Ulrike Meinhof war eine schillernde Figur in der Medienlandschaft der 1960er-Jahre. Sie schrieb eine Kolumne für die Zeitschrift „Konkret“, mit deren Chefredakteur Klaus Röhl sie verheiratet war. Und sie war Namensgeberin der „Baader-Meinhof-Bande“.
Tod durch Strangulation in der JVA Stuttgart-Stammheim
Es ist Sonntag, der 09. Mai 1976, 7:34 Uhr. Ein Vollzugsbeamter öffnet die Zelle 719 in der JVA Stuttgart Stammheim. Ulrike Meinhof hängt leblos am Fenstergitter. Sechs Minuten später diagnostiziert ein Gefängnisarzt Tod durch Strangulation.
Traugott Bender, der damalige baden-württembergische Justizminister, wird bereits wenige Stunden später erklären: „Nach unseren bisherigen Feststellungen wurde Ulrike Meinhof gestern Abend gegen 22:00 Uhr zuletzt lebend gesehen und bis gegen 22:30 Uhr hörte man Geräusche aus der Zelle. Noch heute Vormittag wurde die Leiche zur richterlichen Leichenöffnung verbracht. Anhaltspunkte für ein Einwirken dritter Personen sind nicht zu erkennen.“
Selbstmord oder Mord?
Selbstmord also! So die schnelle – für viele zu schnelle – offizielle Version. Oder doch Mord? Davon überzeugt wird die Sympathisanten-Szene noch Jahre später sein.
Schließlich gab es keinen Abschiedsbrief. Ulrike Meinhof soll ihrer Schwester gesagt haben, Selbstmord komme für sie überhaupt nicht in Frage. Sollte es eine solche Nachricht geben, dann sei es in Wirklichkeit Mord. Aber hatte sie nicht auch in einem Zellen-Rundbrief geschrieben, dass Selbstmord der letzte Akt der Rebellion sei?
Ulrike Meinhof war angeblich zunehmend isoliert, es gäbe Konflikte zwischen ihr und Gudrun Ensslin. Sie habe ihren Weg als Irrweg erkannt, so sahen nicht wenige die Situation Ulrike Meinhofs in der Zeit kurz vor ihrem Selbstmord.
Archivradio: Andreas Baader kritisiert das Gerichtsverfahren im Stammheim-Prozess
Die Todesmeldung sorgt für Jubel, der RAF-Prozess geht weiter
Während manche über den Tod Meinhofs jubelten und Glückwunsch-Anzeigen in Zeitungen anstandslos abgedruckt wurden, ging in Stammheim der RAF-Prozess weiter. Die Angehörigen suchten unterdessen in Westberlin einen Friedhof, was schwierig war.
Reinhard Krol war damals einer der Gerichtsreporter des Süddeutschen Rundfunks. Sein Bericht am ersten Verhandlungstag nach dem Selbstmord von Ulrike Meinhofs: „So ging Carl Jan Raspe noch einmal auf die Gerüchte von Spannungen innerhalb der Gruppe ein. Er sagte wörtlich: ‚Ich kenne die Beziehungen zwischen Ulrike und Andreas seit sieben Jahren. Sie waren bestimmt durch Intensität und Zärtlichkeit. Dass es keine Spannungen gegeben habe, weisen die Aufschriebe von Ulrike Meinhof bis zu ihrem Tode.‘ Auf den Vorwurf, der Tod von Frau Meinhof sei eine kalt geplante Hinrichtung, wurde ihm dann vom Vorsitzenden das Wort entzogen.“
So manches im Leben Ulrike Meinhofs wollte nicht zusammenpassen
Ihr Ende ist bekannt, aber sie begann als christliche Pazifistin. Was hat den Bruch verursacht? Eine nachdenkliche Meinhof sagte: Hätte man gewusst, dass bei der Baader-Befreiung ein Unbeteiligter angeschossen würde, dann hätte diese Aktion nicht stattgefunden. Dem entgegen steht ihr berüchtigter Satz:
Einst war sie die hoch gelobte „Konkret“ -Kolumnistin, Teil der Hamburger und Sylter Links-Schickeria. Dann kam die Erkenntnis, dass sich das System Kolumnisten leiste, ohnmächtige Einzelne, damit aus der Theorie keine Praxis werde. Folgerichtig war in Meinhofs Logik der Schritt von der Vergeblichkeit des geschriebenen Wortes hin zur befreienden Tat.
Die radikale Linke stilisiert Ulrike Meinhof zur Märtyrerin
Ulrike Meinhof: die Intellektuelle, die Meisterin des Wortes. Ulrike Meinhof: die Aktivistin, die Befürworterin von Gewalt. Sie war Projektionsfläche für viele.
