Die Stadt aus der Vogelperspektive. Höckerschwäne in Hamburg, eine alte Dame und die Mauersegler in Weimar, starke Amseln in Bamberg, Nilgänse in Frankfurt: Die Vogelwelt in den Städten verändert sich. Menschen vernichten nicht nur draußen auf dem Land Lebensräume. Andererseits schaffen sie andernorts neue. Wie unter einem Brennglas lässt sich in Städten beobachten, was es bedeutet, dass der Mensch den Lebensraum für andere Organismen formt. Die Biologin und Journalistin Caroline Ring beobachtet das am Leben der Vögel.
Die Tiere ziehen dorthin, wo die Menschen sind, da gibt es Nahrung
Wenn wir an Tiere denken, denken wir meistens an Feld, Wald und Wiese. Vielleicht denken wir auch noch an Dörfer. Als letztes aber an die Stadt. Dabei verändert sich der Tierbestand in den Städten seit Jahren deutlich. Die Artenvielfalt in der Stadt wird immer größer. Darüber hat schon der berühmte Zoologe, Evolutionsbiologe und Ökologe Josef H. Reichholf in seinen Büchern kundig geschrieben. Die Tiere ziehen dorthin, wo die Menschen sind, da gibt es Nahrung.
Auch Caroline Ring ist Evolutionsbiologin. Zuletzt hat sie ein Buch darüber geschrieben, „Was Bäume in Städten erzählen“. Ihr neustes Werk heißt „Wanderer zwischen den Welten“ und trägt den Untertitel: „Was Vögel in Städten erzählen“. Es hätte aber auch heißen können: Wie Städte mit ihren Vögeln umgehen. Denn darum geht es eigentlich. Und darum, was es bedeutet, wenn eine Stadt es gut meint mit ihren Schwänen, wie Hamburg, oder wie Hildesheim mit den Eulen. Und darum, was passiert, wenn sich nur noch zwei Menschen in einer Stadt um die Spatzenkolonien sorgen, wie in München.
Die Autorin spaziert in zwölf deutschen Städten jeweils einer Vogelart wortwörtlich hinterher
Caroline Ring hat ihr Buch so geschrieben, dass es uns alle angeht, wenn wir uns nur ein bisschen für die Natur interessieren. Und sie hat es so gemacht, dass wir dabei sind, bei all dem, was sie erlebt, wenn sie in zwölf deutschen Städten jeweils einer Vogelart, die dort aus unterschiedlichen Gründen ein auffälliges Leben führt, wortwörtlich hinterher spaziert. Bei all dem spürt man die kundige Evolutionsbiologin, aber liest auch ihre große Freude am Nature Writing, das sie hervorragend beherrscht.
Das Lieblingskapitel der Rezensentin handelt von den Uhus im Hildesheimer Dom. Den Eulen also, Vögeln, die man selten zu Gesicht bekommt, weil sie vor allem nachtaktiv sind, die man aber sehr gerne mal sehen würde.
"In der Antike wurden Eulen »menschenköpfige Vögel« genannt. Aus ihren flächigen Gesichtern schauen beide Augen gerade nach vorn. Es fällt leicht, in so ein Antlitz menschenähnliche Züge hineinzuinterpretieren. Doch das Aussehen mag uns zwar vertraut erscheinen, die Anatomie hinter den Gesichtern ist es nicht. Eulen sind unheimlich gut ausgestattet für ein Leben in der Dunkelheit. Ihre Augäpfel sind nicht kugelförmig, sondern in die Länge gezogen. Im Kopf nehmen sie fast so viel Platz ein wie das Gehirn. In die großen Pupillen kann dadurch viel von dem wenigen Licht einfallen, das es in der Nacht noch gibt. Weil ihre Augen dadurch starr sind, können Eulen ihren Blick nicht wandern lassen. Sie müssen jedes Mal den ganzen Kopf drehen."
(Aus Caroline Ring: Wanderer zwischen den Welten)
Nicht nur, dass Ring in ihrer unaufgeregten, genauen, schönen Sprache von den Vögeln erzählt, ganz beiläufig erzählt sie auch kundig über das, was die jeweilige Spezies ausmacht, was sie kann und ihr eigen ist.
Caroline Ring gelingt es, so spannend zu erzählen, dass wir dabei bleiben wollen, dass wir zu Eulenliebhaber:innen, Schwäneretter:innen werden. Dass wir uns nochmals fragen, ob wir Tauben wirklich so unangenehm finden? Oder dass wir unbedingt mal früh aufstehen möchten, wenn wir in Berlin sind, um den Weg raus aus der Stadt zu machen, um dort der Nachtigall zu folgen.
Ring schreibt über Vögel so, dass man ihnen nahekommt
Ring schreibt über Vögel, wie gute Romanautor:innen über ihre Protagonisten. So dass man ihnen nahekommt und am Ende unbedingt allen Nachbarn und Städteplanern sagen möchte:
"Städte müssen sich nicht zwangsläufig zu naturfeindlichen Räumen entwickeln. Wir alle können einen Beitrag dazu leisten, dass sich Tiere und Pflanzen auch in einem dicht besiedelten, urbanen Umfeld wohlfühlen. Das fängt bei Parks und Grünanlagen an, die einfach ein bisschen weniger gepflegt sein müssten, als es der menschliche Sinn für Ordnung verlangt. Das betrifft Architekten, die mit wenig Aufwand Nistkästen bei der Planung von Gebäuden berücksichtigen könnten. (…) Aber eigentlich können alle Menschen, die in Städten leben, etwas tun. Auf Balkone, in Gärten und auf Fensterbretter gestellte insektenfreundliche Pflanzen bieten indirekt auch den Vögeln Nahrung."
(Aus Caroline Ring: Wanderer zwischen den Welten)
Dies ist deshalb eine unbedingte Leseempfehlung für alle, die städtisch wohnen aber naturnah denken; die Freunde überzeugen wollen, dass sie ihren Balkon begrünen oder anstatt aufs Handy mal in die Luft kucken und genau hinhören mögen, was da so fliegt und tschilpt. Jede Menge Schönheit.