Sachverständige: Mangelndes Engagement beim Klimaschutz

Eigene Klimaziele verfehlt: Heftige Kritik an BW-Regierung

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Eigentlich hat sich die Grün-Schwarze Regierung mehr Klimaschutz vorgenommen. Doch sie droht die Ziele in fast allen Bereichen zu verfehlen. Kritik kommt von allen Seiten.

Die grün-schwarze Landesregierung unternimmt viel zu wenig, um ihre hochgesteckten Klimaziele zu erreichen. Zu diesem Ergebnis kommt der Klima-Sachverständigenrat in seiner Stellungnahme zum Fortschritt des Klimaschutzes in Baden-Württemberg, die am Freitag vorgestellt wurde.

Demnach droht die Regierung in fast allen Bereichen, also unter anderem im Verkehr, in der Industrie und im Gebäudesektor, ihre Ziele zu verfehlen. Das Land agiere "noch deutlich zu zaghaft". Die bisherigen Schritte im Klima-Maßnahmenregister seien "nicht wirkmächtig genug" oder schlicht nicht ausreichend. Um die Klimaziele noch zu erreichen, müsse in allen Bereichen eine "noch nie dagewesene Geschwindigkeit" vorgelegt werden, heißt es in dem Papier weiter.

In einer ersten Reaktion mahnt Umwelt- und Klimaministerin Thekla Walker (Grüne), dass sich nun alle Ministerien mit Elan und Ehrgeiz der Aufgabe stellen müssten, das Klimaschutzgesetz zu erfüllen. Dieses sieht vor, dass Baden-Württemberg bis zum Jahr 2040 klimaneutral wird, fünf Jahre schneller als der Bund.

Auch der umweltpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Raimund Haser, beteuert in einer Reaktion, man wolle nun schneller in die Umsetzung kommen. "Ich bin überzeugt, dass wir im weltweiten Wettbewerb um neue Technologien als Standort nur bestehen können, wenn wir ein technologieoffenes, innovationsfreudiges und bei den Energiepreisen wettbewerbsfähiges Land sind", so Hauser.

Ziel verfehlt: Treibhausgasausstoß kaum gesunken

Der Ausstoß der Treibhausgase ist im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2021 nur um 0,4 Prozent gesunken. Das Beratergremium folgert daraus, "dass in Baden-Württemberg die im Koalitionsvertrag 2021 angestrebte Transformation 'zum Klimaschutzland als internationaler Maßstab' noch nicht sehr weit fortgeschritten ist". Das Ziel bis 2030 ist eigentlich ein Minus von 65 Prozent der Emissionen im Vergleich zu 1990. Bisher ist nur wenig passiert. Um das Ziel noch zu erreichen, dürften 2030 nicht einmal mehr die Hälfte der Emissionen von 2022 ausgestoßen werden.

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Auch nach 12 Jahren Kretschmann: BW unter den Grünen kein Klimaschutzland 

Der Expertenrat um die Vorsitzende Maike Schmidt vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Stuttgart moniert fehlenden Ehrgeiz auf allen Ebenen - und das, obwohl die Grünen um Ministerpräsident Winfried Kretschmann seit zwölf Jahren die Regierung führen.

Zu Beginn der Koalition vor zweieinhalb Jahren hatten die Spitzen das Ziel ausgegeben, Baden-Württemberg zum "Klimaschutzland Nummer eins in Deutschland und Europa" zu machen. Nun erklären die Sachverständigen zur Halbzeit von Grün-Schwarz: "Zum echten 'Klimaschutzland' fehlt die Transformationskultur, das klare und unumstößliche 'Ja' zum Klimaschutz - gerade auch in der Politik, die Bereitschaft zur Veränderung und 'das Machen'." Es gebe zwar "Leuchtturmprojekte" wie Mobilitätspakte oder fußgängerfreundliche Innenstädte, aber es mangele an der konsequenten Umsetzung in der Breite.

"Um diese anzustoßen, muss Baden-Württemberg gezielt die Instrumente auf Bundesebene und EU-Ebene nutzen, diese mit eigenen Maßnahmen ergänzen und verstärken. Damit kann das Land das Erreichen der Klimaschutzziele zwar nicht allein sicherstellen, aber die Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft doch maßgeblich unterstützen."

