Die politische Ausgangslage
Bislang war es eine klare Sache: Seit 1949 hat im Bundestagswahlkreis Göppingen immer die CDU gewonnen. Und zwar direkt. Aber diesmal könnte es eng werden - oder auch anders kommen. Schließlich haben die Grünen der CDU gerade erst, wenn auch nur knapp, den Posten des Oberbürgermeisters der Stauferstadt abgenommen. Nationale oder überregionale Aufmerksamkeit bekommt der Kreis am östlichen Rand der Region Stuttgart selten.
Es ist lange her, dass der forsche Reserveoffizier und Göppinger Bundestagsabgeordnete Manfred Wörner von der CDU als Verteidigungsminister - und dann als bisher einziger deutscher NATO-Generalsekretär - von sich und dem Landkreis reden machte. Auch schon länger her ist es, seit der gelernte Fliesenleger und Göppinger Gewerkschaftsführer Walter Riester von der SPD als Bundesarbeitsminister die wohl etwas zu komplizierte Riester-Rente erfand - damit die arbeitende Bevölkerung im Alter besser von ihrer Rente leben kann.
Immerhin konnte der Kreis Göppingen nach der letzten Bundestagswahl drei Abgeordnete nach Berlin schicken: Den direkt gewählten Landwirt Hermann Färber (CDU) und über die Landeslisten ihrer Parteien auch die Bankkauffrau und Diakonin Heike Baehrens (SPD) sowie den Diplom-Ökonom Volker Münz (AfD).
Die größten Herausforderungen vor der Bundestagswahl
Im Wahlkreis Göppingen werden nicht die großen nationalen Schlachten geschlagen: Hier wurde und wird kein Atomendlager geplant wie in Gorleben und hier wird auch kein Hambacher Forst abgeholzt. Aber trotzdem spielen die großen Themen auch hier eine Rolle. Vor allem die Zukunft der Automobilindustrie bestimmt die Geschicke der vielen Zulieferer im Kreis Göppingen. Gerade erst hat der einst große Autofelgen-Hersteller Südrad in Ebersbach endgültig die Werkstore geschlossen. Statt dessen soll jetzt ein Logistikzentrum auf der Industrie-Brache entstehen. Der Online-Handel boomt schließlich - und der Einzelhandel in den kleineren Gemeinden im Filstal tut sich zunehmend schwerer, eigentlich wie überall.
Die Kreisstadt Göppingen konnte immerhin den aufstrebenden IT-Dienstleister Teamviewer in der Stadt halten, indem man dem Startup kurzerhand das gerade fertiggestellte Technische Rathaus überließ. Der Transformationsprozess ist also in vollem Gange. Ausgang ungewiss.
Die Direktkandidatinnen und Direktkandidaten
Die Reihenfolge der Kandidierenden ergibt sich aus dem Endergebnis der Bundestagswahl 2017 in Baden-Württemberg.
Die bisherigen Bundestagsabgeordneten Hermann Färber (CDU) und Heike Baehrens (SPD) treten wieder an. Die Grünen im Kreis haben Viktoria Kruse aufgestellt. Die 29-Jährige Politologin ist Mitglied im Landesvorstand der Grünen in Baden-Württemberg. Für die FDP kandidiert der 24-jährige Student der Wirtschaftswissenschaften Jan Olsson. Auch der bisherige Bundestagsabgeordnete der AfD, Volker Münz, tritt wieder an. Kandidatin für die Linken ist die Ulmer Stadträtin und Kulturmanagerin Eva-Maria Glathe-Braun. Alle anderen Kandidaten für das Direktmandat aus dem Wahlkreis können sie hier kennenlernen.
Alle Kandidatinnen und Kandidaten im Vergleich SWR Kandidatencheck zur Bundestagswahl 2021 in Baden-Württemberg
Wer verbirgt sich hinter den Namen auf Ihrem Wahlzettel und welche Motivation steckt hinter der Kandidatur? Finden Sie die Kandidierenden in Ihrem Wahlkreis und vergleichen Sie die Positionen zu wichtigen politischen Themen.
