Wochenrückblick Stuttgart

Wenn das Auto selbst um Hilfe ruft - und Leben rettet

Stand
Autor/in
Maxim Flößer
Maxim Flößer arbeitet im SWR Studio Stuttgart.

Wenn Autos automatisch den Notruf wählen und dadurch Leben retten und was diese Woche sonst noch wichtig war: Nur hier, im einzig wahren Wochenrückblick für die Region Stuttgart.

Grüßle miteinander, ich bin Maxim Flößer, Redakteur im Studio Stuttgart. Zugegeben, ich bin ein ziemlicher Technik-Pessimist. Cloud-Server auf der Arbeit? Kriegen ständig lästige Updates. Geo-Engineering zum Klimaschutz? Fragwürdig. E-Scooter statt Fahrrad? Nie-mals.

Aber manchmal, da begeistern selbst mich die technologischen Helferlein des Alltags. Vor allem dann, wenn sie wirklich Leben retten. So geschehen, als vergangenen Samstag ein Auto in Stuttgart-Feuerbach von der Fahrbahn abkam und rund sieben Meter tief auf die Gleise der Stadtbahn stürzte. Das Auto blieb dort auf dem Dach liegen, der 32-jähriger Fahrer und seine 35-Jährige Mitfahrerin wurden in den Trümmern des Fahrzeugs eingequetscht. Eine anfahrende Stadtbahn konnte gerade noch rechtzeitig bremsen.

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Bis hierhin hätte es wirklich übel ausgehen können. Eine ziemliche Horror-Story, selbst für hartgesottene Reporter und Reporterinnen. Doch wie in jeder guten Geschichte gibt es auch hier einen Silberstreifen am Horizont: Die beiden Personen überlebten den Sturz. Denn: Das Auto rief eigenständig den Notruf ‒ dank des automatischen "eCall"-Systems, das in dem Wagen verbaut war.

Was ist das "eCall"-System?

Als ich die SWR-Meldung dazu gelesen hatte, war ich zum einen erleichtert, zum anderen verblüfft. Ein Auto, das selbst den Notruf 112 kontaktiert? Für mich als Technik-Muffel klang das erstmal nach Sci-Fi. Denn alles, was meine alte Schüssel kann, ist selbstständig und gegen meinen Willen (!) die Bremslichter an- und wieder ausmachen. Erinnerung an mich selbst: Nach dem Wochenrückblick dringend die Werkstatt anrufen...

Aber gut, zurück zum Thema: Was ist dieses "eCall"-System und wie funktioniert es? Dazu habe ich mich mit Julian Häußler vom ADAC Württemberg unterhalten. Er hat mir erklärt, dass das "eCall"-System nach einem Unfall automatisch und vollkommen eigenständig eine Telefonverbindung mit der Notrufnummer 112 aufbaut. Dafür nutzt das System Mobilfunk und Satellitenordnung, sodass immer die nächste Einsatzzentrale kontaktiert wird. Dabei können die Insassen ihre Notlage den Einsatzkräften entweder selbst beschreiben ‒ sofern das noch möglich ist. Wenn das nicht mehr gehen sollte, dann können die Rettungssanitäter anhand von GPS-Daten direkt zum Unfall geschickt werden.

Auf dem Youtube-Kanal des ADAC findet ihr ein Video vom 29.09.2022, in dem das "eCall"-System erklärt wird.

So funktioniert das automatische Notrufsystem im Auto

Zusätzlich überträgt das "eCall"-System auch die genauen Informationen zum Unfallort und kann ‒ vorausgesetzt, es waren vor dem Unfall alle angeschnallt ‒ die Anzahl der verunglückten Insassen an die Notruf-Zentrale weitergeben.

