Winfried Hermann (Grüne), Verkehrsminister von Baden-Württemberg, spricht auf einer Pressekonferenz im Bürger- und Medienzentrum des Landtags von Baden-Württemberg.

Nächstes grünes Prestigeprojekt unter Druck

Widerstand gegen Mobilitätsgesetz wächst - BW-Verkehrsminister sieht Kommunen auf der Bremse

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik
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Johannes Böhler
Johannes Böhler

Mit dem Mobilitätsgesetz will BW-Verkehrsminister Hermann bei der Verkehrswende und dem Klimaschutz vorankommen. Doch Kommunalverbände und Bürokratie-Prüfer halten nichts davon.

Bitte einsteigen: Eigentlich sollten die Menschen auf dem Land in dieser Wahlperiode viel besser an den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Baden-Württemberg angebunden werden. Busse und Bahnen sollten viel öfter fahren, sogar eine Mobilitätsgarantie von früh bis spät war geplant. Doch von den ambitionierten Vorhaben im grün-schwarzen Koalitionsvertrag ist nicht viel übrig geblieben. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), seit Jahren Vorkämpfer für den Umstieg vom Auto auf andere Verkehrsmittel, wird in der Koalition immer wieder ausgebremst. Hinzu kommt: Statt massiv in den Ausbau des ÖPNV investieren zu können, muss er Geld für das Deutschlandticket zur Verfügung stellen.

Auf Bürgerinnen und Bürger könnte Nahverkehrsabgabe zukommen

Mit seinem Mobilitätsgesetz will Hermann nun aber wenigstens den Kommunen die Möglichkeit geben, bei der Steuerung des Verkehrs und dem Klimaschutz voranzukommen. Städte und Gemeinden sollen die Möglichkeit haben, eine Nahverkehrsabgabe einzuführen, um das Geld dann in mehr Busse und Bahnen zu stecken. Unter anderem Karlsruhe und Freiburg sind interessiert. Für Bürgerinnen und Bürger könnte das eine zusätzliche kommunale Steuer bedeuten, für die es aber im Gegenzug Gutscheine für den ÖPNV geben soll. Daneben sollen das Parkraummanagement und die Radwege verbessert werden.

Vor den Sommerferien hatten sich Grüne und CDU nach langem Streit auf den Entwurf geeinigt, jetzt läuft die Anhörung der Kommunen, Verbände und des Normenkontrollrats. Doch gerade die Kommunen, für die das Gesetz eigentlich gemacht ist, halten nichts von dem Entwurf. In einer gemeinsamen Stellungnahme von Gemeinde- und Landkreistag, die dem SWR vorliegt, heißt es, die Verbände seien überzeugt, "dass es dieses Gesetz als Ganzes nicht benötigt".

Zum einen sei der Entwurf beim Ausbau des Angebots von Bussen und Bahnen nicht mit dem nötigen Geld unterlegt, zum anderen werde zusätzliche Bürokratie aufgebaut. Joachim Walter, Präsident des Landkreistags, sagte dem SWR, Hermann habe den Ernst der wirtschaftlichen Lage noch nicht begriffen und mache "Politik für die Galerie". Das sei so ähnlich wie beim Gesetz gegen Diskriminierung, das die Kommunen ebenfalls ablehnen und das derzeit auf Eis liegt. Städtetags-Präsident Frank Mentrup sieht das grundsätzlich positiver, hält das Mobilitätsgesetz wegen fehlender Optionen bei der Nahverkehrsabgabe aber für "wertlos".

Warnung vor bürokratischen Doppelstrukturen

In der Stellungnahme von Gemeinde- und Landkreistag heißt es: "Der vorliegende Entwurf konterkariert die Zielsetzung des Bürokratieabbaus, indem Doppelstrukturen geschaffen und Berichtspflichten auferlegt werden, womit auch umfassende Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung einhergehen." Dieter Salomon, Vorsitzender des Normenkontrollrats BW, sagte dem SWR, das bereits abgespeckte Gesetz sei deutlich besser geworden, weil gut ein Dutzend Dokumentations- und Berichtspflichten entfallen seien. "Wir haben aber nach wie vor Kritikpunkte, weil es vermeidbare Bürokratie gibt."

