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Hagen: 1638 Tage als Soldat im Einsatz – Weiterleben mit dem Kriegstrauma

Stand
Autor/in
Stefanie Meinecke
Stefanie Meinecke aus dem SWR1 Team
Onlinefassung
Jörg Witzsch
Redakteur Jörg Witzsch aus dem SWR1 Team behält den Überblick in der SWR1 Online-Redaktion.

Hagen aus einem Dorf bei Ehingen war als Bundeswehr-Soldat an den Krisenorten der Welt. Offen beschreibt er das PTBS Trauma seiner Einsätze im Krieg und seine langwierige Therapie.

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Hagen Vockerodt war "Combat- Medic" (Kampf-Sanitäter) bei den Fallschirmjägern der Bundeswehr: Kosovo, Bosnien, Banda Aceh, Afghanistan. Er hat Krieg, Terror und Katastrophen hautnah miterlebt. Hagen weiß, wie man Leben rettet und: wie man es auslöscht. Er hat immer perfekt funktioniert. Mutig, treu, zu allem bereit und die Angst lange weggedrückt, bis er dann endlich in Therapie ging, um sich seiner Posttraumatischen Belastungsstörung zu stellen.

Kriegstrauma - wenn die Angst dich plötzlich einholt

Immer wieder hat Hagen lebensgefährliche Situationen überlebt, hat nie daran gedacht, dass von einer Sekunde auf die andere alles vorbei sein kann. Irgendwann, sagt er, denkt man: "Mir passiert eh nichts und ich hab so viele Schutzengel". Bis zu dem Tag, als Hagen im Gefecht in Afghanistan einen Schuss auf seine Weste abbekommt ...

Gefühlt bin ich 20 Meter nach hinten geflogen. Mein ganzes Gesicht war voll mit Blut. Ich dachte: Wo bin ich getroffen? Dann war das aber das Blut von einem, der links neben mir stand. Weil: Arterie, da kommt es halt doll raus. Alles versucht, die [Verletzten] wieder ins Leben zu holen, aber da hat man halt keine Chance. Und dann braucht man noch zwei Tage, und dann realisiert man es. Und dann war ich nicht mehr wie früher. Ich hab nicht mehr funktioniert. Früher hatte ich es verdrängt. Und jetzt: Ich hatte vor allem Angst. 

PTBS - Posttraumatische Belastungsstörung mit Flashbacks

Das ist das Schlimme: Das ist so eine verschobene Realität. Man denkt 'ich bin doch kein Kloppi, ich hab doch keinen Vollschuss, ich bin doch kein Psycho'. Und das muss man irgendwann lernen, zu akzeptieren. Und wenn man es akzeptiert hat, dann kann die Heilung beginnen.

Hagen ist aus seinen 1638 Tagen Krieg mit einer "Posttraumatischen Belastungsstörung" (PTBS) zurückkehrt. Immer wieder erlebt Hagen Flashbacks. Der Alltag ist voller Trigger, Geräusche zum Beispiel. Er hört dann  auf einmal die Panzerfaust, die ein Taliban auf ihn abfeuert, sitzt wieder in dem Hubschrauber, der abstürzt oder erlebt, wie der Afghane, den er selbst ausgebildet hat, auf ihn und die beiden Kameraden schießt.

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Gewalt, Mobbing, Missbrauch, Unfälle oder Kriegserlebnisse – Erfahrungen, die wir nicht verarbeiten können, machen krank. Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) verankert sich nicht nur in der Psyche, sondern auch im Körper Betroffener. Eine Übersicht der vier wichtigsten Therapieformen.

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Therapie im Traumazentrum - zusammen mit anderen Veteranen

Hagen lässt sich ins Traumazentrum in Berlin einweisen. Er probiert in der Therapie alles bereitwillig aus, was man ihm anbietet. Am Ende sind es drei Dinge, die wirklich helfen: Die Sporttherapie, sein Buch, das er mit seinem Psychiater von Anfang bis Ende durchspricht ("1638 Tage im Krieg") und die erlernten Methoden, mit denen er in Triggersitutationen den durch PTBS ausgelösten körperlichen und seelischen Stress in den Griff bekommt.

