Buchkritik

Steffen Kopetzky – Damenopfer

Stand
Autor/in
Christoph Schröder

Eine schöne Revolutionärin in Afghanistan, ein deutscher Militärstratege, der die Kolonialmacht England zerstören will, und ein riesiges Aufgebot an Schauplätzen und Figuren: Steffen Kopetzky stellt in seinem neuen Roman „Damenopfer“ die Revolutionärin Larissa Reissner zentral, spielt erneut die große Karte aus – und hat damit Erfolg.

Steffen Kopetzky vermag es wie kein anderer deutschsprachiger Gegenwartsautor, akribisch recherchierte historische Fakten mit höchster Unterhaltsamkeit zu verbinden. Er ist fasziniert von der Mechanik der Macht, von den Strategien der Kriegsführung, von den geheimen Operationen, die quasi im Hintergrund die Weltgeschichte bestimmen.

Und er hat ein großes Faible für die klassische Abenteuergeschichte. All diese Elemente kommen auch in Kopetzkys neuem Roman zusammen: Larissa Reissner ist die Protagonistin von Steffen Kopetzkys „Damenopfer“.

Anhand ihrer Lebensgeschichte spielt Kopetzky ein historisches Alternativszenario durch: Der Lauf der Welt hätte ein anderer werden können, wenn in bestimmten Augenblicken die Würfel anders gefallen wären. „Damenopfer“ ist ein ein an Figuren, Erzählsträngen, Details, Anekdoten und Verwicklungen reicher Roman.

Die Bolschewistin Larissa Reissner in Afghanistan

Reissner gab es wirklich. Geboren 1895 als Tochter des deutschstämmigen Juristen Michail Reissner, trat sie 1918 in die bolschewistische Partei ein, heiratete im selben Jahr den sowjetischen Flottenkommandeur Fjodor Raskolnikow und ging mit ihm nach Afghanistan. Von dort aus schrieb sie flammende Reportagen und Artikel, in denen sie unter anderem das Auftreten der Kolonialmacht England anprangerte:

„Wenn London es will, sterben achttausend Kilometer weiter östlich Kinder und alte Leute, die von ihren Schafen leben, denkt sie. Das ist die Weltmacht. Gegen dieses Weltsystem, die nachrichtendienstlichen Verbindungen und diese Logik präziser Waffengewalt muss man vorgehen. Mit dem Niedermayer-Plan – oder was immer das ist, wofür die von ihr entdeckten Aufzeichnungen stehen.“

Auf diesen so genannten Niedermayer-Plan stößt Larissa Reissner in Kabul. Besagter Oskar Niedermayer spielte bereits in Steffen Kopetzkys Roman „Risiko“ eine bedeutende Rolle. Nun, in „Damenopfer“, ist es seine Überlegung, mit Hilfe der afghanischen Bevölkerung Indien von der britischen Herrschaft zu befreien, die Larissa Reissner fasziniert und antreibt. Denn sie will die Revolution, die Befreiung der Unterdrückten weltweit. Diesen Niedermayer, so beschließt sie, müsse sie finden und als Verbündeten gewinnen.

„Damenopfer“ ist ein komplexer, multiperspektivisch erzählter Roman. Der Tag von Reissners Beerdigung ist der Gravitationspunkt, um den herum Steffen Kopetzky eine Vielzahl von Handlungssträngen inszeniert. Als Leser kann man hier manchmal den Überblick verlieren; zugleich aber hat man stets die Gewissheit, dass der Autor seinen voluminösen Stoff fest im Griff hat.

„Damenopfer“ featuring Anna Achmatowa und Ho Chi Minh

Zwischen Moskau, St. Petersburg, Berlin, Leipzig und Wiesbaden springt die Handlung hin und her. Die Dichterin Anna Achmatowa bekommt einen Auftritt, ebenso der damalige vietnamesische Staatspräsident Ho Chi Minh.

Kopetzky geht es um zweierlei: Zum einen setzt sich aus den diversen Perspektiven nach und nach das Porträt einer klugen, selbstbewussten, originellen und tatkräftigen Frau zusammen. Zum anderen aber zeigt der Roman auch, wie Larissa Reissners hochfliegende Pläne in den Mühlen des komplexen Weltgeschehens und der ideologischen und militärischen Frontstellungen zerrieben werden.