Hermann hält Vorhaltungen zu mehr Bürokratie für vorgeschoben

Hermann wies die Kritik zurück. Man habe über 30 Rückmeldungen von Verbänden und Organisationen zum Gesetz erhalten. "Von Lob bis Kritik war alles dabei", sagte Hermann dem SWR. Das werte man jetzt aus. "Unser Ziel ist es, den Entwurf so wenig bürokratisch wie möglich zu gestalten." Vorwürfe in diese Richtung seien nicht haltbar.

Wer Lösungen sucht, findet Kompromisse - wer nicht will, spricht oft von Bürokratie.

In der Öffentlichkeit höre man oft nur die Kritik, aber es gebe auch positive Stimmen: "Während der Normenkontrollrat etwa Bedenken geäußert hat, sieht der Sachverständigenrat Klima sogar Potenzial für mehr. Das zeigt, dass wir einen guten Mittelweg gefunden haben."

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Gemeinden und Landkreise halten Mobilitätspass für nicht realisierbar

Bei Gemeinden und Landkreisen kommen auch die Pläne für die Nahverkehrsabgabe nicht gut an. "Die Einführung eines Mobilitätspasses zur Schaffung einer Finanzierungsquelle für den ÖPNV ist im ländlichen Raum aktuell kaum realisierbar, weil flächendeckend kein ausreichendes Angebot besteht und eine Mobilitätsgarantie durch das Land nicht finanziert wird", heißt es in der Stellungnahme.  

Tatsächlich ist bisher im Entwurf für den Haushalt 2025/2026 kein Geld für die sogenannte Mobilitätsgarantie vorgesehen. Die ursprünglich bis 2026 vorgesehene Mobilitätsgarantie im Öffentlichen Nahverkehr kommt im Entwurf nur als unverbindliches Leitbild vor. Die im Koalitionsvertrag geplante Garantie sieht eigentlich vor, dass alle Orte im Südwesten von 5 Uhr früh bis Mitternacht mit dem ÖPNV erreichbar sein sollen.

Städtetag fordert Möglichkeit einer Arbeitgeber-Abgabe

Der Städtetag begrüßt die Möglichkeit einer Nahverkehrsabgabe, hält es aber für falsch, dass der Entwurf eine Arbeitgeber-Abgabe und eine City-Maut ausschließt. "Damit sind gerade die Varianten des Mobilitätspasses entfallen, mit denen in Ballungsräumen und Großstädten eine echte Steuerungswirkung hin zu mehr ÖPNV hätte erzielt werden können", heißt es in der separaten Stellungnahme des Städtetags. Die größte Verkehrsbelastung stellten nämlich Pendler dar. Wenn man nun eine Abgabe von Einwohnern oder Fahrzeughaltern einziehe, "würden quasi 'die Falschen' belastet".

Die Reduzierung auf zwei Möglichkeiten geht auf die CDU zurück. Sie hatte argumentiert, ein Flickenteppich von verschiedenen Abgaben und weitere Belastungen für Arbeitgeber passten nicht in die Zeit. Der Normenkontrollrat hat Bedenken, sollten die Städte nun Einwohner oder Kfz-Halter belasten wollen. Es führe kein Weg daran vorbei, vorher die Bedürftigkeit der Menschen zu prüfen, hieß es. Und das führe unweigerlich zu: mehr Bürokratie. Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass Bürgerinnen und Bürger für die Abgabe ein Guthaben für die Nutzung des ÖPNV vor Ort erhalten sollen.

Neue Koordinatoren für Radnetze entbehrlich?

