Der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger (CDU), hat die Einladung von Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) angenommen und sich von ihm drei Vorzeigeprojekte in Stuttgart zeigen lassen. Beide Politiker äußerten danach viel Lob, aber zumindest Oettinger wiederholte auch einen Teil seiner Kritik. Er sprach unter anderem von "tiefer Sorge". Vorausgegangen war ein im Frühjahr öffentlich ausgetragener Streit, ob Stuttgart träge und verschlafen sei.
Gemeinsamer Besuch von drei innovativen Unternehmen
Das Treffen musste laut Stuttgarter Rathaus mehrfach verschoben werden und fand schließlich am 21. November statt. Eine Medienbegleitung durch Journalistinnen und Journalisten sei nicht möglich gewesen, da laut OB-Sprecher David Rau Forschungslabore und sogenannte "Innovation Spaces" besucht wurden, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich seien. Stationen waren das Zentrum für Angewandte Quantenforschung (ZAQuant) in Stuttgart-Vaihingen, das Architektur-Atelier Brückner und der Autozulieferer Mahle.
Oberbürgermeister Nopper sieht sich nach der dreistündigen gemeinsamen Tour in seinem Stuttgart-Bild bestätigt: "Stuttgart war und ist Innovationsstadt". Gemeinsam mit Günther Oettinger habe er "drei zutiefst innovative, kreative und erfolgreiche Standorte" besucht. Und auch der Ex-Ministerpräsident kommt zu dem Schluss: "Das waren drei überzeugende Unternehmen." Man habe Orte besucht, "die Mut machen".
Was bleibt vom Streit zwischen Nopper und Oettinger?
Ist damit der Städte-Streit der beiden CDU-Politiker beigelegt? Nimmt der Ex-Ministerpräsident seine Aussage vom verschlafenen und trägen Stuttgart zurück? Wir erreichen ihn am Mittwochvormittag im Auto. Viel Zeit habe er nicht, gleich beginne eine Telefon-Konferenz, am Nachmittag sei er beruflich in Straßburg, sagt er, um dann fortzusetzen, wo er im Frühjahr angefangen hatte: "Immer noch glauben zu viele, dass man Wohlstand durch Stillstand sichern kann."
Streit unter Parteifreunden Ist Stuttgart zu träge und satt? Nopper kontert Oettinger
Verschlafen, träge und satt - so hatte Ex-Ministerpräsident Oettinger Stuttgart vor Kurzem bezeichnet. OB Nopper lobt hingegen die Entwicklung der Stadt - und lädt Oettinger ein.
Als Beispiele nennt er die aktuelle PISA-Studie, die kein erfreuliches Bild ergebe. Deutschland sei abgerutscht, Baden-Württemberg nur noch im Mittelfeld. Außerdem erwähnt Oettinger die aktuelle Ankündigung des Stuttgarter Technologiekonzerns Bosch im kommenden Jahr mindestens 1.500 Stellen zu streichen. Auch teile er die Sorge eines breiten Bündnisses aus Wirtschaft und Politik, die bereits im Herbst 2022 "bürokratische Hürden" und "lähmende Behäbigkeit" angeprangert hatten.
Und während OB Nopper in einer Mail am Dienstagabend an den SWR mehrere Städterankings wie den aktuellen "Smart-City-Index" oder das aktuelle Ranking der "lebenswertesten Städte der Welt" des " Economist" zitiert, bei denen Stuttgart aus seiner Sicht "gut bis sehr gut" abgeschnitten habe, ist das Fazit von Oettinger deutlich weniger euphorisch: "Ich sehe ein gemischtes Bild."
Kommentare auf Instagram unterstützen Kritik von Oettinger
Oettinger ist nicht allein mit seiner Kritik an Stuttgart, an der Region und am Bundesland Baden-Württemberg. Als OB Nopper knapp drei Wochen nach dem Termin auf seinem Instagram-Kanal mehrere Fotos von der gemeinsamen Tour unter der Überschrift "OB Nopper zeigt Günther Oettinger innovatives Stuttgart" postet, hagelt es mehrere kritische Kommentare: "Wenn wir wirklich innovativ wären, müsste der Bosch jetzt keine Leute entlassen und ginge es dem Mercedes auch besser", heißt es beispielsweise.
Ein anderer User schreibt: "Innovation bedeutet für mich nicht nur einzelne Erfolge bei bekannten, großen Unternehmen und Institutionen." Vielmehr sei Innovation eine Kultur, die man leben könne. Viele junge und innovative Menschen aus der Region würden automatisch in andere Städte und Länder gehen.
Doch OB Nopper bekommt auch Unterstützung. Eine Person antwortet auf einen vorherigen Instagram-Kommentar: "Der Stuttgarter Raum ist eine der reichsten Gegenden Deutschlands. Die meisten anderen haben erst gar keinen Bosch oder Daimler." Und auch die beiden CDU-Politiker geben sich versöhnlich: Während Nopper mitteilen lässt, dass man sich natürlich permanent und weiterhin mit ganzer Kraft hellwach - in Sachen Bildung, Industriepolitik und Wettbewerbsfähigkeit und Entbürokratisierung - kümmern müsse, erklärt Oettinger am Telefon, er sei mit Nopper "befreundet" und er mache "keine Kritik an ihm fest".