Neuanfang! Wenn es anders kommt im Leben

Werner und Dorothe: Nach dem Hochwasser – Aufbauen und Weitermachen!

Stand
Autor/in
Stefanie Meinecke
Stefanie Meinecke aus dem SWR1 Team
Onlinefassung
Jörg Witzsch
Redakteur Jörg Witzsch aus dem SWR1 Team behält den Überblick in der SWR1 Online-Redaktion.

In Rudersberg zerstörte eine Sturzflut die Metzgerei von Werner und Dorothe. Doch die beiden bauen mit Mut und Unternehmergeist den 7 Generationen alten Familienbetrieb wieder auf.

Wir haben noch am Anfang versucht, die Tür mit Lappen abzudichten. Das war eigentlich wahnsinnig sinnlos und dann ist eine Riesen-Wand Wasser gekommen: Wie wenn man am Meer steht und eine Welle kommt. Und nach sechs Minuten war es so, dass die Sache aussichtslos war. Es war wie im falschen Film. Wie nicht echt.

Werner und Dorothe Hinderer haben die Flut erlebt. Im Frühsommer 2024 hört es in Baden-Württemberg nicht mehr auf zu regnen. In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni geht auch für Werner und Dorothe in Rudersberg im Rems-Murr-Kreis die Welt unter: Ihre Existenz, ihre Metzgerei – ein Familienbetrieb seit sieben Generationen – komplett zerstört. Die Wassermassen in dieser Nacht sind gewaltig. Die Flut wälzt sich einmal quer durch den Ort, durch Häuser und Wohnungen, Läden und Geschäfte. 

SWR1 Neuanfang: Werner und Dorothe: Nach der Flut – Aufbauen und Weitermachen! Sommer 2024: Dauerregen in BW. In Rudersberg zerstört ein Hochwasser die Metzgerei von Werner und Dorothe, einem Familienbetrieb seit sieben Generationen. Doch sie bauen alles wieder auf.
Ein Familienbild von 1948: Die Großeltern von Werner Hinderer stehen vor der Metzgerei. Im Hintergrund das alte Ladenschild, das zur großen Freude von Werner und Dorothe die Flut überlebt hat.

7 Generationen-Familienbetrieb: vollständig zerstört. Aufgeben? Nein!

Am Morgen nach der Katastrophe ziehen sich die Hinderers die Gummistiefel an und schaufeln Schlamm und Dreck weg. Gemeinsam mit Freunden, Familie und ihren Mitarbeitern. Ein halbes Jahr lang schuften, bis dann die Tür zum frisch aufgebauten Metzgerladen wieder aufgeht. Ans Aufgeben haben sie nie gedacht.

Die Situation war: 'O.K., jetzt ist alles zerstört. Jetzt wird das so schnell wie möglich gereinigt und wieder aufgebaut!' Wir sind im Schlamm gestanden. Da gibt es ein Bild, meine Frau lacht – drecküberzogen -  und sagt: 'Hey, alles gut. Wir machen weiter!'

Dorothe Hinderer steht in Gummistiefeln zwischen der vom Hochwasser zerstörten Einrichtung ihrer Metzgerei. SWR1 Neuanfang: Werner und Dorothe: Nach der Flut – Aufbauen und Weitermachen! Sommer 2024: Dauerregen in BW. In Rudersberg zerstört ein Hochwasser die Metzgerei von Werner und Dorothe, einem Familienbetrieb seit sieben Generationen. Doch sie bauen alles wieder auf.

Tun und einfach machen – so geht Leben! 

Nicht warten. Das machen viele falsch. Deswegen geht nichts. Die warten immer noch auf Hilfe und die kommt nicht. Die wird nicht kommen.

Es sei erstaunlich, was der Mensch so alles aushalten kann, "wenn er ins Tun kommt", philosophiert Werner Hinderer. Er ist ein Mensch, der die Dinge gern selbst in die Hand nimmt. Dorothe sitzt neben ihm, zieht lachend ihr Handy aus der Tasche und spielt eine Sprachnachricht vor – die reinste Liebeserklärung an die Metzgerei. Wenn man die höre, werde man verstehen, warum Aufgeben niemals eine Option gewesen sei.

