Frust über die Budget-Regeln für Hausärzte

Ärztin tauscht Praxis gegen Gefängnis in Bruchsal

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Hannah Radgen
Hannah Radgen
Teo Jägersberg
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Eine Hausärztin aus Baden-Baden hat ihre Praxis geschlossen und arbeitet jetzt im Gefängnis in Bruchsal. Grund dafür ist die Budgetierung für Hausarztpraxen.

Christine Daul ist Allgemeinmedizinerin aus Baden-Baden. Sie geht neuerdings aber Tag für Tag ins Gefängnis nach Bruchsal. Für ihren neuen Job hat die 58-jährige Ärztin ihre Praxis und Kassenzulassung abgegeben.

Patient ist Patient: Egal ob in der Praxis oder im Gefängnis

Ihr neuer Arbeitsplatz sieht eigentlich aus wie ein ganz normaler Behandlungsraum - wie beim Hausarzt. Weiße Wände, Patientenakten im Regal an der Wand, eine Untersuchungsliege. Nur die Gitter vor den Fenstern verraten, wo Christine Dauls neuer Arbeitsplatz ist.

Bei ihrer Arbeit trägt Christine Daul, wie alle anderen Mitarbeitenden im Gefängnis, ein Funkmeldegerät zu ihrer Sicherheit. So kann sie selbst in Gefahrensituationen Hilfe rufen. "Ein Risiko ist immer dabei, das ist klar. Aber das habe ich auch in 25 Jahren Praxis gehabt [...] Ich hatte durchaus Patienten, die auch nicht immer Engele waren."

Mit Straftätern zu arbeiten, schreckt Christine Daul nicht ab. "Vor mir sitzt nur der Patient." Bei ihrer Arbeit im Gefängnis könne sie sogar mehr Ärztin sein, als in ihrer Hausarztpraxis.

Ärztin tauscht Praxis gegen Gefängnis in Bruchsal
Budgetierung und Bürokratie frustrieren die Hausärztin. Im Gefängnis gibt es pro Patient kein festgesetztes Budget. "Wer hier eine bestimmte Behandlung braucht, bekommt sie auch." Bild in Detailansicht öffnen
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Hausärzte-Budgetierung treibt Ärztin ins Gefängnis

Im Mai 2024 hat Christine Daul den Schlussstrich gezogen. Die Budgetierung für Hausärzte und ihre Praxen sei ungerecht und nicht mehr tragbar. Die Kassenärztliche Vereinigung kann die Anzahl an Patienten, für die es das Budget freigibt, festlegen. Überschreiten Hausarztpraxen die Anzahl an Patienten oder ihr Budget, werden die Behandlungen oft nicht komplett von den Krankenkassen erstattet. Was über das festgelegte Budget hinausgeht, muss dann von den Ärztinnen und Ärzten gezahlt werden. "Es wird gar nicht geschaut, was der Patient braucht, sondern einfach ein Strich gezogen", kritisiert Daul die Kassenärztliche Vereinigung.

Es machen viele Kollegen natürlich trotzdem und die zahlen drauf. Aber die können nicht Nein sagen, und das ist das Problem.

Gefängnis statt Praxis? Ärztin wechselt aus Frust über Budgetierung für Hausärzte ihren Arbeitsplatz.

"Wer im Gefängnis eine Behandlung braucht, der kriegt sie auch"

Patienten und Behandlungen ablehnen oder draufzahlen - In erster Linie wollte Christine Daul raus aus dem System der Krankenkassen. Nach einem Tag Probearbeit in der JVA Bruchsal stand ihr neuer Arbeitsplatz dann fest. "Ich muss wirklich sagen, es macht mir Spaß, weil ich hier eine gute Medizin machen kann.", erzählt die Medizinerin. Wenn im Gefängnis jemand seine Therapie bräuchte, würde er sie auch bekommen. Anders als "draußen", wie Daul sagt.

Weniger Praxen und schlechtere Hausärztliche Versorgung

Kritik daran, wie es für Hausarztpraxen läuft, gibt es schon lange. Besonders von Praxen mit Kassenzulassung. Nach Ansicht des Verbandes für Hausärztinnen und Hausärzte sei die Lage dramatisch. Die Budgetierungen und Honorarkürzungen schreckten junge Kollegen ab und motivierten ältere Kollegen, ihre Praxen zu schließen. Auf dem Land gibt es immer weniger Hausarztpraxen und immer mehr Praxen behandeln nur noch Privatpatienten. Gesetzlich Versicherte bekommen nur schwer zeitnah Termine.

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Kritisierte Budgetierung für Hausärzte soll sich ändern

Kaum hat Christine Daul die Entscheidung für den neuen Job im Gefängnis getroffen, gibt es in der Politik Ansätze, die seit Jahren angekündigte sogenannte "Entbudgetierung" hausärztlicher Leistungen umzusetzen. In der Nacht zum Freitag hat der Bundestag das sogenannte Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz verabschiedet. Damit entfällt die Obergrenze für Behandlungen und es soll Jahrespauschalen geben.

Ihre Entscheidung bereut die 58-Jährige Gefängnisärztin trotzdem nicht. Sie meint, unter dem Strich würde auch mit der Entbudgetierung für die Hausärzte nicht mehr rauskommen. Zudem sei es wichtig, auch die Fachärzte miteinzubeziehen.

Man muss klar sagen: Der Kuchen wird nicht größer.

Hoffnung für Hausarztpraxen durch neues Gesetz?

Seit 30 Jahren gelten Budgets und Obergrenzen für Behandlungen. Stattdessen soll es jetzt Jahrespauschalen und eine sogenannte Chronikerpauschale geben. Menschen mit chronischen Erkrankungen wären dann zum Beispiel nicht mehr gezwungen, mehrmals im Quartal in die Praxis zu gehen. So sollen Praxen entlastet werden. Für viele Hausärztinnen und Hausärzte im Land ein Schritt in die richtige Richtung.

Angesichts von 5.000 offenen Hausarztsitzen bundesweit und fast 1.000 fehlenden Kolleginnen und Kollegen allein in Baden-Württemberg ist die Entbudgetierung überfällig.

Weniger gut kommt das neue Gesetz mit der Entbudgetierung bei den Krankenkassen an. Nach Berechnungen des Hausärzteverbandes kommen auf die gesetzlichen Krankenkassen zusätzliche Kosten von 434 Millionen Euro im Jahr zu.

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