Unfallerkennung per Sensoren

Aber wie erkennt das System, ob ich jetzt einen Unfall hatte oder nicht? Dazu gebe es extra Sensoren, meint Julian Häußler. Diese können erkennen, ob die Airbags ausgelöst wurden oder nicht. Wenn die Airbags ausgelöst werden, sendet das System automatisch einen Notruf. Wenn ich aber beim Ausparken ungeschickterweise ein anderes Fahrzeug streife, passiert nichts. Und was ist, wenn man beispielsweise einen medizinischen Notfall im Auto hat?

Mir fällt dazu ein, dass ich mal eine Panikattacke auf der Autobahn hatte, als ich meinen Vater morgens um Vier zum Flughafen Frankfurt fahren musste. Plötzlich war die Luft weg, die Sicht verschwommen ‒ eine akute Gefahr, wenn man im Auto unterwegs ist. Doch zum Glück kann man das Notrufsystem auch per manuellem SOS-Knopf aktivieren, meint Julian Häußler. Eine gute Sache, die mir damals sicher auch geholfen hätte.

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Automatisches Notrufsystem dank EU-Verordnung ‒ aber nicht für alle

Durch eine EU-Verordnung ist das "eCall"-System seit 2018 verpflichtend für alle neuen Auto-Typen, die auf den Markt kommen. Wenn ihr also ins Autohaus eures Vertrauens geht, um euch einen neuen Wagen zu kaufen, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass euer Neuwagen "eCall" an Bord hat. Verpflichtend für alle bereits zugelassenen Autos, also auch ältere Modelle, ist das Notrufsystem aber nicht. Darum ist es auch nicht direkt möglich "eCall" nachzurüsten, meint Julian Häußler. Denn das System ist bereits im Wagen integriert: mittels einer eigenen SIM-Karte und eines Stromanschlusses an die Autobatterie sowie einer eigenen Backup-Batterie.

Aber wie so oft gibt es auch hierfür eine alternative, technische Lösung: Den sogenannten Unfallmeldestecker, kurz UMS. Und der funktioniert so:

  • Über eine 12-Volt-Steckdose schließt man den Stecker an
  • Verbindet den Stecker per Bluetooth mit einer App mit dem Smartphone
  • Schaltet mobile Daten und das GPS-Signal an

Damit der UMS richtig funktioniert, ist es zwingend erforderlich, dass das Smartphone im Fahrzeug ist. Bei einem Unfall erkennen die im UMS verbauten Sensoren den Aufprall und signalisieren das an die Smartphone-App. Die wiederum übermittelt alle wichtigen Informationen an sogenannte "Notfall-Agenten". Diese sind Mitarbeitende in einem Callcenter der jeweiligen Fahrzeug-Hersteller‒ also noch nicht der Rettungsdienst. Ein Problem, findet Julian Häußler. Denn wenn erst die Agenten kontaktiert werden, die zunächst versuchen, die Situation zu überblicken und dann den Rettungsdienst informieren, geht wichtige Zeit verloren. Bei einem ADAC-Crashtest dauerte es beispielsweise rund eine Minute, bis sich jemand in der Telefonzentrale meldete. Dazu kommen immer wieder Probleme mit falsch durchgegebenen Positionsdaten und nicht erreichbaren Telefonzentralen.

Mein Kollege Jonathan Hadem vom SWR-Podcast "SWR Aktuell im Gespräch" hat am 12.02.2024 noch weitere Probleme der herstellereigenen Systeme mit dem ADAC besprochen:

Durch "eCall" schneller am Unfallort

Dabei ist das genau das Ziel des automatischen Notfallruf-Systems: Die Reaktionszeiten der Rettungskräfte reduzieren und dadurch Leben retten. In Baden-Württemberg starben 2023 369 Menschen im Straßenverkehr, laut Innenministerium gab es 110.147 Verkehrsunfälle, bei denen Pkw beziehungsweise Lkw involviert waren. Bisher ist es so, dass ein Rettungswagen 15 Minuten brauchen darf, um am Unfallort zu sein. In Stuttgart schafften das 2022 rund 92,3 Prozent, eigentlich liegt die vorgegebene Quote bei 95 Prozent. Wenn es nach einem neuen Gesetz der Landesregierung geht, sollen Rettungsdienste zukünftig sogar innerhalb von zwölf Minuten vor Ort sein.

