Interview mit Diplom-Psychologe Carsten Stumpenhorst

"Etwa 30 Prozent der Geflüchteten könnten psychische Probleme haben"

Stand

In Rheinland-Pfalz gibt es zwei Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete - die AfA Speyer und die AfA Trier. Was wird dort getan, um psychisch Kranken rechtzeitig zu helfen?

Die Diakonischen Werke betreiben gemeinsam mit der Caritas das Psychosoziale Zentrum für Geflüchtete in Trier. Mitarbeiter sind direkt in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) Trier, einer von zwei Erstaufnahmeeinrichtungen in Rheinland-Pfalz, eingesetzt.

Außerdem versorgen Mitarbeiter jene Geflüchtete, die nicht mehr in der Erstaufnahmeeinrichtung sind, sondern auf Kommunen in der Region verteilt worden sind.

Im SWR-Interview erzählt Geschäftsführer Carsten Stumpenhorst, wie man psychisch kranke Geflüchtete erkennen kann und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.

Diplom-Psychologe und Traumatherapeut Carsten Stumpenhorst ist Geschäftsführer der Gemeinsamen Diakonischen Werke Rheinland-Süd gGmbH.
Diplom-Psychologe und Traumatherapeut Carsten Stumpenhorst ist Geschäftsführer der Gemeinsamen Diakonischen Werke Rheinland-Süd gGmbH mit Sitz in Trier.

SWR Aktuell: Welche psychischen Probleme haben die Geflüchteten, die Sie in der Erstaufnahmeeinrichtung in Trier betreuen?

Carsten Stumpenhorst: Die posttraumatische Belastungsstörung ist häufig. Die zeigt sich oft auch erst nach und nach. Und die rührt natürlich daher, dass in den Herkunftsländern Krieg herrscht, dass Folter herrscht, dass die Menschen damit rechnen müssen, verhaftet und gefoltert zu werden.

Es gibt dort Menschenrechtsverletzungen, massive Repressalien. Und dann auf der Flucht sind die Menschen oft bei Schleppern, in Lagern, es kommt auch zu Vergewaltigungen - bei Frauen - zu Körperverletzungen, zu Zwangsarbeit, die die Traumatisierung verdoppeln beziehungsweise zur Re-Traumatisierung oder multiplen Traumata führen.

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SWR Aktuell: Wie viele Geflüchtete haben nach ihrer Erfahrung psychische Probleme?

Stumpenhorst: Grundsätzlich ist es schon so, dass wir davon ausgehen, dass das hier ähnlich ist wie in Gesamtdeutschland. Dass wir von ungefähr 30 Prozent ausgehen. Also dazu gibt es auch relativ valide Studien. Und ich sehe jetzt auch keinen Grund, warum das hier bei uns in Trier anders sein sollte. Das deckt sich auch mit den Eindrücken, die wir haben.

SWR Aktuell: Wie viele schwerwiegende Fälle gibt es darunter?

Stumpenhorst: Das ist extrem schwer zu beantworten, weil jeder Mensch anders auf oder innerhalb einer posttraumatischen Belastungsstörung reagiert.

Tatsächlich kann ich nicht valide sagen, von den 30 Prozent sind vielleicht fünf Prozent besonders schwerwiegende Fälle. Belastet sind die alle, natürlich gibt es da Abstufungen.

SWR Aktuell: Wie kann man erkennen, ob ein psychisch kranker Geflüchteter gefährlich wird oder gewaltbereit ist?

Stumpenhorst:
Also auf Basis des Screenings und der Arbeit in den niedrigschwelligen Angeboten können Sie das sicher erst einmal gar nicht erkennen.

Einen Gefährder zu erkennen ist auch im weiteren Verlauf schwierig. Sie können da Hinweise bekommen, wenn sie eine kontinuierliche Begleitung gewährleisten.

Selbstgefährdung ist ein viel größeres Thema als Fremdgefährdung.

