Otto Schily, Verteidiger von Gudrun Ensslin, erhebt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Bundesrichter Albrecht Mayer. Begründung: Verdacht auf geheime Absprachen zwischen den Richtern sowie Weitergabe von Prozessakten an Journalisten. Noch am selben Tag wird Albrecht Mayer versetzt.
Die Entwicklungen im Stammheimer Prozess hält der Moderator für „schwerwiegend“. Verteidiger Otto Schily unterstellt, dass zwischen dem Oberlandesgericht, wo der Prozess stattfindet, und dem Bundesgerichtshof Absprachen stattfanden. Angeblich habe zudem Bundesrichter Albrecht Meyer Journalisten der Zeitung „Die Welt“ Material aus den Prozessakten zugespielt.
Im Studiogespräch wird das, wenn es denn wahr sei, als „ungeheuerlich“ bezeichnet. Schily, im O-Ton, fasst die Dinge sehr sachlich zusammen: Er vermute ein mögliches Zusammenspiel zwischen einem Richter in Stammheim und Bundesrichter Mayer. Es verstehe es sich von selbst, dass das aufgeklärt werden müsse. Der Grundsatz des „Fair Trial“ sei hier möglicher Weise beeinträchtigt.
Der Reporter aus Karlsruhe schildert, dass die Aktion von Schily in Karlsruhe überraschend angekommen sei. Verschärfend komme hinzu, dass Mayers Brief an den „Welt-Chefredakteur Herbert Kremp heute in einer Tageszeitung abgedruckt sei.
Diese Entwicklung schlage sich auch direkt im Prozess nieder, in Form des 78. Befangenheitsantrags gegen Richter Prinzing, dem laut Schily „der Schutz der Angeklagten gleichgültig“ sei. Nach diesem Antrag sei das Verfahren bis vorerst 15 Uhr unterbrochen worden.
Albrecht Mayer wird versetzt
Otto Schilys Beschwerde hat Erfolg. Noch am selben Tag wird Mayer versetzt - dies wiederum ist Thema der Nachmittagsausgabe von Südfunk Aktuell. Zu hören im zweiten Teil des Audios.
Aus der Archivdatenbank
(O-Ton) Otto Schily, Rechtsanwalt im Prozess um Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe, anlässlich der von ihm gestellten Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Albrecht Mayer, Bundesrichter am Bundesverfassungsgericht, und dem 78. Befangenheitsantrag: Der Befangenheitsantrag betrifft den Richter, der Aktenteile an einen Journalisten [Herbert Kremp Chefredakteur der 'Welt'] übersandt haben soll / Vermutet ein Zusammenspiel mit einem Richter des Zweiten Strafsenats in Stuttgart / Sieht den Grundsatz des "fair trial" beeinträchtigt //
Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Staatsarchiv Ludwigsburg
Sendung: Südfunk aktuell
Moderator: Winfried Roesner
Reporter: Heiner Krauss und Erhard Becker
Archiv des SWR
21.5.1975 Der Baader-Meinhof-Prozess beginnt in Stuttgart-Stammheim
21.5.1975 | Stuttgart-Stammheim. Beginn des Prozesses gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.
Sicherheitskontrollen wie noch nie bei einem bundesdeutschen Gerichtsverfahren. Ansonsten: Eine Angeklagte, die im Gerichtssaal raucht. Drei Rechtsanwälte, darunter Hans-Christian Ströbele, die durch einen Trick ihrem Gerichtsausschluss entgehen wollten. Und im Luftraum über Stammheim taucht auch noch ein verdächtiges Sportflugzeug auf.
Das war der Stand der Dinge in der Mittagsausgabe von SDR1 Aktuell. Am Nachmittag gab es schon eine Weiterentwicklung – dann war auch klar, was es mit dem Sportflugzeug auf sich hatte.
4.5.1976 Baader kritisiert Stammheim-Prozess, Schily fordert Nixon als Zeuge
4.5.1976 | Der Stuttgarter Stammheim-Prozess gegen die Mitglieder der RAF zieht sich hin. Der Angeklagte Andreas Baader wirft dem Gericht vor, dass der Prozess aus wahlkampftaktischen Gründen künstlich in die Länge gezogen werde. Baader sieht das Gerichtsverfahren letztlich als Spiegelbild der globalen Machtverhältnisse.