Nahtoderfahrung: So fühlt sich Sterben an

Stand

Von Autor/in Stefanie Meinecke

"Es war ein außerkörperliches Bewusstein jenseits von Raum und Zeit." So beschreibt Christine aus Ulm ihre Nahtoderfahrung. Wie dieses Erlebnis ihr Leben und das Verhältnis zum Sterben verändert hat, verrät sie im SWR1 Neuanfang.

Christine Brekenfeld aus Ulm ist hochschwanger, als sich ihre Plazenta ablöst. Die Blutung ist so stark, das Christine daran fast stirbt. Mehr als 20 Jahre später noch erzählt sie, dass dieses Nahtoderlebnis sie persönlich und spirituell bereichert hat.

Alle Angst war plötzlich weg. Es wurde ganz ruhig und ganz still. Es war so als würde die Zeit stillstehen, als gäbe es keine Vergangenheit mehr und keine Zukunft. Und es war auch ein Gefühl von "Ist alles gut" - etwas ganz Ruhiges, Stilles, das mich erfasste.

Nahtoderfahrung prägt ihr Leben und den Blick aufs Sterben

Seit ihrer Nahtoderfahrung geht Christine viel bewusster durch die Welt, lebt und liebt intensiver und verrät, dass die Angst aus ihrem Alltag komplett verschwunden ist: die Angst vor dem Sterben genauso wie die Angst vor dem Leben.  

Da hat sich wirklich was verändert - dass ich absolutes Vertrauen ins Leben habe und keine Angst mehr. Keine Angst mehr vor den Dingen, die das Leben bringt; dass ich offen bin für alles. Vorher war ich enger. Es ist eher so, dass ich das Gefühl hab', es hat mich auf eine völlig neue Lebensspur gebracht  und jetzt lebe ich erst richtig.

Christine wohnt und arbeitet nur einen kleinen Spaziergang entfernt vom Ulmer Münster, im malerischen Fischerviertel. Viel Historie, viel Fachwerk und ganz viel Wasser. Wasser, sagt Christine, ist eine Kraftquelle für sie – auch die Donau,  gleich um die Ecke: "alles im Fluss", lächelt die heute 57-Jährige. 

Nach Begegnung mit dem Tod: Ausbildung zur Traumatherapeutin

Christine hat sich zur Traumatherapeutin ausbilden lassen - sie konnte damals nicht einfach so weiter machen, als wäre nichts gewesen: "persönlich nicht und beruflich auch nicht". Also raus aus der festen Stelle an einer Berliner Uni und rein in die selbstständige, therapeutische Arbeit mit Menschen.  

Ich hab keine Angst davor, zu sterben und das macht was ganz Wunderbares: dass ich keine Angst mehr hab' vor dem Leben. Das hab ich jetzt wieder beim Umzug nach Ulm gemerkt, wo alle gesagt haben: "Oh Gott, Du kannst doch nicht Deine gut gehende Praxis in Berlin aufgeben … und nach Ulm … und Du weißt ja gar nicht, wie das läuft!" Sag ich: Stimmt! Aber ich mach das jetzt und dann werd' ich sehen...

Seit dem Nahtoderlebnis: kein Wälzen von Sorgen und Ängsten mehr  

Geändert hat sich auch ihre Einstellung - materialistisch sei sie gewesen. Die Partnerschaft, der Job, die Wohnung - sie habe geglaubt, alles im Griff zu haben. Fast 40 Jahre lang ist Christines Lebenskonzept aufgegangen. Effizient und schon auch eindimensional, sagt sie. Bis zu diesem 12. Juli im Jahr 2004, als sich ihre Plazenta ablöste.   

Ich hab mich gefühlt wie auf einer hohen Klippe: am Rand zu stehen und dieser Rand bröckelt - und zu wissen "o.k., ich stürze jetzt vollkommen ab". Und es gab was in mir, das sich dem widersetzt hat.

Es gelingt Christine noch, am Telefon einen Notruf abzusetzen. Rettungssanitäter rücken an, die Feuerwehr, ein Notarzt. Da habe sie immer noch geglaubt, dass sie alles kontrollieren und die Katastrophe aufhalten kann. Aber dann kommt der Moment, in dem sie merkt, dass das nicht geht.

Fühlt sich so Sterben an? Der Weg ins Jenseits?

Das war der Moment, wo mein Bewusstsein über den Körper hinausgeschossen ist. Ich war nicht mehr in meinem Körper, ich war plötzlich draußen. Ich hatte das Gefühl, ich nehme plötzlich den ganzen Raum ein. Ich bin überall.

Ihren Körper hat sie von außen gesehen, wie er in die Klinik transportiert wurde. Sie hört sogar, dass jemand sagt, dass es keine Herztöne vom Kind der Schwangeren mehr gebe. Alles sei ganz friedlich gewesen, sie habe immer das Gefühl gehabt, "es ist alles gut".

Mit einer Notoperation können die Ärzte Christine retten. Ihr Baby hat nicht überlebt. Bis heute empfindet sie ihren Sohn Frederik als Wegbegleiter. Ins Hier und Jetzt ist sie ohne seine körperliche Nähe zurückgekehrt – und das war ganz schön schwer und widersprüchlich, sagt Christine.

Wissenschaftler: Erfahrungsberichte vom Nahtod ähneln sich

Etwa drei Millionen Menschen in Deutschland berichten von ähnlichen Nahtoderfahrungen: Das Verlassen des Körpers, Farb- und Lichterscheinungen, Begegnung mit göttlichen Wesen oder Verstorbenen. Christine hatte solche  Begegnungen nicht. Aber auch sie erzählt von einem faszinierenden Licht - dunkel-orange und golden - und, dass sie sich unendlich frei und geborgen zugleich gefühlt hat.    

"Wir sollten über Leben und Tod neu nachdenken", regen Mediziner an, die zu Nahtoderfahrungen forschen. Der niederländische Kardiologe Pim van Lommel beispielsweise ist überzeugt, dass menschliches Bewusstsein nicht zwangsläufig an einen funktionierenden Körper oder gar zentral an das Gehirn gebunden ist. 

Die Mehrheit der Wissenschaftler sieht das aber anders: Das sterbende Gehirn - so deren Erklärung - schenkt seinem Besitzer zum Abschied noch einmal phantastische Erlebnisse. Ein Feuerwerk, produziert unter Sauerstoffmangel.     

Begegnung mit dem Sterben hat Christine verändert

In das "Ja, aber" der Wissenschaftler mag sich Christine nicht groß einmischen. Für sie ist die Nahtoderfahrung ein Gewinn. Sie konnte  sich persönlich und spirituell entwickeln, sagt sie, ist neugierig geworden - und geblieben: auf das, was hinter der Grenze unserer erlernten Wahrnehmung noch alles liegen könnte.   

Das hat ihr geholfen, unaufgeregt auf diese Nahtoderfahrung zu schauen – eine Befreiung. Und vielleicht der erste Schritt hin zu ihrem neuen Beruf - ihrer Berufung - Menschen zu stärken: als Traumatherapeutin und als spirituelle Begleiterin.  

Mir ist wichtig, eine Einladung an die Menschen zu geben: "Beschäftigt Euch mit dem Ende des Lebens, mit dem Tod". Zu schauen, was kann ich eigentlich gewinnen für mein Leben, wenn ich weiß, es ist nicht ewig.

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