Mit viel Polizei: In Stuttgart steht der Fall "Handgranate auf friedhof" vor Gericht.

Bandenkriminalität im Raum Stuttgart

Prozess zur Handgranate auf dem Friedhof Altbach: Angeklagter gesteht

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Verena Neuhausen
Verena Neuhausen
Lukas Föhr

Ein 23-Jähriger soll eine Handgranate auf einem Friedhof in Altbach geworfen haben. Nun steht er wegen versuchten Mordes vor Gericht. Und bekennt sich schuldig.

Ein 23-Jähriger aus dem Kreis Göppingen muss sich seit Donnerstag vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. Ihm wird mehrfacher versuchter Mord vorgeworfen. Am ersten Prozesstag äußerte er sich dazu gleich über seinen Anwalt: Die Tatvorwürfe seien zutreffend. Laut Anklage hat der Mann bei einer Beerdigung im Juni eine Handgranate in Richtung einer Trauergemeinde auf dem Friedhof in Altbach (Kreis Esslingen) geworfen. Die Granate war an einem Baum explodiert. 15 Menschen wurden zum Teil erheblich verletzt. Ein noch größeres Blutbad war laut Polizei durch den Baum verhindert worden. Er wisse, dass er sehr falsch gehandelt habe und möchte sich bei den Opfern entschuldigen, teilte der Anwalt im Namen des Angeklagten mit.

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Der 23-Jährige soll außerdem bereits Anfang des Jahres in eine Messer-Attacke verwickelt gewesen sein. In diesem Zusammenhang wird ihm jetzt versuchter Totschlag vorgeworfen. Auch hierzu ließ der Angeklagte ein Statement abgeben: Er habe wie in der Anklage beschrieben im Januar mehrfach auf einen Mann in Göppingen eingestochen, ihn verfolgt und weiter attackiert, jedoch habe er dabei nicht die Absicht gehabt, ihn zu töten.

Versuchter Auftragsmord mit Handgranate?

Nach Erkenntnissen der Polizei gehört der 23-jährige Iraner zu einer von zwei rivalisierenden Banden im Großraum Stuttgart, die sich seit fast zwei Jahren immer wieder brutal angreifen. Ermittler sprechen von einer Schussserie zweier verfeindeter Gruppen. Dabei bekämpfen sich etwa 500 junge Leute.

Die eine Gruppe stammt aus dem Raum Esslingen/Ludwigsburg, die andere aus dem Kreis Göppingen mit Verbindung zu den Stuttgarter Stadtteilen Zuffenhausen und Fasanenhof. Die Gruppen sind nur lose über Treffpunkte und Freundeskreise verbunden und nicht wie herkömmliche Banden, Gangs oder kriminelle Organisationen hierarchisch strukturiert, hört man von den Ermittlungen. Dennoch geht man davon aus, dass der Angeklagte die Handgranate im Auftrag eines anderen geworfen hat. Wer das gewesen sein könnte, wird eine der Fragen in dem Prozess sein. Am ersten Verhandlungstag zählte der Staatsanwalt die Verletzungen durch Granatsplitter bei den 15 Opfern detailliert auf. Mehrere Menschen leiden demnach an den Folgen ihrer Verletzungen - zum Teil hätten Granaten-Splitter nicht operativ entfernt werden können.

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Angeklagter soll schon zuvor durch Brutalität aufgefallen sein

Im Mittelpunkt des Prozesses steht auch, wieso die Gewalt zwischen den beiden Gruppen so eskalierte. Teil dessen ist, dass sich die Gruppen nicht nur mit Schusswaffen, sondern auch mit einer Handgranate angreifen. Deshalb haben die Ermittler auch das Verhalten des Angeklagten in den Monaten zuvor untersucht. Ihre Erkenntnis: Der Tatverdächtige soll bereits zuvor mit massiver Brutalität aufgefallen sein, wie etwa bei der Messer-Attacke, die nun ebenfalls vor Gericht verhandelt wird. Zudem soll er illegal mit Drogen gehandelt haben.

Das weiß man über den Angeklagten noch

Zum Prozessbeginn erzählte der Angeklagte mehr über sich. Als er fünf Jahre alt war, seien seine Eltern mit ihm zusammen aus dem Iran geflohen. Sein Vater sei Kurde und würde sich bis heute politisch engagieren. Bis zu sein Verhaftung lebte der 23-Jährige in Hattenhofen (Kreis Göppingen). Sein Asylantrag wurde aber rechtskräftig abgelehnt.

Handgranatenwerfer wurde selbst Opfer von Angreifern

Nachdem die Handgranate im Juni an dem Baum explodiert war, wurde der Angeklagte selbst aus dem Kreis der Trauergemeinde angegriffen. Fünf Männer aus der Esslinger Gruppierung zwischen 19 und 21 Jahren sollen ihn verfolgt, aus einem Taxi gezerrt und mit Fäusten und Tritten lebensgefährlich verletzt haben. Gegen die fünf Männer wird deshalb ab dem 14. Dezember ein separates Gerichtsverfahren vor dem Stuttgarter Landgericht starten. Alle Angeklagten befinden sich in Untersuchungshaft.

Über den Fall mit der Handgranate hatte der SWR im Juni ausführlich berichtet, mit Betroffenen in Altbach gesprochen und sich die Hintergründe des Bandenkriegs näher angeschaut.

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Ist die Serie von brutalen Gewalttaten mit den Prozessen gestoppt?

Die Polizei hatte schon vor dem Wurf der Handgranate auf dem Friedhof in Altbach Ermittlungen in den Kreisen Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg und in Stuttgart - koordiniert vom Landeskriminalamt (LKA) - zusammengeführt. Mit zahlreichen Personenkontrollen und Razzien bei Verdächtigen hatte sie den Druck auf die beiden Gruppierungen massiv erhöht.

Rund 50 Tatverdächtige sitzen in Untersuchungshaft, mehrere Männer waren bereits wegen Schießereien wie etwa in Esslingen-Mettingen oder Waffenbesitzes verurteilt worden. Noch sind nicht alle Urteile rechtskräftig. Immer wieder kommt es dennoch zu Gewaltausbrüchen wie zuletzt im Oktober in Schorndorf. Die Ermittler gehen deshalb nicht davon aus, dass sich die Spirale der Gewalt zwischen beiden Gruppen schnell stoppen lässt.

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Höchste Sicherheitsstufe bei Prozess in Stammheim

Für den Prozess zum Handgranaten-Wurf gilt die höchste Sicherheitsstufe. Das Gericht eröffnete das Verfahren deshalb nicht in seinem Gebäude in der Stuttgarter Innenstadt, sondern im Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim in direkter Nachbarschaft zum Hochsicherheitsgefängnis. In dem Gebäude in Stammheim finden auch Terror-Prozesse statt. Beim ersten Prozesstag tauchten keine Sympathisanten der verfeindeten Gruppierungen auf. Das war bei anderen Prozessen im Zusammenhang mit der Schuss-Serie anders. Der jetzige Prozess soll bis März nächstes Jahr laufen. Am nächsten Verhandlungstag, dem 20. Dezember, soll erste Zeugen gehört werden.

In Stammheim und anderen Gefängnissen sitzen derzeit laut Landeskriminalamt rund 50 Tatverdächtige aus der Schussserie in Untersuchungshaft. Vor den Gefängnismauern treffen sich immer wieder Unterstützer der Inhaftierten und rufen den Untersuchungs-Häftlingen Aufmunterungen zu. Das soll auf Videos in den sozialen Netzwerken zu sehen sein. Angeblich sollen auch Drogen über die Gefängnismauern geworfen worden sein.

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