Vor Migrationsgipfel: Meisterprüfung vs. abgelehnter Asylantrag

Flüchtling in Rottenburg droht Abschiebung nach Gambia

Stand
Autor/in
Katharina Thoms
Onlinefassung
Anette Hübsch
Anette Hübsch ist Reporterin für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen.
Magdalena Knöller
Magdalena Knöller

Saikou Conteh kam 2014 nach Rottenburg, hat Elektriker gelernt und will seinen Meister machen. Die Härtefallkommission möchte, dass er bleibt. Doch das Land will ihn abschieben.

Dem 29-jährigen Saikou Conteh aus Gambia droht die Abschiebung in sein Heimatland. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. "Es sind die Falschen, die abgeschoben werden", sagt Elektriker Bernd Kopp aus Rottenburg-Wurmlingen (Kreis Tübingen). Aus seinen Worten spricht pure Enttäuschung. Denn sein Geselle Saikou Conteh könnte jeden Tag abgeholt werden.

So hat Katharina Thoms in SWR4 Baden-Württemberg über den Fall von Saikou Conteh berichtet:

Wegen Bewährungsstrafen: Land pocht auf Abschiebung

Für das baden-württembergische Justizministerium ist Saikou Conteh straffällig geworden: Vor sieben Jahren wurde er beim Marihuana-Verkaufen erwischt. Er kam in Untersuchungshaft und erhielt eine Bewährungsstrafe. Damals hörte er zu rauchen auf. Er wurde nochmal wegen Drogenbesitzes verurteilt - seine zweite Bewährungsstrafe. Conteh und seine Rottenburger Flüchtlingshelferin, Anita Binder, gehen felsenfest von einem Ermittlungsfehler aus. Als der Abschiebebescheid kommt, schreiben Binder und andere Ehrenamtliche an die Härtefallkommission des baden-württembergischen Justizministeriums.

Härtefallkommission empfiehlt Bleiberecht

Die Härtefallkommission hat sich für Saikou Conteh ausgesprochen und empfiehlt ein Bleiberecht. Für die Kommission überwiegt die nachweisliche Integration, seine jahrelange Ausbildung und seine Arbeit als Elektriker. Doch das Ministerium der Justiz und für Migration bleibt bei seiner Entscheidung. Bei dem Ersuchen der Härtefallkommission handele es sich lediglich um eine Empfehlung, welche keine Bindungswirkung für die Entscheidung des Ministeriums als oberste Ausländerbehörde entfalte, so die Behörde. Die Vorstrafen wiegten besonders schwer.

Saikou Conteh ist verzweifelt. Sein Chef Bernd Kopp ist von der Politik enttäuscht: "Da sollen wir die Leute ausbilden und dann werden sie zurückgeschickt."

"Wenn ich nach Gambia gehe, was soll ich machen?"

Anita Binder betreut Menschen die nach Deutschland geflüchtet sind.
Auch wenn es aussichtslos erscheint: Anita Binder will sich so lange wie möglich für Saikou Conteh einsetzen.

Schon viele Jahre weg von Gambia

Mit 16 Jahren ging Conteh von zu Hause weg - zum Arbeiten nach Libyen. Dort starb sein Bruder. Mit 20 floh er dann nach Deutschland und kam 2014 nach Rottenburg. Nach anfänglichen Wirren gilt er dort nun als voll integriert: Er spielt zum Beispiel im Fußballverein und hilft in der Kirchengemeinde. Conteh will bleiben und dem Land etwas zurückgeben.

Er hat bei Bernd Kopp letztes Jahr die Ausbildung abgeschlossen und sich im Frühjahr an der Meisterschule angemeldet. Sein Chef traut ihm die Meisterprüfung zu. Der 29-Jährige habe bewiesen, dass er lernfähig sei. So hat er in Deutschland zunächst die Sprache gelernt, dann den Realschulabschluss und später seine Ausbildung zum Elektriker gemacht. Kopp will nur ungern auf ihn verzichten. Seine Auftragsbücher für nächstes Jahr seien voll.

Geflüchtete schneller in Jobs - Lob und Kritik aus BW

Asylbewerber sollen in Deutschland künftig schneller arbeiten dürfen. Dafür hat das Bundeskabinett entsprechende Regelungen verabschiedet. Andreas Schwarz, Fraktionschef der Grünen im baden-württembergischen Landtag, begrüßte den Beschluss: "Je schneller sich geflüchtete Menschen selbst unterhalten können, desto einfacher gelingt auch die Integration ins gesellschaftliche Leben", sagte er. Dieser Schritt sei auch ein Mehrgewinn mit Blick auf den Fachkräftemangel. Kritik gab es dagegen von dem CDU-Landtagsabgeordneten Andreas Deuschle. Er bezweifelt, dass die Regelung etwas bringe, solange "das Bürgergeld in dieser Höhe existiert". Der größte Hemmschuh sei die "zu hohe staatliche Unterstützung".

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Mehr Abschiebungen in BW

Die Abschiebe-Zahlen in Baden-Württemberg steigen seit Ende der Corona-Pandemie wieder. Bis Ende September sind 1.476 Menschen abgeschoben worden - fast so viel wie im gesamten letzten Jahr: 1.654. Abgeschoben wird in die Herkunftsländer oder in die Länder, in denen sie laut EU-Regeln eigentlich ihren Asylantrag stellen müssten.

Die Zahl der Straftäter unter den Rückführungen aus Baden-Württemberg steigt auch jedes Jahr - ein Ziel des CDU-geführten Ministeriums. Darunter auch immer wieder Straftäterinnen und Strafträter mit Vergehen in ähnlicher Dimension wie bei Saikou Conteh.

Migrationsgipfel: Bund-Länder-Treffen

Im Vorhinein des Migrationsgipfels am kommenden Montag hat sich auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu Wort gemeldet. Die Menschlichkeit dürfe in der Migrationsdebatte nicht abhandenkommen, hatte er in einem Gastbeitrag in der Zeitung "Tagesspiegel" gefordert. Im gleichen Atemzug lobte er die Unterstützung der Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe. Für einige Menschen in Rottenburg klingt das wie Hohn. Denn sie vermissen im Fall von Saikou Conteh genau das: Menschlichkeit bei der Entscheidung darüber, wer abgeschoben wird.

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