Einsatz von Steinkohle vermiest Klimabilanz

Vor allem der Bereich der Energieerzeugung hat die Klimabilanz 2022 belastet. Der Sektor Energiewirtschaft, der etwa 28 Prozent der Gesamtemissionen in Baden-Württemberg verursacht, stieß 1,8 Millionen Tonnen mehr klimaschädliches Kohlendioxid aus als 2021. Das ist ein Anstieg von zehn Prozent. Wichtigster Grund dafür war, dass wegen der gedrosselten Gaslieferungen aus Russland vermehrt Steinkohle verbrannt wurde, um die Versorgung zu sichern. "Das bedeutet einen deutlichen Rückschritt beim Klimaschutz", stellen die Sachverständigen fest. Um das Sektorziel bis 2030 noch zu erreichen, sei "der Ausstieg aus der Steinkohle bis spätestens 2030 zu vollziehen, unabhängig davon, in welchem Maß sie aktuell aufgrund externer Einflüsse eingesetzt werden muss".

Zufrieden zeigt sich der Sachverständigenrat mit dem Ausbau der Solarenergie. "Der Ausbau befindet sich aktuell auf Zielpfad. Dennoch sind hier aus Sicht des Klima-Sachverständigenrats weitere Maßnahmen notwendig, um den Ausbau dauerhaft auf diesem Niveau zu halten." Bei der Windkraft stellten sich "erste Fortschritte dagegen nur sehr langsam ein". Das Land müsse dringend dafür sorgen, dass rasch geeignete Flächen für Windräder bereitgestellt würden.

Im Autoland Baden-Württemberg ist die Verkehrswende in Gefahr

Auch im Verkehrssektor ist der CO2-Ausstoß erneut gestiegen. Er ist für 28 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Im Vergleich zu 2021 lag der Anstieg bei 0,1 Millionen Tonnen - ein Plus von 0,4 Prozent. Die Sachverständigen machen deshalb Druck: Die Emissionen müssten im Verkehr bis 2030 mehr als halbiert werden. "Diese Herkulesaufgabe kann das Land Baden-Württemberg nur bewältigen, wenn das Tempo der Verkehrswende unverzüglich deutlich gesteigert wird", heißt es im Papier.

Das Konzept "Mobilität und Klima" von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sei vielversprechend. "Mit Blick auf die Klimaziele im Verkehrssektor liegt darin das Potenzial, erstmals seit 1990 zu einer Trendwende im Verkehr zu kommen", glauben die Experten und warnen: "Diese Chance darf nicht aufs Spiel gesetzt werden."

Zuletzt hatte Ministerpräsident Kretschmann erklärt, für deutlich mehr Investitionen in den Öffentlichen Nahverkehr fehle das Geld, er setze vor allem auf die Umstellung auf das E-Auto. Die CDU steht Hermanns Konzept "Mobilität und Klima" skeptisch gegenüber und bremst auch bei der geplanten Lkw-Maut auf kommunalen Straßen.

Expertenrat vermisst bei Industrie in BW Klima-Schritte

Bei der Industrie vermissen die Experten Schritte hin zu einer klimaneutralen Produktion. Um das Klimaziel in diesem Bereich bis 2030 zu erreichen, müsste mehr als viereinhalb Mal so viel Kohlendioxid eingespart werden wie zuletzt. "Wenn die, durch die jüngsten Entwicklungen der Energie- und Finanzmärkte bei vielen Akteuren deutlich gestiegene Bedeutung des Themas 'klimaneutrale Produktion' zukünftig auch zur Umsetzung von entsprechenden Maßnahmen führt, könnte man dem näher kommen", heißt es in der Stellungnahme.

Die im Klimamaßnahmenregister der Regierung aufgeführten Maßnahmen setzten zwar an vielen richtigen Stellen an, seien jedoch "ohne eine klare Ausrichtung an der Entwicklung eines treibhausgasneutralen Industriestandorts". Es sei verwunderlich, dass das CDU-geführte Wirtschaftsministerium gerade die energieintensive Industrie nicht in die Pflicht nehme.