Das zentrale und mit knapp 100 Seiten auch längste Kapitel des Romans spielt im Dezember 1923 in Berlin. Gemeinsam mit dem Rote-Armee-General Tuschatschewski besucht Reissner eine mondäne Party am Berliner Wannsee, auf der sie auf den Abenteurer Oskar Niedermayer zu treffen hofft:

„Mitten durch den abendlichen, einstmals sumpfigen Grunewald fuhren sie nun, an hell erleuchteten Villen berühmter Zeitgenossen vorbei, errichtet in der Zeit kurz vor dem Krieg. Jede davon ein Beleg für die vor Kraft strotzende deutsche Elite mit ihren Industriekapitänen und Bankiers, von denen es offenbar so viele gab, dass sie einen ganzen riesigen Sumpfwald für sich alleine besiedeln konnten.“

Dieses großartig geschriebene Kapitel ist tatsächlich ein Glanzstück. Es ist unterhaltsam und komisch; es spiegelt den Geist der aufregenden und aufgeregten Zwischenkriegszeit in den persönlichen Eitelkeiten der Partygäste; in den Gesprächen, Salonplaudereien, Disputen.

Es gelingt Kopetzky auch in „Damenopfer“, die Weltgeschichte und deren komplexe Zusammenhänge in Figuren zu fassen und als großes Abenteuer zu inszenieren. Dabei bewegt er sich kalkuliert haarscharf am Rand der Kolportage, beispielsweise, wenn er dem Revolutionärstrio Niedermayer, Reissner und Tuschatschewski en passant eine sexuelle Dreiecksbeziehung andichtet.

Achtung: Melancholischer Abgesang auf revolutionäre Träume!

Trotzdem: Kopetzky weiß, was er tut. „Damenopfer“ ist, anders als der vorangegangene Pocken-Roman „Monschau“, kein süffiger Pageturner. Der Roman verlangt, sowohl aufgrund seiner Erzählweise als auch wegen der vielen russischen Namen, erhöhte Konzentration.

Die Aufmerksamkeit allerdings ist keineswegs verschwendet, weil „Damenopfer“ sich bei aller dem Stoff geschuldeten Aufsplitterung gegen Ende zu einem melancholischen Abgesang auf revolutionäre Träume verdichtet:

„Larissa erlangte nur kurz noch einmal das Bewusstsein. Den Stift, den sie bis dahin in den Händen gehalten hatte, ließ sie fallen. Mit großen Augen blickte sie in den Raum. Alle versammelten sich um ihr Bett.
‚Jetzt verstehe ich erst, in welcher Gefahr ich bin.’

Das war Larissa Reissners letzter Satz.“

Das Damenopfer, das dem Roman den Titel gibt, ist eine geschickt aufgebaute Falle beim Schachspiel, in dem die wertvollste Spielfigur als Köder platziert wird, um den Gegner in seiner Siegesgewissheit zu unüberlegten Handlungen zu provozieren. Mit dieser Taktik stopft Larissa Reissner auf der Wannsee-Party einem russischen Großmaul das selbige.

Doch selbstverständlich ist der Titel auch symbolisch zu verstehen: Larissa Reissner starb im Februar 1926 im Alter von 30 Jahren an Typhus. Steffen Kopetzky hat eine Heldinnenfigur aufgebaut, die stets mit aller Rücksichtslosigkeit gegens sich selbst agiert hat. Eine Idealistin, ohne Frage, aber eben auch ein Opfer ihrer Ideologie.

Buchkritik Steffen Kopetzky - Monschau

Steffen Kopetzky ist auf Kriegsromane spezialisiert – jetzt hat er ein Buch über den Krieg gegen die Pockenviren geschrieben, die tatsächlich zum letzten Mal 1962 in Deutschland ausgebrochen sind. | Rowohlt Verlag, 352 Seiten, 22 Euro | ISBN 978-3-7371-0112-7

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