Können sich junge Leute eigentlich vorstellen, wie es ist, wenn man alt wird? Wenn alles weh tut, man nicht mehr vernünftig sieht oder hört? Ein Pflegeheim in Buchen (Neckar-Odenwald-Kreis) veranstaltet regelmäßig Tage, an denen sich die jungen Auszubildenden in die Rolle der Bewohnerinnen und Bewohner versetzen - und zwar so richtig: Sich mit Mitte 20 oder 30 schon wie 90 fühlen, darum geht es. Am Mittwoch sind die Auszubildenden des Pflegeheims Sonnengarten einen Tag lang in die Rolle der alten und gebrechlichen Bewohner geschlüpft.
Mit dem Rollator kommt man kaum voran
Nadine ist 34 Jahre alt und sieht kerngesund und sportlich aus. Aber heute geht sie am Rollator, besser gesagt: sie schleicht etwas desorientiert durch das Haus Sonnengarten in Buchen, eine ältere Pflegerin muss ihr helfen.

Alles fällt mir furchtbar schwer!
Am Morgen, zu Dienstbeginn, hat sich Nadine in einen extrem schweren rot-weißen Overall einpacken lassen, dazu trägt sie eine Art Taucherbrille und riesige Kopfhörer. "Das ist mein Altersanzug!", sagt sie und lacht, dabei ist ihr das Lachen schon kurze Zeit später vergangen: "In diesem Anzug fällt einem jede Bewegung schwer. Am Rollator komme ich überhaupt nicht voran, und im Rollstuhl geht es schon gar nicht", sagt sie. Die Taucherbrille sorgt dafür, dass die junge Auszubildende alles verschwommen sieht, die riesigen Kopfhörer produzieren ein ständiges Rauschen, so dass Nadine von ihrer Umwelt kaum etwas mitbekommt. "Wer mit mir sprechen möchte, muss mich richtig anschreien", sagt sie
Für alles brauchen die jungen Auszubildenden plötzlich Hilfe
Aus den jungen, motivierten angehenden Pflegefachkräften sind an diesem Azubi-Tag alte klapprige Leute geworden, die schlecht sehen oder hören, nicht alleine essen, nicht mal alleine aufs Klo gehen können. Alles auf freiwilliger Basis, aber die Azubis halten durch, auch wenn die Verkleidung, die Verwandlung schon nach den ersten ein, zwei Stunden nicht mehr wirklich lustig ist.

"Für mich ist das extrem schwierig", sagt die Auszubildende Jacqueline. Die 31-Jährige ist an diesem Tag zum Rumsitzen und Rumliegen verdammt, zur altersbedingten Bewegungsunfähigkeit, acht Stunden lang. Eigentlich weiß sie schon seit Beginn ihrer Ausbildung in der Altenpflege, dass es vielen alten und pflegebedürftigen Leuten so geht. "Aber, wenn man selber betroffen ist, ist das nochmal was ganz anderes.", sagt sie.
Ich bin hier ständig auf Hilfe angewiesen, ich muss ständig um etwas bitten, die Selbständigkeit, die Freiheit, die Autonomie - alles weg. Das ist schrecklich.
Großer Aha-Effekt bei den Auszubildenden
Michael Winnewisser vom Pflegeheim Sonnengarten passt auf, dass keiner der Azubis überfordert wird, emotional oder körperlich. Er hat viele gute Erfahrungen mit solchen Aktionen gemacht, weil sie eben doch für einen großen Aha-Effekt sorgen. "Wenn hier abends ein Azubi rausgeht und nach diesen Eindrücken morgen etwas in seiner Arbeit und in der Pflege anders, besser machen möchte, dann haben wir unser Ziel erreicht", sagt er.