine Versöhnung zu
Wenn die Eheleute am Ende wieder zusammenfinden, erschöpft ebenso sehr vom Erzählen der Träume wie vom Erleben des Traumhaften, traut man ihrer Versöhnung kaum. "Kein Traum ist völlig Traum." sagte Arthur Schnitzler. Und kein Film ist völlig Film. Das ist in der Tat das Beste, was man übers Kino sagen kann.
Wenn sich in diesem Film die Wand zwischen Realem und Imaginärem auflöst, ist díes die glanzvolle Selbstbehauptung der Literatur gegenüber der Psychoanalyse. Und des Kinos gegenüber der Literatur.
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