Manche sahen sie in der Nähe von Rosa Luxemburg, anderen galt sie als „Heilige Johanna“. Sie wurde in „der europäischen Gewaltszene“ zur „Märtyrerin“, aber auch zur „Ikone der undogmatischen Linken“. Die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek widmete ihr mit „Ulrike Maria Stuart“ gar ein Theaterstück, was von Kritikern als „heiterer Abgesang auf die radikale Linke“ interpretiert wurde. Wieder andere bedauerten den „gefallenen Engel“.
Mit der nötigen Distanz hat es die Londoner „Times“ vielleicht am besten auf den Punkt gebracht: „Das Ende eines vertanen Lebens ist immer traurig.“
Der Stammheim-Prozess
18.10.1977 Ende des Geiseldramas in Mogadischu – Selbstmorde in Stammheim
18.10.1977 | RAF | Die "Landshut" ist befreit, die in Stammheim inhaftierten Terroristen sind tot. Das Schicksal von Arbeitgeberpräsident Schleyer: Noch ungewiss. Das ist die Situation am Nachmittag des 18.10.1977. Der folgende Mitschnitt beginnt mitten in den 17-Uhr-Südwestfunk-Nachrichten mit Wetterbericht und geht dann in eine einstündige Dokumentation über. Diese besteht aus 13 Elementen, die von Ursula Schaffeld und Bernhard Hermann moderiert werden. Hermann stellt zu Beginn fest. "Es jagen sich jetzt noch die Meldungen. Telefone und Fernschreiber stehen nicht still." Weitere Audios und Hintergründe: http://swr.li/deutscher-herbst
Die RAF und der Deutsche Herbst 1977
1.6.1972 Verhaftung der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe
1.6.1972 | Hunderte Schüsse sollen gefallen sein, als am 1. Juni 1972 die Polizei im Frankfurter Nordend drei Mitglieder aus dem harten Kern der "Roten Armee Fraktion" festnahm: Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe. In den Wochen zuvor hatte die Terrorgruppe eine Reihe von Anschlägen verübt.
Baader saß 1970 schon einmal im Gefängnis, war aber mithilfe der Journalistin Ulrike Meinhof befreit worden und hielt sich seitdem im Untergrund auf bzw. zusammen mit anderen Angehörigen der Terrorgruppe in Jordanien, wo sie wiederum bei palästinensischen Terroristen Waffentraining bekamen. Zurück in der Bundesrepublik verüben sie 1972 zahlreiche Bombenanschläge – auf das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Frankfurt und Heidelberg, auf Polizeistationen, auf die Zentrale des Axel-Springer-Verlags in Hamburg.
Welche Bedeutung die Festnahme von Baader, Meins und Raspe hat, zeigt sich auch darin, wie ausführlich die Nachrichten des Südwestfunks und die unmittelbar anschließende Sondersendung darauf eingehen. Sie unterstützen auch die weiteren Fahndungsaufrufe der Polizei.
19.6.1972 Bundesanwaltschaft zur Verhaftung von Ulrike Meinhof
19.6.1972 | Ulrike Meinhof wurde heute verhaftet. Die Staatsanwaltschaft grübelt über einem verschlüsselten Brief von Gudrun Ensslin an Ulrike Meinhof. | RAF
11. bis 15.11.1974 RAF-Terrorist Holger Meins stirbt im Gefängnis – Kritik an Ärzten
11. bis 15.11.1974 | Der RAF-Terrorist Holger Meins stirbt am 9. November 1974 als Folge seines Hungerstreiks im Gefängnis im rheinland-pfälzischen Wittlich. Als Reaktion darauf ermordet die sogenannte "Bewegung 2. Juni" den Präsidenten des Berliner Kammergerichts, Günter von Drenkmann. Bis heute konnten die Täter nicht ermittelt werden. Beide Ereignisse werfen Fragen auf. Vor allem auch in Stuttgart, wo der Prozess gegen die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Carmen Roll bevorsteht, die sich dort im Gefängnis Stammheim befinden.
16.12.1974 Bundespräsident Heinemann schreibt Ulrike Meinhof einen Brief
16.12.1974 | Bundespräsident Gustav Heinemann, der Meinhof von früher kennt, appelliert an die inhaftierte RAF-Terroristin, ihren Hungerstreik zu beenden.
Die Öffentlichkeit erfährt von diesem Brief erst fünf Tage später – im folgenden Bericht vom 16. Dezember 1974 wird der Brief vorgelesen, vorher ist noch der Schriftsteller Heinrich Böll zu hören, der von einem Wahnsinn spricht, der in Deutschland vor sich gehe und den politischen Umgang mit der RAF kritisiert.
