Werner und Dorothe Hinderer haben die Flut erlebt. Im Frühsommer 2024 hört es in Baden-Württemberg nicht mehr auf zu regnen. In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni geht auch für Werner und Dorothe in Rudersberg im Rems-Murr-Kreis die Welt unter: Ihre Existenz, ihre Metzgerei – ein Familienbetrieb seit sieben Generationen – komplett zerstört. Die Wassermassen in dieser Nacht sind gewaltig. Die Flut wälzt sich einmal quer durch den Ort, durch Häuser und Wohnungen, Läden und Geschäfte.
7 Generationen-Familienbetrieb: vollständig zerstört. Aufgeben? Nein!
Am Morgen nach der Katastrophe ziehen sich die Hinderers die Gummistiefel an und schaufeln Schlamm und Dreck weg. Gemeinsam mit Freunden, Familie und ihren Mitarbeitern. Ein halbes Jahr lang schuften, bis dann die Tür zum frisch aufgebauten Metzgerladen wieder aufgeht. Ans Aufgeben haben sie nie gedacht.
Tun und einfach machen – so geht Leben!
Es sei erstaunlich, was der Mensch so alles aushalten kann, "wenn er ins Tun kommt", philosophiert Werner Hinderer. Er ist ein Mensch, der die Dinge gern selbst in die Hand nimmt. Dorothe sitzt neben ihm, zieht lachend ihr Handy aus der Tasche und spielt eine Sprachnachricht vor – die reinste Liebeserklärung an die Metzgerei. Wenn man die höre, werde man verstehen, warum Aufgeben niemals eine Option gewesen sei.
Der Familienbetrieb, der 15 Frauen und Männern plus Chef und Chefin Arbeit gibt und ernährt, ist für ein halbes Jahr Baustelle. Das heißt auch: ein halbes Jahr ohne Einnahmen. Trotzdem zahlen Werner und Dorothe alle Löhne weiter, denn sie wollen niemanden aus dem Team verlieren.
Millionenschaden: Nach dem Hochwasser lässt sich nichts mehr retten
Wiederaufbau: Das geht nicht ohne Rechnen, sich reinhängen und wieder rechnen. Werner rückt sich die silberne Nickelbrille zurecht. Es wird dauern, bis sie überm Berg sind. Die Kalkulation muss hinhauen. Der Schaden durch Flut und Hochwasser liegt bei 1,3 bis 1,5 Millionen Euro.
Versicherung und Gutachter geben Werner und Dorothe keine eindeutige Zusicherung, dass alles so laufen wird, wie sie sich das vorstellen. Aber – das merken die beiden – sie sagen auch nicht "Nein". Das sehen Werner und seine Frau als Signal, weiter zu machen.
Anfangs denken beide noch, dass sie viele der Maschinen und Geräte retten können. Allein der Kutter, in dem Fleisch zu Wurst verarbeitet wird, kostet laut Werner Hinderer knapp 70.000 Euro. Schnell wird klar: Wo Wasser und Dreck einmal drinsitzen, geht nichts mehr. Alles muss 'raus, und alle Räume gehen komplett zurück auf Rohbau. Alles auf Null, alles auf Anfang.
Finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau kommt von unerwarteter Seite
Die Gedanken gehen wieder zurück zur Hochwasser-Nacht, in der Werner und Dorothe hilflos zusehen mussten, wie das Wasser alles zerstörte, was die Familie über sieben Generationen aufgebaut hatte. Sie beobachten an sich selbst, wie sie sich der Situation nicht einfach ergeben, sondern funktionieren.
Werner erinnert sich, wie er wenige Tage später zwischen den Trümmern seiner Existenz steht und nicht weiß, wie es weitergehen soll. Keine Einnahmen, dafür weiterlaufende Kosten.
Was Werner sich nicht vorstellen konnte: 50.000 Euro geliehen zu bekommen – ein Jahr lang, für Null Prozent Zinsen. Der Kunde kam wieder, und nach ihm noch vier weitere. Fast 200.000 Euro bekamen Werner und Dorothe so für ihren Neustart vorgestreckt. Ohne große Formalitäten, "einfach so".
Rudersberg nach dem Hochwasser: schleppender Wiederaufbau
Ein halbes Jahr nach der Katastrophe sieht es in der Straße immer noch öde und trostlos aus. Und nicht nur dort, sondern an vielen Ecken in Rudersberg: Schreibwarenladen, Kosmetikstudio, Supermarkt. Leerstand, kaputte Fensterscheiben, zum Teil noch Schutt und Dreck.
Werner kann nicht nachvollziehen, dass da "nichts zuckt". Mit anderen Unternehmern am Ort hat er sich zusammengeschlossen; sie brüten Ideen aus, wie Rudersberg wiederbelebt werden kann und wie flexible Katastrophenhilfe aussehen könnte.
Was er und seine Unternehmer-Kollegen sich wünschen? Weniger Formalismus, eine "geschmeidigere" Steuerpolitik und mehr phantasievolles Engagement im Einzelfall – so etwas wie Kooperation auf Augenhöhe. Und das alles mit Werners Devise: Geht nicht, gibt's nicht!