Der Gesetzentwurf aus dem Hause Hermann sieht zudem vor, dass in allen Stadt- und Landkreisen sogenannte Radkoordinatoren für durchgängige und sichere Radnetze sorgen sollen. Vorgesehen ist, dass sie die Gemeinden bei Planung, Bau und Erhalt von Radwegen unterstützen. Auch hier kommt ein Nein von Gemeinden und Landkreisen: Dass man Geld für Koordinatoren ausgeben wolle, während man keine Mittel für den Ausbau der Radwege habe, sei schon "fast zynisch", sagte Walter dem SWR. 

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Streit über Austausch von tausenden Bussen im Land

Gemeinde- und Landkreistag stoßen sich auch an der geplanten Landesregelung zum Austausch der Busflotte von Diesel- zu E-Fahrzeugen. "Die Beschaffung emissionsfreier Busse (…) ist ein wichtiges Ziel - führt jedoch insgesamt zu deutlich steigenden finanziellen Aufwendungen der Verkehrsunternehmen und insbesondere der Landkreise als ÖPNV-Aufgabenträger", heißt es in der Stellungnahme.

Die Verbände fordern, dass Baden-Württemberg die Erfüllung der Quote wie die meisten Bundesländer über eine Branchenvereinbarung regelt. Hierbei meldet die Busbranche den Stand an den Bund. Auch der Normenkontrollrat moniert, dass das Land das selbst überwachen und dafür eine neue Behörde schaffen wolle, die an das Regierungspräsidium Karlsruhe angegliedert werden soll.

Nach der EU-Richtlinie zur Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge müssen zwischen 2026 und Ende 2030 mindestens 32,5 Prozent der neu beschafften Busse emissionsfrei sein. Das Problem: Ein batteriebetriebener E-Bus kostet mit etwa 550.000 Euro derzeit knapp doppelt so viel wie ein Dieselbus. Und: In Baden-Württemberg sind im ÖPNV etwa 6.000 Busse unterwegs, davon ist bisher nur ein Bruchteil emissionsfrei.

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BW hinkt bei Klimazielen im Verkehr hinterher

Gemeinde- und Landkreistag gehen unter dem Strich davon aus, dass es durch das Gesetz nicht zu mehr Klimaschutz kommt. "Das erklärte Ziel, der nachhaltigen Mobilität ein rechtliches Fundament zu geben, um die Mobilität der Zukunft zu etablieren, wird mit dem Landesmobilitätsgesetz nicht erreicht werden." Ohne weitere Finanzspritzen von Bund und Land seien die Ziele nicht zu erreichen, heißt es in der Stellungnahme.

Um die Klimaziele in BW zu erreichen, müsste das Land die Treibhausgase im Verkehr bis 2030 um 55 Prozent verringern - was aber wohl kaum mehr zu schaffen ist. Nach Schätzungen des Klimasachverständigenrats werden die Werte nur um 32 Prozent sinken.

Als Grund wird vor allem genannt, dass der Umstieg auf E-Autos zu schleppend verläuft. Von knapp sieben Millionen Autos in Baden-Württemberg fahren etwa 240.000 rein elektrisch - das sind drei Prozent. Zudem stiegen zu wenige Menschen vom Auto auf die Bahn um, weil diese angesichts des Sanierungsstaus nicht attraktiv genug sei. Der Verkehr ist so wichtig für den Klimaschutz, weil der Verkehr in Baden-Württemberg für knapp ein Drittel der Treibhausgase verantwortlich ist.

Eigentlich strebt Hermann eine Verdopplung der Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 an und dass jedes zweite Auto bis dahin klimaneutral unterwegs sein soll. Doch wie diese ehrgeizigen Ziele erreicht werden sollen, bleibt unklar. Hinzu kommt: Das Ministerium hat die Lkw-Maut auf Landes- und kommunalen Straßen vor kurzem auf 2027 verschoben - also auf das Jahr nach der Landtagswahl.

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