"Q" wie querschnittsgelähmt: Eine Realität, mit der sich Andreas Braun aus Neustetten im Landkreis Tübingen nach dem 3. September 2005 erst noch auseinandersetzen muss.
Der Sturz ins Nichts, siebeneinhalb Meter in die Tiefe
Es ist kurz nach drei Uhr in der Nacht. In Neustetten-Nellingsheim – einem Dorf im Kreis Tübingen – brennt mitten im Ort ein Bauernhaus. Mit der freiwilligen Feuerwehr rückt Andreas zum Einsatz aus.
Das Treppenhaus steht in Flammen, die Feuerwehrmänner entscheiden, übers Dachgeschoss ins Haus einzusteigen. Der damals 23-jährige Andreas steigt in voller Montur und mit Atemschutzgerät auf die Leiter: 25 Kilo Ausrüstung trägt er am Leib. Er fühlt sich gut trainiert für diesen Einsatz. Und dann stürzt er siebeneinhalb Meter tief ins Nichts.
Querschnittslähmung – das Rückenmark ist unwiederbringlich zerstört
Andreas wird noch am Brandort notversorgt. Zehn Stunden lang kämpfen die Ärzte in der Tübinger BG-Unfallklinik um den jungen Feuerwehrmann. Er hat komplizierte Brüche durch den Absturz – an der Wirbelsäule und an den Armen. Seine beiden Hände sind zertrümmert. Er hat innere Verletzungen und eine Hirnblutung. Alles wird heilen – nur sein verletztes Rückenmark nicht; es ist zerstört auf Höhe des vierten Brustwirbels. Andreas wird nie mehr laufen können.
Die Menschen um ihn herum werden wichtig. Sein Bruder, die Schwägerin, Familie, Freunde, Feuerwehrkameraden – "alle eine Wahnsinns-Stütze", sagt Andreas. Ruhe? Nein, Physiotherapie wird jetzt lebenswichtig.
Stefan: Lebensfreude trotz Krankheit ALS
Durch die Krankheit ALS verliert Stefan aus Engelsbrand im Nordschwarzwald die Kontrolle über seine Muskeln bis hin zur Lähmung. Er weiß: Nichts kann ihn retten. Trotzdem behält Stefan seine Lebensfreude.
Wer ist schuld am Unfall? Eine empathische Antwort
Wie ist das mit der Schuldfrage? Ja klar, sagt Andreas, kommt die Frage hoch. Aber das Wort Schuld will er erstmal in Anführungszeichen setzen. In seinem Fall habe es kein Fremdverschulden gegeben. Kleine Pause – und dann schiebt Andreas nach, dass er froh ist, dass kein anderer Schuld hat.
Woher kommt diese empathische Einstellung? Vielleicht die Erziehung, meint Andreas, die Gemeinschaft auf dem Land, in Familie, Vereinen, Freundschaften. Und von einer seiner festen Säulen im Leben, dem Glauben. Andreas hat Gottvertrauen und glaubt fest, dass es hilft, immer mal wieder die Hände zu falten.
Der Mathelehrer im Rollstuhl: Das Leben geht weiter
Ein Dienstagmorgen am Eugen-Bolz-Gymnasium in Rottenburg. Erste Stunde, draußen ist es noch dämmrig. Gleich beginnt der Matheunterricht – Endspurt vor dem Abi. Andreas Braun fährt mit seinem Rollstuhl zackig über die Gänge. Seine Schüler lieben ihn.
In Neustetten hat sich Andreas ein barrierefreies Leben geschaffen
Andreas hat sich in seinem Heimatort ein neues Haus gebaut. Barrierefrei, inmitten von Streuobstwiesen und Feldern. Die großzügigen Räume und die moderne Technik ermöglichen Andreas einen komplett unabhängigen Alltag.
Aber er weiß auch eines ganz genau: Dass der Kampf um ein unabhängiges Leben im Rollstuhl echt hart sein kann. Für viele, vor allem für ganz junge Menschen, denn: Barrierefreies Wohnen und funktionstüchtige Hilfsmittel kosten immens viel.
Ungerecht, sagt Andreas. Es macht ihn sauer, dass Würde und Eigenständigkeit davon abhängen sollen, ob man über die Berufsgenossenschaft oder privat oder gesetzlich versichert ist. Deshalb engagiert er sich politisch und in Verbänden.
Politisches und gesellschaftliches Engagement für behinderte Menschen
Gemeinsam mit dem Landesverband Selbsthilfe Körperbehinderter Menschen hat Andreas Braun eine Stiftung gegründet: Sie berät, aus welchen Töpfen man welche Förderung bekommen kann. Und wenn alles ausgeschöpft ist, dann hilft die Stiftung auch finanziell.
Sagt's und rollt nach draußen auf den Parkplatz, hievt sich vom Rollstuhl ins Auto und fährt zu einem Sitzungstermin. Regionalverband. Auch da ist er aktiv...