Weeeeeerneeeer, wann machst Du wieder auf? Ich freu mich, dass Du wieder aufmachst, dass ich wieder Deine lecker Lyoner essen kann. ...
Werner – Deine Wurscht ist am besten. Keine Lyoner kann Deine Lyoner schlagen. Tschüß.

Familie und Angestellte der Rudersberger Metzgerei Hinderer: dreckverschmiert bei den Aufräumarbeiten nach dem Hochwasser. SWR1 Neuanfang: Werner und Dorothe: Nach der Flut – Aufbauen und Weitermachen! Sommer 2024: Dauerregen in BW. In Rudersberg zerstört ein Hochwasser die Metzgerei von Werner und Dorothe, einem Familienbetrieb seit sieben Generationen. Doch sie bauen alles wieder auf.
Familie und Angestellte der Rudersberger Metzgerei Hinderer: dreckverschmiert bei den Aufräumarbeiten nach dem Hochwasser.

Der Familienbetrieb, der 15 Frauen und Männern plus Chef und Chefin Arbeit gibt und ernährt, ist für ein halbes Jahr Baustelle. Das heißt auch: ein halbes Jahr ohne Einnahmen. Trotzdem zahlen Werner und Dorothe alle Löhne weiter, denn sie wollen niemanden aus dem Team verlieren.

Wir haben wirklich ganz tolle Mitarbeiter, ein ganz, ganz supertolles Team. Außerdem haben wir einfach Lust drauf. Und jetzt wird [die Metzgerei] optimiert. Wird ganz, ganz besonders schön gemacht.

Millionenschaden: Nach dem Hochwasser lässt sich nichts mehr retten

Wiederaufbau: Das geht nicht ohne Rechnen, sich reinhängen und wieder rechnen. Werner rückt sich die silberne Nickelbrille zurecht. Es wird dauern, bis sie überm Berg sind. Die Kalkulation muss hinhauen. Der Schaden durch Flut und Hochwasser liegt bei 1,3 bis 1,5 Millionen Euro.

Das hab' ich versucht, immer auszublenden. Der Gedanke an die Zahlen lähmt, das hab ich gleich gemerkt und hab gesagt: 'Ey, da musst Du weg'. Ich hab gewusst: Wenn ich da 'rum mach' an den Zahlen [und mich frage] lohnt sich das, kann ich das, dann geht es nicht.

So sah die Rudersberger Metzgerei von Werner und Dorothe Hinderer am Morgen nach dem Hochwasser aus: die komplette Einrichtung war zerstört. SWR1 Neuanfang: Werner und Dorothe: Nach der Flut – Aufbauen und Weitermachen! Sommer 2024: Dauerregen in BW. In Rudersberg zerstört ein Hochwasser die Metzgerei von Werner und Dorothe, einem Familienbetrieb seit sieben Generationen. Doch sie bauen alles wieder auf.
Komplett zerstört: So sah die Metzgerei von Werner und Dorothe am Morgen nach dem Hochwasser aus.

Versicherung und Gutachter geben Werner und Dorothe keine eindeutige Zusicherung, dass alles so laufen wird, wie sie sich das vorstellen. Aber – das merken die beiden – sie sagen auch nicht "Nein". Das sehen Werner und seine Frau als Signal, weiter zu machen.

Anfangs denken beide noch, dass sie viele der Maschinen und Geräte retten können. Allein der Kutter, in dem Fleisch zu Wurst verarbeitet wird, kostet laut Werner Hinderer knapp 70.000 Euro. Schnell wird klar: Wo Wasser und Dreck einmal drinsitzen, geht nichts mehr. Alles muss 'raus, und alle Räume gehen komplett zurück auf Rohbau. Alles auf Null, alles auf Anfang.

Finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau kommt von unerwarteter Seite

Das war wirklich brutal: Es gab keinen Strom, es war dunkel und das war wirklich ein Fluss, der da durch gerauscht ist.

Die Gedanken gehen wieder zurück zur Hochwasser-Nacht, in der Werner und Dorothe hilflos zusehen mussten, wie das Wasser alles zerstörte, was die Familie über sieben Generationen aufgebaut hatte. Sie beobachten an sich selbst, wie sie sich der Situation nicht einfach ergeben, sondern funktionieren.

Werner erinnert sich, wie er wenige Tage später zwischen den Trümmern seiner Existenz steht und nicht weiß, wie es weitergehen soll. Keine Einnahmen, dafür weiterlaufende Kosten.

Dann kam in der ersten Woche freitags ein Kunde von mir und hat gesagt: 'Ich gebe Ihnen 50.000 Euro, dass sie Löhne zahlen können. Ist das OK?' Ich hab' gesagt: 'Auf gar keinen Fall, mach' ich nicht'. Und er: 'Ich komme Montag wieder'.

Was Werner sich nicht vorstellen konnte: 50.000 Euro geliehen zu bekommen – ein Jahr lang, für Null Prozent Zinsen. Der Kunde kam wieder, und nach ihm noch vier weitere. Fast 200.000 Euro bekamen Werner und Dorothe so für ihren Neustart vorgestreckt. Ohne große Formalitäten, "einfach so".

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Werner und Dorothe Hinderer: voller Stolz und Freude stehen sie in ihrer wieder aufgebauten Metzgerei.

Rudersberg nach dem Hochwasser: schleppender Wiederaufbau

Ein halbes Jahr nach der Katastrophe sieht es in der Straße immer noch öde und trostlos aus. Und nicht nur dort, sondern an vielen Ecken in Rudersberg: Schreibwarenladen, Kosmetikstudio, Supermarkt. Leerstand, kaputte Fensterscheiben, zum Teil noch Schutt und Dreck.

Werner kann nicht nachvollziehen, dass da "nichts zuckt". Mit anderen Unternehmern am Ort hat er sich zusammengeschlossen; sie brüten Ideen aus, wie Rudersberg wiederbelebt werden kann und wie flexible Katastrophenhilfe aussehen könnte. 

Ich mag mein Deutschland so, wie es ist. Aber unsere Verwaltung ist auf solche Sachen überhaupt nicht vorbereitet. Wir haben aus dem Ahrtal nichts gelernt. 

SWR1 Neuanfang: Werner und Dorothe: Nach der Flut – Aufbauen und Weitermachen! Sommer 2024: Dauerregen in BW. In Rudersberg zerstört ein Hochwasser die Metzgerei von Werner und Dorothe, einem Familienbetrieb seit sieben Generationen. Doch sie bauen alles wieder auf.
Dieses ganz besondere Messer hat die Flut überlebt: Werners Großmutter hat damit die Kartoffeln für den Salat geschält; fleißig, stark und unbeugsam – selbst als die Nazis an die Macht kamen. Was dieses kleine Küchenmesser alles erzählen könnte...

Was er und seine Unternehmer-Kollegen sich wünschen? Weniger Formalismus, eine "geschmeidigere" Steuerpolitik und mehr phantasievolles Engagement im Einzelfall – so etwas wie Kooperation auf Augenhöhe. Und das alles mit Werners Devise: Geht nicht, gibt's nicht!

Das Gründungsdatum [der Metzgerei]: 1780 – das ist neun Jahre, bevor Schiller seine 'Glocke' veröffentlicht hat. Man muss sich mal überlegen, was da gelaufen ist in der Zeit. Napoleon ist plündernd durchs Land gezogen. Krieg gab's! Und jetzt sollen wir wegen dem Wasser aufgeben? Keine Alternative? Das gibt es nicht! Es gibt immer mehr Lösungen als Probleme. Man muss halt den Arsch a bissle nora bringen!

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