Oft klicken die Handschellen am Arbeitsplatz. Das berichten Arbeitgeber von abgelehnten Asylbewerbern in der Region Stuttgart. Rechtlich scheinen die Fälle klar zu sein, da die Arbeitnehmer aufgrund ihrer Ablehnung ausreisen müssen. Doch immer mehr Arbeitgeber fragen sich, warum gut integrierte und dringend benötigte Arbeitskräfte und Kollegen abgeschoben werden.
Vor den Augen der Betreuten abgeholt
Es passiert mitten in der Frühschicht: Drei Polizisten holen Sedia Kijera am 30. November im Pflegeheim Haus am Mühlbach in Kirchheim am Neckar (Kreis Ludwigsburg) ab. Vor den Augen der Bewohnerinnen und Bewohner des AWO-Pflegeheims, von denen viele zu diesem Zeitpunkt noch beim Frühstück in der Wohngruppe sitzen und bei denen der 28-Jährige sehr beliebt ist. Die Bewohnerinnen und Bewohner und das Pflegeteam sind fassungslos. In den Augen des für die Abschiebung zuständigen Regierungspräsidiums Karlsruhe dagegen ist das Vorgehen rechtlich einwandfrei. Nicht nur sei Kijeras Asylantrag abgelehnt worden - er sei zudem vorbestraft.
Sedia Kijera kommt 2015 nach Deutschland. Zunächst ist er in Aspach (Rems Murr-Kreis) untergebracht. Dort hilft er freiwillig bei gärtnerischen Arbeiten mit und baut Freundschaften zur Bevölkerung auf. Viele bestehen bis heute. Er büffelt Deutsch, schafft den Sprachkurs B1 (Fortgeschrittene Sprachkenntnis) und macht im Haus am Mühlbach in Kirchheim am Neckar eine Ausbildung zum Altenpflegehelfer. Er wird dort als 100-Prozent-Kraft eingestellt. Sein nächstes Ziel: die Ausbildung zum Pflegefachmann. Die AWO unterstützt ihn dabei. Denn der junge Gambier wird als verlässlich, aufmerksam, empathisch und hilfsbereit beschrieben. "Wie kann man einen geschätzten Mitarbeiter, der sich in Deutschland gut integriert hat und dabei ist, einen helfenden Beruf zu erlernen, in dem es bekannterweise ohnehin zu wenige Fachkräfte gibt, nur abschieben", fragt sich Daniela Lehmann, die Leiterin des Pflegeheims Haus am Mühlbach.
Weigerung verhindert Abschiebung
Weil sich Sedia Kijera gegen die Abschiebung wehrt, weigert sich der Pilot vor dem Abflug, den 28-Jährigen mitzunehmen. Jetzt sitzt Kijera in Abschiebehaft in Pforzheim. Ein Netzwerk von Unterstützenden versucht mit Petitionen an den baden-württembergischen Landtag das Blatt doch noch zu wenden. "Im Ausland sucht man Arbeitskräfte und gibt Geld aus, weil sie hier erst noch die Sprache lernen müssen. Und gleichzeitig gibt man Geld aus, um Menschen in ihr Heimatland abzuschieben, die hier bereits in diesen Bereichen arbeiten", sagt Götz Schwarzkopf, Sprecher der Ortsgruppe Seebrücke Kirchheim am Neckar.
Regierungspräsidium Karlsruhe verteidigt Abschiebung
Das für Abschiebungen zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe verteidigt das Vorgehen. Die Abschiebung sei rechtlich einwandfrei. Sedia Kijeras Asylantrag sei abgelehnt worden. Außerdem sei er vorbestraft, heißt es in einer Antwort auf SWR-Anfrage. "Mit Urteil vom 05.10.2020 verurteilte das Amtsgericht Backnang Herrn Kijera wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Wäre der Betreffende nicht in diesem Ausmaß straffällig geworden, hätte er eine Bleibeperspektive in Deutschland gehabt."
Über Petitionen versuchen Freunde und Unterstützende das Blatt doch noch zu wenden. Am Donnerstag (14. Dezember) wird der Petitionsausschuss des Landtags unter anderem über diesen Fall beraten. Die endgültige Entscheidung soll der Landtag dann am 21. Dezember treffen.
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Abschiebung von integrierten Flüchtlingen kein Einzelfall
In Unterensingen (Kreis Esslingen) bekommt Sieka Sielca am Nikolaustag Handschellen angelegt. Der 40-jährige Togolese arbeitet seit Mai bei der Gemeinde als Hausmeister, kümmert sich vor allem um die Grundschule und die Veranstaltungshalle Udeon. Bürgermeister Sieghart Friz (CDU) beschreibt ihn als freundlichen, kommunikativen und hilfsbereiten Mitarbeiter. Doch am 6. Dezember darf Sielca nur noch einige Habseligkeiten zusammenpacken, dann bringen ihn Polizisten zum Frankfurter Flughafen. Auch hier begründet das Regierungspräsidium Karlsruhe die Ausweisung damit, dass Sielcas Asylantrag abgelehnt worden sei.
In einer Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Karlsruhe heißt es: "Die Ausübung einer Beschäftigung allein führt nicht zu einem Aufenthaltsrecht. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Beschäftigungsduldung lagen nicht vor."
Mittlerweile ist Sielca wieder in Togo. Es gehe Sieka Sielca nicht gut, sagt eine Unterensinger Gemeinderätin, die Kontakt zu ihm hat. Weil er nicht freiwillig ausgereist ist, gilt für ihn jetzt ein 30-monatiges Einreise- und Aufenthaltsverbot in Deutschland.
Rechtsanwalt spricht von derzeit deutlich mehr Abschiebungen
Derzeit würden mehr Menschen abgeschoben werden, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die damit formal ausreisepflichtig sind als in den vergangenen zwei Jahren, sagt der Stuttgarter Rechtsanwalt Stefan Weidner. Das sei politisch so gewollt. Weidner vertritt unter anderem den gambischen Altenpflegehelfer Sedia Kijera. Dass es vermehrt Geflüchtete trifft, die hier integriert sind und Jobs haben, habe einen einfachen Grund.
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Wohlfahrtsverband fordert Abschiebestopp
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg fordert eine Beendigung der Ausreisepflicht für Geflüchtete, die bereits gut in den Arbeitsmarkt integriert sind. "Es ist nicht nachvollziehbar und akzeptabel, dass bereits gut integrierte Menschen aus ihrer neuen Heimat herausgerissen werden, für die Menschen wie für Betriebe, die sich für Integration einsetzen", sagt Uta-Micaela Dürig, Vorständin Sozialpolitik des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg. Neben der Wahrung der Menschenrechte müsse es gerade in Zeiten des Arbeits- und Fachkräftemangels oberste Priorität haben, Menschen in unserem Land, die gut in den Arbeitsmarkt integriert sind, einen Spurwechsel aus der Ausreisepflicht zu ermöglichen.