Insgesamt habe ich aber auch den Eindruck, Suizidalität, also Selbstgefährdung ist ein viel größeres Thema als Fremdgefährdung. Das hängt mit unsicheren Perspektiven, mit Angst um die Daheimgebliebenen, also um die Angehörigen und Freunde zusammen, die noch im Herkunftsland sind, zusammen und weil die Menschen nicht wissen, wie es im Verfahren mit ihnen weitergeht und weil die Menschen je nach Herkunftsland lang in den Einrichtungen bleiben.

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Es kann immer passieren, dass jemand eine psychische Störung hat und sich daraus ein Anschlag entwickelt. Aber wenn das alle wären, dann würden wir ja über eine Anzahl von Anschlägen reden - wenn da wirklich ein direkter kausaler Zusammenhang wäre - das wäre ja unbegreiflich. Und ich will jetzt auch gar nichts verharmlosen, so schlimm das ist mit dem Einzelanschlag. Im Prinzip brauchen wir neben dem Screening und einer Erstversorgung ein Anschluss-System.

Diplom-Psychologe Carsten Stumpenhorst wünscht sich eine bessere personelle Ausstattung und ein Anschlusssystem für psychisch Kranke nach der Erstversorgung.
Diplom-Psychologe Carsten Stumpenhorst wünscht sich eine bessere personelle Ausstattung und ein Anschlusssystem für psychisch Kranke nach der Erstversorgung.

SWR Aktuell: Wie behandelt man traumatisierte Flüchtlinge, die schon mit Gewalt aufgefallen sind bzw. damit sie nicht gewalttätig werden?

Stumpenhorst: Also wenn wir auf die treffen und aus unserer Einschätzung akute Fremdgefährdung vorliegt, eine Gewaltbereitschaft vorliegt, dann halten wir natürlich auch Rücksprache mit den Psychiatrien, die vor Ort sind. Gegebenenfalls erfolgt eine Einweisung. Wobei da auch dann die Möglichkeiten der Psychiatrien begrenzt sind. Es ist auch keine Sicherungsverwahrung, das muss man fairerweise sagen. Aber dann sollte eine medikamentöse Behandlung erfolgen, wenn es auf einer psychischen Störung beruht.

SWR Aktuell: Wie ist die Auslastung der psychologischen Angebote, wenn die Leute noch in der Erstaufnahmeeinrichtung in Trier sind?

Stumpenhorst: Wir sind schon sehr gut ausgelastet, haben eigentlich auch so eine Warteliste von einer Woche bis 14 Tage. Wir schauen natürlich, wenn wir aus dem Screening Menschen bekommen, also da Hinweise bekommen, dass wir die dann irgendwie zwischenschieben.

SWR Aktuell: Würden Sie sagen, dass Sie unterbesetzt sind?

Stumpenhorst: Also es wäre schön, sage ich mal, wenn ich jetzt Wünsche äußern dürfte, noch zwei Stellen mehr zu bekommen. Wir haben im Moment drei Vollzeitstellen.

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SWR Aktuell: Wie geht es weiter, wenn die Menschen die Erstaufnahmeeinrichtung verlassen und auf die Kommunen verteilt werden? Ist eine weitere Behandlung sichergestellt?

Stumpenhorst: Nein, also muss man ganz klar sagen: zum Teil nicht. Wir versuchen je nachdem, in welche Kommune die Person transferiert wird, einen Kontakt zur jeweiligen psychosozialen Beratungsstelle herzustellen. Wobei das nicht in allen Fällen gelingt, weil diese Zentren für einen riesigen Bereich verantwortlich sind.

Also wenn ich jetzt mal unsere eigene Beratungsstelle für die Kommunen nehme, die wir mit der Caritas zusammen haben, da versorgen wir mit 3,5 Stellen die Stadt Trier, den Landkreis Trier-Saarburg, den Kreis Bernkastel-Wittlich, den Kreis Bitburg-Prüm, den Rhein-Hunsrück-Kreis und einen Teil von Cochem-Zell.

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SWR