These hält sich hartnäckig: SARS-CoV-2 sei aus Sicherheitslabor entwichen
265 Millionen Krankheitsfälle und 5,2 Millionen Tote. Seit 2020 hält der Erreger SARS-CoV-2, allgemein Covid-19 oder einfach nur Corona genannt, die Welt fest im Griff. Die Frage jedoch, wann dieses Virus wie in die Welt gekommen ist, ist immer noch nicht geklärt.
Hartnäckig hält sich die These eines Laborunfalls. Sie besagt, dass der Erreger aus einem Sicherheitslabor der Stufe 4 in Wuhan in Zentralchina entwichen sein soll.
Waren USA an Forschungen in Wuhan beteiligt?
Die These ist medizinisch brisant und hochpolitisch – und sie führt, vor allem in den USA, zu heftigen Streitereien. Denn es steht die Behauptung im Raum, dass Amerika die Forschungen in Wuhan mitfinanziert haben soll.
Weiter verschärft wird die Debatte durch eine Gruppe von Virologen und anderen Wissenschaftlern, die sich unter dem Begriff DRASTIC zusammengetan hat, um endlich herauszufinden, wie das Virus in die Welt gekommen ist. Der Name „DRASTIC“ ist ein Akronym, das für „Decentralized Radical Autonomous Search Team Investigating COVID-19“ steht, also „Dezentrales radikal-autonomes Team zur Untersuchung von Covid-19“.
Chinesen verweigern die Herausgabe von Labordaten
Eines der Gründungsmitglieder von DRASTIC ist der russisch-kanadische Wissenschaftler Yury Deigin. Besonders verdächtig ist für Deigin das Verhalten der Chinesen. Eine zunächst öffentlich zugängliche Datenbank mit Labordaten vom Wuhan-Institut für Virologie haben die Behörden im September 2019, also kurz vor dem Covid-19-Ausbruch, plötzlich aus dem Netz genommen. Sie verweigern die Herausgabe der Labordaten bis heute.
Anfang 2021 reiste eine internationale Delegation von 13 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nach Wuhan, um die Umstände vor Ort zu untersuchen. Das vorläufige Untersuchungsergebnis ist bis heute die Position der WHO: Ein Laborunfall als Ursache sei „extrem unwahrscheinlich“.
Die WHO geht in Wuhan von einer Zoonose aus
Stattdessen die Theorie der Zoonose: Irgendwo in Südchina, wo es viele Fledermaushöhlen gibt, hatte ein bislang unbekanntes Tier, vielleicht ein Schuppentier, Kontakt mit einer Fledermaus. Dieses Tier wurde dann von Jägern lebend gefangen und von Händlern nach Wuhan auf den dortigen Wildtiermarkt transportiert. Doch das Tier dieser Theorie wurde bisher nicht gefunden.
Im September 2021 jedoch hat der Fund eines Forschungsteams in Laos unter der Leitung des Pariser Pasteur-Instituts die Theorie der natürlichen Zoonose wieder plausibler gemacht. Die Forscher entdeckten in Fledermaus-Höhlen bei Hufeisennasen-Fledermäusen Viren, die SARS-CoV-2 noch um einiges ähnlicher sind als alle anderen bisher in Tieren gefundenen Viren.
Chinesische und amerikanische Gain-of-Function-Experimente mit Coronaviren
Bei der Forschung im Institut für Virologie in Wuhan hatte es sich häufig um sogenannte Gain-of-Function-Forschung (GOF) gehandelt. Gain of Function, der Zugewinn neuer Eigenschaften, Mutation also – das ist etwas, das bei Viren nicht nur im Labor passiert, sondern in der Natur ständig abläuft. Viren gewinnen unablässig neue Eigenschaften hinzu, indem sie mutieren.
Deshalb sind viele GOF-Experimente nichts anderes als der Versuch, im Labor vorwegzunehmen, was in der Natur ohnehin passieren könnte – um eine Gefahr frühzeitig erkennen und einschätzen zu können. Eben deshalb haben chinesische und amerikanische Wissenschaftler 2019 GOF-Experimente mit Coronaviren gemacht.
Vermeintliche „Killerviren aus dem Labor"
Angefangen mit dem schlechten Ruf von Gain of Function hat alles 2010. Damals war die Sorge in der Fachwelt groß, dass ein besonders infektiöses Vogelgrippe-Virus die Fähigkeit zur Mensch-zu-Mensch-Verbreitung erlangen könnte. Ron Fouchier aus Rotterdam vom Erasmus Medical Center und Yoshihiro Kawaoka von der Universität von Wisconsin, USA, wollten das herausfinden und versuchten im Zuge ihrer GOF-Experimente Viren zu erschaffen, die diese Fähigkeit besaßen.
Daraufhin entbrannte eine heftige Debatte in der internationalen Wissenschaftsgemeinde. Kritiker warfen Ron Fouchier vor, unseriös zu arbeiten. Er erzeuge in seinen Labors „Killerviren“ und „potenzielle Biowaffen“.
Leben wir schon längst im pandemischen Zeitalter?
Doch solange die Menschheit sich immer weiter bis in die letzten unbewohnten Regionen ausbreitet, und zugleich der globale Ausbau von Transportwegen voranschreitet, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen mit neuen Viren in Kontakt kommen und diese sich schnell global verbreiten. Nach Ansicht einiger Fachleute leben wir längst in einem pandemischen Zeitalter.
Ziel von GOF: gefährlichen Viren einen Schritt voraus sein
Auch wenn kritische Stimmen warnen, durch einen Laborunfall könnten Pandemien ausgelöst werden, die es sonst nie geben würde, hält die Mehrheit der Fachleute Gain-of-Function-Forschung für sicher und für wissenschaftlich notwendig – um den gefährlichsten Viren künftig einen Schritt voraus zu sein.