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Wie schnell muss ein Rettungswagen in Baden-Württemberg am Einsatzort sein? Die Landesregierung will nun neue Fristen setzen. Noch muss der Landtag aber darüber beraten.

Dabei kann das "eCall"-System helfen. Als es damals eingeführt wurde, rechnete die EU vor, dass durch den automatischen Notruf die Rettungskräfte auf dem Land rund 50 Prozent schneller vor Ort sein können, in den Städten um 40 Prozent. Damals wurde kalkuliert, dass dadurch 2.500 Leben pro Jahr gerettet werden könnten, einfach dadurch dass die Sanitäter schneller vor Ort sein können. 2023 wurde in 683 Fällen in Baden-Württemberg ein Notdienst durch das System zum Unfallort gerufen, so schreibt es mir das Innenministerium. Ob die Rettungskräfte dadurch schneller waren, das ist nicht bekannt. Und auch das ist Teil der Geschichte ‒ hier kommt der Technik-Skeptiker wieder hoch: In 489 Fällen hat das System einen Notruf ausgelöst, obwohl kein Rettungseinsatz notwendig war.

Tja, da sieht man es mal wieder, die Maschinen sind unzuverlässig, der Technik-Pessimist in mir fühlt sich bestätigt! Wobei, noch unzuverlässiger waren nur die Menschen selbst: in 1300 Fällen wurde manuell ein "eCall"-Notruf abgesetzt, der keinen Einsatz erforderte. Na gut, vielleicht muss ich meinen Technik-Skeptizismus noch mal überdenken. Denn Autos, die selbst um Hilfe rufen können, wenn ich es als Fahrer nicht mehr kann, sind eine gute Sache.

Blindes Vertrauen in die Technik, oder doch etwas Skepsis? Eure Meinung ist gefragt:

Die Abstimmung ist bereits beendet.

Wie sehr vertraut ihr in die Technik in eurem Leben?

  • 1) Ich steuere mein Zuhause per Sprachsteuerung, meine Smart-Watch trackt jeden Schritt von mir, nach Feierabend setze ich mir die VR-Brille auf und sobald es selbstfahrende Autos gibt, mache ich ein Nickerchen am Steuer. Und wenn es rumst, gibt es ja „eCall“. Technik regelt alles! 4,0%
  • 2) Smart-TVs sind schon sehr entspannt, ich liebe, dass ich neue Songs per Erkennungsfunktion finden kann und mein Handy sollte zumindest nicht ganz von vorgestern sein. Im Auto hilft mir das Spurhalte-System manchmal ‒ und wie schnell kocht man bitte mit Induktion?! Technik ist in vielen Bereichen einfach nützlich! 64,0%
  • 3) Moderne Messenger sind mir zu stressig, wer was von mir will, soll mich auf meinem alten Handy anrufen. Wenn ich mal ins Internet gehe, dann nur, um Nachrichten bei SWR Aktuell zu lesen. Mein Auto ist schon älter, aber zumindest kein Oldtimer. Ich brauche keine moderne Technik in meinem Leben! 20,0%
  • 4) Ich habe kein Internet, zur Unterhaltung lese ich ein Buch, wer braucht schon einen Fernseher. Am liebsten spiele ich Brettspiele, meine Freunde erreichen mich nur per Festnetz, am liebsten per Brief. Moderne Technik, hör‘ mir bloß auf! 12,0%

Hinweis: Das Abstimmungsergebnis zeigt ein Meinungsbild unserer Nutzer*innen und ist nicht repräsentativ.

In der vergangenen Woche haben wir euch gefragt, wie ihr euch am besten abkühlt. Die Mehrheit (77,77 Prozent) antwortete: "Ich gehe da ganz strategisch vor: morgens lüften, dann Schotten dicht - und möglichst nicht das Haus verlassen!"

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