Die neuste Kampagne der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) nimmt gezielt die Stuttgarter Autofahrer aufs Korn. Das findet der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) gar nicht witzig. Selbst die SSB distanziert sich jetzt von der eigenen Kampagne. Schon länger wirbt die SSB mit kreativer und humorvoller Werbung, um die Menschen dazu zu bringen, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu benutzen. Sprüche wie "Und ich fahr, fahr away" und "Rolling home for Spätzle" hängen an den Haltestellen. Die Landeshauptstadt kämpft seit Jahren gegen überfüllte Straßen und Staus.
SSB-Kampagne: "Unter dieser Plane steckt ein Auslaufmodell"
Die Fotos der Kampagne zeigen Autos, die mit einer Plane im SSB-typischen Gelb verhängt sind und auf denen zum Beispiel der Spruch zu lesen ist: "Das Parkzeitalter ist abgelaufen." Außerdem wurden Plakate designt, auf denen Personen im Stil der 70er-Jahre gekleidet und frisiert zu sehen sind. Daneben der Spruch: "Mobilität von Morgen. Auch für Leute von gestern. - Wer sich heute fortschrittlich bewegen will, fährt kein Auto." Die Kampagne soll die Autofahrer in Stuttgart gezielt ansprechen.
Oettinger: "Nicht an dem Ast sägen, auf dem man sitzt."
Günther Oettinger ist entsetzt. Er verstehe nicht, wie man so eine Kampagne aufsetzen konnte, erklärt er dem SWR. "Ich dachte, das wäre ein Aprilscherz. Was da geboten wurde, war unverschämt." Man brauche den ÖPNV und das Auto gleichermaßen in Stuttgart. Dass ein städtisches Unternehmen gegen die Autoindustrie mobil macht, von der Stuttgart lebe und profitiere, sei unmöglich.
In Stuttgart werden Menschen noch Jahrzehnte mit dem Auto fahren. Und Stuttgart werde auf diese Menschen angewiesen sein. Der Individualverkehr gehöre genauso zu Stuttgart wie der ÖPNV, so Oettinger im SWR.
SSB rudert zurück: "Es gibt keine Guerilla-Marketing-Aktion"
Auch die Stuttgarter Straßenbahnen haben auf die Kritik reagiert. Vor allem will das Unternehmen klarstellen: "Es gab und gibt keine Guerilla-Marketing-Aktion von der SSB oder im Namen der SSB, bei der Autos verhüllt wurden." Es habe sich lediglich um ein Fotoshooting gehandelt, erklärt eine Sprecherin dem SWR.
Die mit dem Fotoshooting beauftragte Agentur habe sich ohne Wissen und Einverständnis ihrer Kundin SSB in dieser Woche gegenüber der Presse geäußert und dabei das Fotoshooting im Februar als aktuelle Guerilla-Marketing-Aktion der Agentur im Auftrag der SSB dargestellt. "Weitere Fotoproduktionen dieser Art wird es nicht geben."
Eine Kampagne, die die Probleme angesprochen hat?
Das ärgert wiederum Luigi Pantisano. Er ist im Stadtrat in der FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei und sitzt auch im SSB-Aufsichtsrat. "Faktisch ist es so, dass diese Kampagne viel richtig macht, indem sie betont: Autos belegen Raum, der öffentlich genutzt werden sollte." Der Raum werde dringend für die Verkehrswende gebraucht - für Rad- und Fußwege und "nicht für rumstehende Autos". Laut Luigi Pantisano wäre es gut, die SSB würde aktiv mehr solcher Kampagnen betreiben. In Bezug auf Oettinger sagt Pantisano nur: "Oettinger ist derjenige, der 40 Jahre lang auf dem Ast saß und daran gesägt hat."
Vorbild Berlin: Die Kampagnen der BVG
Umstrittene Kampagnen im Nahverkehr sind nicht neu. Der berühmteste Vorreiter dürften die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sein. Seit Jahren werben sie mit verschiedenen Sprüchen, Youtube-Videos und Kampagnen, die immer wieder viral gehen. Auf den Vergleich mit Berlin angesprochen, sagt der ehemalige Ministerpräsident Oettinger: "Stuttgart sollte keine kleine Kopie von Berlin sein." Auch in diesem Punkt widerspricht Luigi Pantisano: "Das hat doch gezeigt, dass es funktioniert hat." Die SSB habe sich gezielt Rat von der BVG geholt, um solche Kampagnen auch in Stuttgart umsetzen zu können, erklärt Pantisano dem SWR.
Die SSB erklärt auf Anfrage des SWR: "Die SSB wirbt für den ÖPNV, für bessere Luft, weniger Mobilitätsfrust, die Verkehrswende in Stuttgart und dafür, unterschiedliche Verkehrsmittel clever, individuell und unkompliziert zu kombinieren." Den Individualverkehr zu geißeln oder Autos aus der Stadt Stuttgart zu verbannen, sei nie Bestandteil der SSB-Werbung gewesen.