Südwestmetall: Klimaziele nicht unser hauptsächliches Problem  

Angesichts des Abschwungs der Wirtschaft sieht Südwestmetall-Chef Joachim Schulz in den Klimazielen nicht "unsere hauptsächlichen Probleme". Vor kurzem sagte er auf SWR-Nachfrage: "Ich habe die Sektorziele nicht alle ganz transparent vor Augen. Ich weiß, dass es sie gibt." Die Ziele von Bund und Ländern seien wie ein "Puzzle" von Erwartungen. "Es ist tatsächlich fraglich, dass das mit einer guten Wirtschaftsentwicklung unmittelbar übereinanderzulegen ist."

Hauptgeschäftsführer Oliver Barta ergänzte: "Man muss dabei bedenken, dass die Unternehmen nicht in einem Landkreis tätig sind." Stattdessen seien die Firmen häufig global tätig.

Scheitern im Gebäudebereich wahrscheinlich

Im Gebäudesektor droht aus Sicht der Sachverständigen ebenfalls ein Scheitern an den Klimazielen. "Insgesamt wird die Landesregierung mit der bisherigen Summe an Maßnahmen nach Einschätzung des Klima-Sachverständigenrats das Sektorziel für Gebäude deutlich verfehlen, zumal die aktuellste Abschätzung der Wirkung der Instrumente auf Bundesebene bundesweit eine deutliche Zielverfehlung prognostiziert."

Die CO2-Einsparungen müssten im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre verfünffacht werden. Im vergangenen Jahr seien aber nur drei Maßnahmen im Gebäudebereich hinzugefügt worden, die über Landesliegenschaften oder Hochschulen hinaus gehen. "Hier muss deutlich nachgebessert werden", fordern die Experten. Man müsse in die "breite Umsetzung der Wärmewende kommen". Die Kommunen müssten bei Aufbau von Wärmenetzen unterstützt werden. Zudem bräuchten Gebäudeeigentümerinnen und -Eigentümer Hilfe bei Sanierungen und der Vorbereitung auf den Heizungstausch.

Experten mahnen: Weniger Fleisch essen

Auch in der Landwirtschaft muss nach Ansicht der Klima-Experten deutlich mehr passieren. Im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen drei Jahre müsste sich der jährliche Einsparbetrag etwa verdoppeln, um das Sektorziel für 2030 zu erreichen. "Wichtige Hebel zur Emissionsminderung liegen in der Stickstoffdüngung und der Tierhaltung. Es wird insbesondere betont, dass Veränderungen im Konsumverhalten, vor allem hinsichtlich des Fleischkonsums, unerlässlich sind." Die Sachverständigen betonen, dass die vom CDU-geführten Agrarministerium geplanten Maßnahmen "insgesamt die Konsequenz in der Umsetzung der notwendigen Transformation des Landwirtschaftssektors vermissen" lassen.

Umweltverbände: Verzögerungen beim Klimaschutz "nicht hinnehmbar"

Nach der scharfen Kritik des Klima-Sachverständigenrates fordern Umweltverbände ein entschlosseneres Vorgehen der Landesregierung beim Klimaschutz. "Die Landesregierung muss mehr tun und mehr Geld locker machen, um ihrer Verantwortung gegenüber uns und allen zukünftigen Generationen gerecht zu werden", sagte Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesvorsitzende des Umweltverbands BUND. Es sei enttäuschend, dass viele Lösungen bereits bekannt seien, Politik und Verwaltung aber noch keine entscheidenden Schritte zur Umsetzung unternommen hätten.

Auch der Naturschutzbund Nabu drängte auf mehr Tempo. "Da klar ist, was getan werden muss, sind weitere Verzögerungen nicht hinnehmbar", sagte Nabu-Energieexpertin Andrea Molkenthin-Keßler. Die Landesregierung müsse umgehend handeln und Maßnahmen in allen Sektoren durchsetzen.

Opposition spricht von "schallender Ohrfeige"

SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sprach von einer schallenden Ohrfeige, die der Expertenrat der Regierung von Baden-Württemberg verpasst habe. "Grün-Schwarz verkündet immer wieder ehrgeizige Ziele für den Klimaschutz - tut aber viel zu wenig, um diese Ziele auch zu erreichen." Die FDP kritisierte, die Landesregierung verzettele sich im Klein-Klein. Die Koalition lasse wichtige Projekte wie die Abscheidung und Speicherung von CO2 oder die Geothermie links liegen, sagte Daniel Karrais, klimapolitischer Sprecher der Fraktion.

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