"Invictus Games" von Prinz Harry sind ein Wendepunkt

Niemals aufgeben, auch wenn sich das abgedroschen anhört. Und nur Du bist für Dich selbst verantwortlich. Es ist nicht schwach, wenn man Gefühle zeigt. Ja: früher war ich ein Stein ...

Was die Versteinerung gelöst hat? Was ihn gerettet hat? Seine Frau, sagt Hagen, der Sport und ein bisschen auch: Prinz Harry.

Hagen trifft bei den Invictus Games Prinz Harry und dessen Ehefrau Meghan. Sie stehen beieinander und unterhalten sich. SWR1 Neuanfang - Hagen: Weiterleben mit dem Kriegstrauma. Hagen Vockerodt aus einem Dorf bei Ehingen war als Soldat an fast allen Krisenorten dieser Welt. 1638 Tage Krieg haben ihn traumatisiert, aber nicht gebrochen. In "SWR1 Neuanfang" erzählt er offen über Einsätze, Ängste, PTBS und seine jahrelange Therapie.
Hagen trifft bei den Invictus Games 2022 auf Schirmherr Prinz Harry und dessen Frau Meghan.

Die "Invictus Games" sind für Hagen der "Game-Changer im Leben", sagt er. Sie sind eine Art Olympiade: Soldat:innen aus aller Welt nehmen daran teil. Alle waren im Einsatz, alle haben Narben – an Körper und Seele. Die Spiele sollen eine Verbeugung sein vor all den verletzten Männern und Frauen.

Die Idee dazu hatte Prinz Harry, der selbst im Afghanistan-Einsatz war. Hagen hat den Prinzen 2022 bei den Spielen in Den Haag kennengelernt, als er die deutsche Mannschaft als Kapitän ins Stadion führte.

Jeder ist gleich, egal was man hat. Wenn du keine Beine hast, wenn du psychisch belastet bist, wenn du blind bist – da kommen schon ganz viele Emotionen hoch. Wir haben uns dann nach der Veranstaltung alle in den Armen gelegen: Rumänen, Ukrainer, Amerikaner, Briten. Wir waren alle Brüder und Schwestern. Und dann liefen die Tränen. Boah, ist das hart, richtig schlimm. Und da war der Knoten geplatzt: Ich hab' noch nie so viel geheult wie da. Aber das ist befreiend.

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Bis heute mag Hagen keine offen stehenden Türen und auch keine Orte, an denen ihm Menschen sehr nah kommen können: Weihnachtsmärkte oder die Schlange beim Bäcker. Dort gibt es keine Einkaufswagen, die ihm helfen, ein bisschen Distanz zu anderen Menschen zu schaffen, zu große Nähe zu vermeiden.

Die Bundeswehr, sagt er, hat ihn nie fallen lassen. Er weiß, dass manche Kameraden von ganz anderen Erfahrungen berichten. 2023 hat er selbst seine Entlassung aus dem Dienst beantragt – kurz vor seinem 45. Geburtstag.

Du bist der Meister Deines Schicksals. Du bist der Käpt'n Deiner Seele.  

Hagen im Fitnessstudio der "Invictus Games" - er lächelt mit erhobenenem "OK"-Daumen in die Kamera. SWR1 Neuanfang - Hagen: Weiterleben mit dem Kriegstrauma. Hagen Vockerodt aus einem Dorf bei Ehingen war als Soldat an fast allen Krisenorten dieser Welt. 1638 Tage Krieg haben ihn traumatisiert, aber nicht gebrochen. In "SWR1 Neuanfang" erzählt er offen über Einsätze, Ängste, PTBS und seine jahrelange Therapie.

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