Der Brief des Bundespräsidenten an Ulrike Meinhof, die er kennt, seit er sie einmal als Anwalt in einem Beleidigungsverfahren verteidigt hat, wird von einem Rundfunksprecher verlesen. Er beginnt mit "Sehr geehrte Frau Meinhof" und geht dann auf den Hungerstreik ein. "Sie kommen an die Grenzen Ihres Lebens."
Selbstopferung hält Heinemann für einen Irrtum. Ulrike Meinhof erschwere damit die Arbeit anderer, die sich um Besserung der Verhältnisse bemühen. Heinemann meint, er habe ihren Weg mit Aufmerksamkeit verfolgt und schließt mit den Worten: "Bitte nehmen Sie sich die Freiheit und beenden den Hungerstreik."
3.3.1975 Entführung von Peter Lorenz
3.3.1975 | Peter Lorenz, Spitzenkandidat der CDU für das Amt des Regierenden Bürgermeisters in Berlin, war von Mitgliedern der RAF entführt worden. Die "Bewegung 2. Juni" forderte die Freilassung von RAF-Häftlingen. Alle vier Partien kamen binnen weniger Tage zum Konsens, darauf einzugehen. Der Name der "Bewegung 2. Juni" bezieht sich auf das Datum des Todes von von Benno Ohnesorg. Er war am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration in West-Berlin von einem Polizisten erschossen worden. | RAF
24.4.1975 Geiselnahme: Überfall auf deutsche Botschaft in Stockholm
24.4.1975 | Die fast eineinhalbstündige Livesendung beginnt 14 Stunden nach Beginn der Geiselnahme, als sich die Lage in Stockholm zuspitzt, und endet mit der Bergung der Geiseln und einer schwächer brennenden Botschaft, aus der heraus noch geschossen wird. Wesentliche Elemente werden durch ein Live-Telefongespräch mit dem Reporter vor Ort geliefert. | RAF
21.5.1975 Der Baader-Meinhof-Prozess beginnt in Stuttgart-Stammheim
21.5.1975 | Stuttgart-Stammheim. Beginn des Prozesses gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.
Sicherheitskontrollen wie noch nie bei einem bundesdeutschen Gerichtsverfahren. Ansonsten: Eine Angeklagte, die im Gerichtssaal raucht. Drei Rechtsanwälte, darunter Hans-Christian Ströbele, die durch einen Trick ihrem Gerichtsausschluss entgehen wollten. Und im Luftraum über Stammheim taucht auch noch ein verdächtiges Sportflugzeug auf.
Das war der Stand der Dinge in der Mittagsausgabe von SDR1 Aktuell. Am Nachmittag gab es schon eine Weiterentwicklung – dann war auch klar, was es mit dem Sportflugzeug auf sich hatte.
28.10.1975 Stammheim-Prozess: Jan-Carl Raspe zu den Haftbedingungen
28.10.1975 | Der Angeklagte Jan-Carl Raspe kritisiert während der Verhandlung am 28. Oktober 1975 die Isolationshaft. | RAF
4.5.1976 Baader kritisiert Stammheim-Prozess, Schily fordert Nixon als Zeuge
4.5.1976 | Der Stuttgarter Stammheim-Prozess gegen die Mitglieder der RAF zieht sich hin. Der Angeklagte Andreas Baader wirft dem Gericht vor, dass der Prozess aus wahlkampftaktischen Gründen künstlich in die Länge gezogen werde. Baader sieht das Gerichtsverfahren letztlich als Spiegelbild der globalen Machtverhältnisse.
10.5.1976 Neue Erkenntnisse nach dem Tod von Ulrike Meinhof
10.5.1976 | Einen Tag nach dem Tod von Ulrike Meinhof gibt es Streit über die Obduktion und die Informationspolitik der Justizbehörde. In Frankfurt finden gewalttätige Sympathiekundgebungen statt. | RAF
10.1.1977 Otto Schily erhebt Beschwerde gegen Haftbedingungen für RAF-Mitglieder
10.1.1977 | Otto Schily, Verteidiger von Gudrun Ensslin, erhebt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Bundesrichter Albrecht Mayer. Begründung: Verdacht auf geheime Absprachen zwischen den Richtern sowie Weitergabe von Prozessakten an Journalisten. Noch am selben Tag wird Albrecht Mayer versetzt. | RAF
6.9.1977 Attentat auf Hanns Martin Schleyer: Augenzeugenbericht
6.9.1977 | Ein Augenzeuge schildert die Ereignisse nach dem Anschlag auf den Arbeitgeberpräsidenten: Böllerschüsse, Pulvergeruch und fürchterliche Schreie. | RAF
7.9.1977 Durchsagen des BKA zur Entführung von Hanns Martin Schleyer
7.9.1977 | Das Bundeskriminalamt wendet sich über die ARD und das ZDF an die Entführer von Hanns Martin Schleyer und geht eingeschränkt auf Forderungen ein. | RAF