Die Top-Themen vor der Wahl
Eigentlich sind es drei bundesweit viel diskutierte Themen, die auch die Bevölkerung im Wahlkreis Göppingen so richtig spalten: die Schließung von Krankenhäusern, der Bau neuer Straßen und die Ausweitung von immer neuen Gewerbegebieten. Der über 400 Millionen Euro teure Neubau der Klinik am Eichert in Göppingen, der im Jahr 2024 fertig sein soll, mag ja noch so durchgehen, solange dafür nicht an anderer Stelle gespart werden muss. Aber dass dafür die viel kleinere Helfenstein-Klinik in Geislingen zu einem ambulanten Ärztezentrum zurückgestuft werden soll, das bringt viele Menschen vor allem im oberen Filstal in Rage. Die am äußersten östlichen Rand des Kreises gelegenen Gemeinden Mühlhausen, Bad Überkingen und Drackenstein (bekannt vom Albaufstieg der A 8) wollen einen Wechsel zum Alb-Donau-Kreis prüfen. In der Hoffnung, dass der Nachbarkreis dann die kleine Helfenstein-Klinik weiterbetreiben würde. Ausgang offen. Allerdings kann keine der großen Parteien so richtig von dem Konflikt profitieren, da sie alle in dieser Frage nicht geschlossen auftreten.
Das gleiche gilt für neue Gewerbegebiete und für den umstrittenen neuen Albaufstieg der Autobahn 8. Gleich zwei geplante Industrieparks wurden vor kurzem von Bürgerentscheiden gekippt: Das interkommunale Gewerbegebiet Lautertal bei Donzdorf und der Gewerbepark Fils zwischen Ebersbach und Uhingen. Auch hier gibt es innerhalb der Parteien ganz unterschiedliche Positionen. Selbst der örtliche CDU-MdB, der konservative Kreisbauernführer Hermann Färber, sorgt sich, ob den Landwirten nicht so langsam die Ackerfläche ausgeht.
Der Konflikt um den Flächenverbrauch ist eigentlich ein bundesweiter. Hier ist er aber ganz besonders spürbar. Das Filstal, in dem einst kleine Gemeinden wie Perlen an einer Schnur aufgereiht waren, ist längst zu einer einzigen langen Industriegasse geworden, in der die Gewerbegebiete der Städtchen zusammengewuchert sind.
Wie man das in Zukunft besser machen kann, das will die Kleinstadt Salach zeigen: Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2027 soll das Gelände einer ehemaligen Textilfabrik in ein Öko-Viertel umgewandelt werden.
Und dann sind da noch zwei Dauerbrenner: der stückweise Neubau der Bundesstraße 10 bis Geislingen und der neue A8-Aufstieg auf die Schwäbische Alb. Der "alte", steile, standstreifenlose Drackensteiner Hang stammt noch aus der Weimarer Republik, beziehungsweise aus der folgenden Nazi-Zeit. Es geht seit Jahrzehnten voran, aber langsam. Denn: Platz ist im immer enger werdenden oberen Filstal eigentlich keiner. Kein Wunder, dass beide Straßenbauprojekte viel Geld kosten und die Diskussionen um die Trassenführungen viele Nerven. Von den Behinderungen durch die Bauarbeiten ganz zu schweigen. Aber auch da sind die parteipolitischen Fronten nicht so klar: Selbst der grüne baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann befürwortet den neuen Albaufstieg.
So gehen die großen Parteien in den Wahlkampf
Auch über dem Bundestagswahlkampf im Kreis Göppingen hängt die Corona-Pandemie wie ein Damoklesschwert. Immerhin: Das Virus trifft alle Parteien gleichermaßen. Je nach Inzidenz dürfen mehr oder weniger große öffentliche Veranstaltungen stattfinden - oder auch nicht. Viel Freiluft ist bei allen Parteien angesagt, Stände und Bürgerfragestunden in den Fußgängerzonen. Der Landtagswahlkampf hatte schon überwiegend in den sozialen Medien und im Internet stattgefunden, mit Videoschalten statt mit geselligem Beisammensein im Hinterzimmer von lokalen Gaststätten. Wie der Bundestagswahlkampf konkret aussehen wird, das wollen die Parteien relativ kurzfristig entscheiden.